#13 – Die Crux mit der Teambildung

Nicht selten treffe ich bei der täglichen Beratungsarbeit auf Situationen, in denen sich ein Vorstands-Team neu finden muss. Das geschieht meist dann, wenn ein Vorstandsvorsitzender  (VV) aus Altersgründen ausscheidet und ein neuer VV von außen kommt; oder wenn weite Teile eines Vorstandes ausgetauscht werden und sich neue Strukturen bilden müssen. Seltener, aber nicht selten, kommt es vor, dass ein Unternehmensgründer abtritt und den Platz frei macht für einen Nachfolger, auf den sich nun die Führungsmannschaft einzustellen hat.

Sehr häufig führen dann die neuen „Leader“ das Wort „Teambildung“ im Mund, d.h. sie appellieren an den notwendigen Zusammenhalt der Führungsmannschaft und an die Loyalität gegenüber dem neuen VV und dem Unternehmen.

„Team-Bildung“ ist auch ein Begriff, der oft dann erscheint, wenn es mit der VS-Zusammenarbeit nicht so recht klappen will, d.h. wenn es permanent zu Streitigkeiten über den strategischen oder operativen Kurs des Unternehmens oder die Verantwortungsabgrenzungen kommt. Hinzu kommt, dass Mitarbeiter meist ein sehr gutes Gefühl dafür haben, ob die Führungsmannschaft tatsächlich eine Mannschaft ist oder nicht, und somit beeinflusst die Stimmung im Führungsteam immer auch die Motivation der Mannschaft (vgl. STANDPUNKT Nr. 3).  „Team-Bildung“ ist also auf jeden Fall ein wichtiges Thema.

Bei allen Führungsteams, die über längere Zeit zusammenarbeiten, entsteht das, was in jedem Rudel in der Natur auch passiert, nämlich die Herausbildung einer impliziten Hierarchie. Diese Hierarchie muss nicht mit der expliziten, also dokumentierten Hierarchie identisch sein, denn sehr oft sind ja alle VS-Mitglieder formal gleich gestellt, bis auf den VV, der je nach Satzung besondere Rechte und Pflichten haben kann.

Die implizite Hierarchie kann entstehen durch Persönlichkeits-Merkmale, die auf andere Kollegen einwirken, durch Informationsvorsprünge oder auch besondere Umsatzverantwortung. Manchmal entsteht diese implizite Hierarchie auch durch Rhetorik und Auftreten, durch aktive Themenbesetzung oder durch besondere Beziehungen zu den Eigentümern.

Die Teams entwickeln daher einen Team-spezifischen Modus, wie sie miteinander umgehen. Dieser Modus wird sehr stark geprägt von dem VV, von dessen Führungsstil. Ist der VV sehr dominant, beansprucht er z.B. die Kompetenz für sich, auch in den Fach-Ressorts mit zu entscheiden, dann entsteht sehr häufig eine „Assistenz-Kultur“, d.h. die anderen VS-Mitglieder reduzieren ihren Fokus der Mitwirkung an der Unternehmensführung auf reine Fach-Beiträge, d.h. sie bohren sich auf der Suche nach Anerkennung ihrer Arbeitsleistung tief

in fachliches Detailwissen hinein. Dies wiederum führt zu einem begrenzten Blick für das Ganze und zu empfundener Teil-Verantwortung, abgesehen von der Entwicklung weiterer Spezialisten-Kulturen auf unteren Hierarchieebenen. In einer solchen „Assistenz-Kultur“ wächst dem VV, mitunter sogar gegen dessen Wille, eine sehr weitgehende Macht- und Verantwortungsfülle zu, wie sie üblicherweise oft bei Unternehmensgründern zu beobachten ist.

„Assistenz-Kulturen“ sind nach meiner Einschätzung sogar eher die Regel als die Ausnahme, weshalb bei Veränderungen an der Unternehmensspitze auch so häufig Probleme entstehen. Der in unserer Kultur weit verbreitete Hang zum Spezialistentum als einer Konsequenz der cartesianischen Denk-Schule fördert „Assistenz-Kulturen“, d.h. wir sind immer noch zu oft davon überzeugt, dass uns Experten im Top-Führungsteam gegen Fach-Risiken absichern. Die gravierenden Risiken entstehen aber, so meine Erfahrung, selten in der Tiefe eines fachlichen „Silos“, sondern im mangelhaften Zusammenwirken der Spezialisten bei komplexen und übergreifenden Problemstellungen. 

