Der für viele Manager größte Guru ihrer Zunft, der gebürtige Österreicher Peter Drucker, hat einmal gesagt: „Die Ursache für die meisten Unternehmenskrisen liegt nicht darin begründet, dass die falschen Dinge gemacht werden, oder dass die Dinge falsch gemacht würden. Vielmehr werden die richtigen Dinge getan, nur leider vergebens“.
Ich kann dies aus jetzt vielen Jahren der Beobachtung nur bestätigen. Auch in den am wenigsten erfolgreichen Unternehmen gehen die Mitarbeiter und Führungskräfte ihrer Arbeit nach, bemühen sich, ihre Aufgaben zu erfüllen und haben nicht das Gefühl, dafür verantwortlich zu sein, dass das Unternehmen sich in einer Krise befindet oder auf sie zusteuert.
Unternehmenskrisen entstehen dann, wenn sich das Unternehmen mit seiner eigenen Veränderungsgeschwindigkeit oder –richtung nicht mehr in der Balance mit den relevanten Veränderungen im Markt befindet. Entwicklungen werden verschlafen, nicht richtig eingeschätzt oder ignoriert; Impulse ins Unternehmen werden nicht oder nicht konsequent oder aber auch falsch gesetzt.
Wenn also das Management fundamentale Fehler macht, wenn es um den permanenten Angleich an die Umweltentwicklungen geht, merkt „die Mannschaft“ davon meist erst etwas, wenn Restrukturierungs-Programme anstehen und Arbeitsplätze gefährdet sind.
Unternehmen können einerseits zu hektisch reagiert haben, indem sie meinten, schnell auf jede Entwicklung reagieren zu müssen. So meinten einige Sparkassen und Volksbanken, auf den Wettbewerbstrend des kostenlosen Girokontos aufspringen zu müssen, weil dies notwendig sei, um die Kunden zu binden. Etwas später wurde dann bewusst, welcher nachhaltige Ergebnisausfall damit verursacht wurde und vor allem, dass den meisten der Kunden, die das Angebot natürlich angenommen hatten, dies überhaupt nicht wichtig gewesen war hinsichtlich der Loyalität zu ihrer Hausbank. Mit anderen Worten: Ein kleiner Teil der Kundschaft hatte das Management in Panik versetzt, so dass dieses sich veranlasst sah, eine Entscheidung zu treffen, die die Bank nachhaltig schwächte, ohne dass die Mehrzahl der Kunden dies von der Bank erwartet hätte.
Noch weiter verbreitet ist andererseits das Phänomen der Untätigkeit, d.h. dass nicht oder zu spät auf Veränderungen reagiert wird, die nachhaltig relevant sind.
Wir leben in einer turbulenten Zeit, in der der Kampf um den Kunden, insbesondere um seine Einlagen, deutlich schärfer und preissensitiver wird. Viele Banken leben seit vielen Jahren nur mit einer schmalen Marge aus dem Kundengeschäft, weil sie zum einen ihren
Erfolg überwiegend dem Kapitalmarkt zu verdanken haben, zum anderen nur mit durchschnittlich zwanzig Prozent ihrer Kunden eine regelmäßige Geschäftsverbindung pflegen.
Klar ist, wer sich jetzt nicht aufmacht, auch die anderen achtzig Prozent der Kundschaft zu aktivieren, der setzt sich einem noch größeren Preiskampf-Risiko aus als es jetzt schon besteht. Leider sind die meisten Banken nicht darauf trainiert, aktiv Kundenverbindungen zu entwickeln bzw. zu intensivieren. Untätigkeit wird zum existenziellen Risiko, ohne dass ein Mitarbeiter das Gefühl hätte, dazu einen Beitrag zu leisten.
Worin liegt dieses Führungsversagen begründet? Gibt es Frühwarn-Indikatoren für Fehlentwicklungen? Wie kann sich das Management selbst davor schützen, grundlegende Fehlentscheidungen zu treffen?