„Assistenz-Kulturen“ geraten daher allerdings immer dann unter Druck, wenn sich im Unternehmensumfeld Veränderungen ergeben, die das Führungsteam vor neue und große Herausforderungen stellen, d.h. wenn sich Fragestellungen ergeben, die der VV auch alleine nicht entscheiden und umsetzen kann. VS-Mitglieder, die über lange Zeit daran gewöhnt sind, zu Einzelthemen gefragt zu werden und nur Teil-Verantwortung zu empfinden, sind in der Regel nicht in der Lage, auf Eigenverantwortung umzuschalten. Es droht ein Informations-, dann ein Entscheidungsstau mit fatalen Risiken für die Handlungsfähigkeit des Unternehmens. Wenn es dann richtig schwierig wird, steht der VV dann oft allein auf weiter Flur, während sich seine Kollegen am „Helden-Notausgang“ drängeln.

Wie kann das verhindert werden? Soll sich der VV in seiner Steuerungsfunktion zurücknehmen? Soll er aus seiner Sicht Risiken eingehen, indem er jungen oder aus seiner Sicht nicht ausreichend qualifizierten Kollegen wichtige Verantwortlichkeiten überträgt?

Nicht selten werden solche Risiken schlagend und man erfährt hinterher, dass der VV sehr bewusst die Entscheidung getroffen hat, die Verantwortung einem Kollegen zu überlassen, eben weil er ihm auch einmal das Gefühl der Verantwortung übertragen wollte, also gewissermaßen als (teure) Lernhilfe. Das kann aber kein zielführendes Konzept sein.

Sehr häufig beklagen die VVs dieses Dilemma, einerseits Mitverantwortung fördern zu wollen, andererseits die Risiken, die damit verbunden sind, beherrschbar halten zu müssen. Dies ist in der Tat ein Dilemma, und ein Dilemma ist ein Dilemma, weil es keine Lösung gibt, denn sonst wäre es ja kein Dilemma.

Hinzu kommt, dass sehr viele dominante VVs dies nicht mit bewusster Absicht fördern, sondern weil sie tatsächlich kompetenter, erfahrender und durchsetzungsstärker sind als ihre Kollegen und man sie nicht zuletzt wegen dieser Eigenschaften zum VV gemacht hat.       

Der Kern des Problems, der auch der Kern des Lösungsansatzes darstellt, ist die Tatsache, dass es bei komplexen und übergreifenden Problemstellungen nur selten klar abgrenzbare Problemteile gibt, die isoliert von Spezialisten bearbeitet und hinterher zu einem homogenen Ganzen wieder zusammengesetzt werden können. Wer einmal daran mitgewirkt hat, zu versuchen, aus in sich jeweils logisch abgearbeiteten Teil-Elementen einer Gesamt-Problemstellung wieder eine in sich schlüssige Gesamtsicht herzustellen, der weiß, wovon ich rede.

Das cartesianische Denkmodell der Zerlegung von Gesamt-Problemstellungen in Einzel-Themen vernichtet wichtige Informationen, die beim „Zusammensetzen“ zu fatalen Lücken führen können. An dieser Stelle greift die überragende Bedeutung des VV in seiner übergreifenden Sicht und Verantwortung, nämlich das Bewahren der Sicht auf das Ganze.

Während die Ambition der Spezialisten darin besteht, möglichst abgrenzbare Aufgaben definiert zu bekommen, auch wenn dabei integriert zu betrachtende Zusammenhänge durchschnitten werden, muss der VV die Sicht, mitunter auch das Gefühl für das Ganze bewahren, d.h. je zerschnittener das Ganze hinterher bearbeitet wird, umso riskanter die Aufgabe der Zusammenführung der Teile. Spätestens mit dem intuitiven „Gefühl für das Ganze“ betritt der VV die Ebene der „Kunst“ (s. STANDPUNKT Nr. 4).

Den meisten VV´s ist nicht bewusst, dass sie in diesem Sinne eine Funktion ausüben, die ohne sie nicht abgedeckt ist. Sie erliegen der Illusion, ein funktionierendes Führungsteam zu haben, obwohl dem nicht so ist, wenn komplexe Problemstellungen zu bearbeiten sind. Dass jeder „Assistent“ seine ihm zugeordnete Aufgabe zuverlässig erfüllt, ist kein Beleg für ein leistungsfähiges Team, denn ein Team erhält seine eigentliche Existenzberechtigung durch die Fähigkeit zur effektiven Zusammenarbeit bei übergreifenden Problemstellungen.

Gäbe es theoretisch keine übergreifenden Problemstellungen, bräuchte man keine Führungsteams, sondern nur Linien-Verantwortliche, die die zugeordneten Fragestellungen bearbeiten. Der Umkehrschluss sagt uns also, dass wir ja überhaupt nur von Vorstandsstrukturen im Sinne von Führungsteams sprechen, weil es immer wieder übergreifende Problemstellungen gibt. Das ist ja auch der Grund, warum ein Schiff eine Kapitän und ein Flugzeug einen Piloten hat, denn die Routineaufgaben erledigt längst der Computer oder der Assistent.

Führungsteams sind also dazu da, übergreifende Themen und Problemstellungen gemeinsam (!) zu bearbeiten, und da übergreifende Themen die unangenehme Eigenschaft haben, nicht einfach in Teil-Aufgaben zerlegt werden zu können, ohne dass wesentliche

Informationen vernichtet werden, ist eine „Assistenz-Kultur“ genau das, was man nicht braucht, um ein Führungsteam zu entwickeln.

Was also ist zu tun?

Zunächst einmal muss klar sein, dass „Assistenz-Kulturen“ für den VV eine sehr angenehme Nebenwirkung haben, nämlich, dass sie leicht zu führen sind. „Assistenz-Kulturen“ funktionieren ja nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“, d.h. der VV ist in seiner Rolle unangreifbar. Dass er dann auch das gesamte Risiko auf sich lädt, übersieht er dabei oft.

Für die Bequemlichkeit eines einfachen Führungs-Prozesses zahlt der VV oft einen hohen Preis, nämlich den, in Krisensituationen allein zu sein. Er muss also begreifen, dass er die Bequemlichkeit überwinden muss.

Das Gegenteil von „Assistenz-Kulturen“ sind „laterale Teams“, d.h. Teams, in denen die Mitglieder zwar einen eigenen Bereich zu verantworten haben, die aber aktiv nicht nach Abgrenzung, sondern nach Überlappung ihrer Zuständigkeiten streben. Dies lässt sich auch durch entsprechende Organisationsstrukturen fördern oder behindern, indem bspw. Schnittstellen zwischen Steuerungs- (Risikomanagement) und Linienfunktion (Vertrieb) oder Service- (IT) und Linienfunktion nicht abgrenzungsorientiert, sondern überlappend konzipiert sind, d.h. das damit eine Kultur des „Miteinander arbeiten“ verankert wird.

Ideale Führungsteam-Mitglieder sind dann in diesem Sinne nicht die abgrenzungs-orientierten Spezialisten, sondern die lateral denkenden, am Gesamt-Unternehmen mitwirkenden Charaktere, die den Spezialisten in der Hierarchie unter sich auch die Freiräume zur Entwicklung geben.

Die Fähigkeit, sich in komplexe Fragestellungen einzudenken, an der Führung des Unternehmens mitzuwirken, ohne die Loyalität gegenüber dem VV in Frage zu stellen, muss dabei Vorrang haben vor dem Experten- und Spezialisten-Status. Die Fähigkeit des Führungsteams, bei übergreifenden Problemstellungen oder gar in Krisenzeiten wirklich „zusammen“ zu arbeiten, wird künftig von überragender Bedeutung für den Unternehmenserfolg, denn es ist wahrscheinlich, dass die Komplexität im Management eher weiter zu- als abnehmen wird.

Für die Besetzung von Führungsteams stellt die Absage an „Assistenz-Kulturen“ eine große Herausforderung dar, denn nicht selten „qualifizieren“ sich Top-Führungskräfte über lange Karriereleitern in ganz spezifischen Aufgabenfeldern. Mein Plädoyer für den „Team-Player“ sollte andererseits aber nicht missverstanden als Votum für Führungskräfte, die von dem, was sie zu tun haben, überhaupt keine Ahnung haben müssen. Ich denke aber, dass dies das deutlich geringere, weil allgemein bewusste Problem ist. Sich auszukennen ist besser als sich nicht auszukennen, das ist keine Frage. Aber sich auszukennen, qualifiziert eben noch nicht automatisch zur Führungsteam-Mitwirkung.

Die Besetzung von Führungsteams, bspw. durch einen neuen VV,  ist eine gewaltige Herausforderung, und ich beobachte sehr oft, dass der Teambildungs-Gedanke zwar immer genannt, aber nur sehr selten auch hoch priorisiert wird. Zu häufig zählen Eigentümer-Proporz, fachliche Expertise und/oder Verweildauer im Unternehmen gegenüber der Fähigkeit, sich in ein Team konstruktiv einzubringen. Wenn man so agiert, darf man sich nicht wundern, wenn hinterher die Ergebnisse nicht den Erwartungen entsprechen. Es ist eben ein bisschen wie beim Fußball…..

Herzliche Grüße aus Brand

Ihr

Hans-Dieter Krönung