Um es gleich vorwegzunehmen: Natürlich gibt es keinen absolut wasserdichten Schutz vor Fehlentscheidungen, denn auch wer keine Entscheidungen trifft, macht logischerweise Fehler. Denn auch darin liegt ein Dilemma des Managements: Es muss (!) Entscheidungen treffen.
Ein weiteres Problem liegt auch darin begründet, dass die Management-Informationssysteme nur so gut sind wie die Menschen und die Daten, die sie füllen und interpretieren. Eine strategische Planung und ihre Abweichungsanalyse können sehr wichtige Impulse für Management-Entscheidungen liefern, sie können ein Management aber auch in trügerischer Sicherheit wiegen, wenn man zu unkritisch den prognostizierten Werten glaubt und danach handelt.
In einem meiner Seminare machte ich eine interessante Beobachtung. Teilnehmer waren unter anderem ein Vorstandsmitglied einer sehr erfolgreichen Groß-Sparkasse und zwei Vorstandsmitglieder einer eher unterdurchschnittlich erfolgreichen Groß-Sparkasse. Wir sprachen über die Herausforderungen der gegenwärtigen Markt- und Wettbewerbssituation und es war sehr auffällig, dass der Vertreter der erfolgreichen Bank deutlich besorgter und sensibler argumentierte als die Vertreter der weniger erfolgreichen Bank. Während der eine berichtete, dass man in seiner Bank bereits Strategien entwickele und Maßnahmenpakete schnüre, um den anstehenden Herausforderungen Rechnung zu tragen, beschrieben die beiden anderen, warum die letzten beiden Jahre Rekordergebnisse für ihr Haus gebracht hatten (allerdings immer noch unterdurchschnittlich im Vergleich).
Die beiden Vorstände bestritten die anstehenden Herausforderungen nicht; sie waren nur noch längst nicht so weit, konkrete Maßnahmen zu entwickeln.
Ich begann nach dem Seminar darüber nachzudenken, ob sich nach meinen Erfahrungen ein Zusammenhang zwischen bestimmten informellen Führungs-Strukturen und -Ritualen und dem Unternehmenserfolg bzw. der Krisenvermeidung feststellen ließe, und ich erkannte, dass dem so sein könnte.
Existenziellen Unternehmenskrisen geht meist eine Führungskrise voraus. Führungskrisen sind dabei meist Kommunikationskrisen, weil sich in der der Krise folgenden Neuausrichtung bzw. Sanierung oft zeigt, dass viele Führungskräfte und Mitarbeiter die Situation des Unternehmens und die Management-Entscheidungen, die zur Krise geführt hatten, durchaus sehr gut und zutreffend einschätzen konnten, aber nicht gehört wurden.
Natürlich ist man immer schlauer, wenn man „vom Rathaus kommt“, aber dies ist hier nicht gemeint.
Ein häufig zu beobachtendes Phänomen der Kommunikationskrise, des sich entwickelnden „autistischen“ Management-Ansatzes, ist die Existenz einer im Unternehmen bestehenden „Herrschafts-Meinung“, d.h. eine bestimmte Sicht auf die Welt wird Top down gepredigt und sukzessive von den meisten Führungskräften und Mitarbeitern übernommen bzw. akzeptiert.
Man kennt dieses Phänomen aus autokratischen Staatsformen, Monarchien und Diktaturen, meisterhaft analysiert und entlarvt von dem französischen Philosophen Andre Glucksmann in seinem bezeichnenderweise „Die Macht der Dummheit“ titulierten Werk.
„Autistische“ Management-Ansätze sind Kommunikationskrisen, weil der offene und ungehinderte Informationsaustausch innerhalb des Managements und zwischen dem Management und den Mitarbeitern nicht mehr funktioniert. Damit wird fahrlässig die „Blutzufuhr zum Gehirn“ eingeschränkt, d.h. Meinungsbildung und Entscheidungen werden nicht mehr auf der Basis aller im und dem Unternehmen zur Verfügung stehenden Informationen entwickelt.
Oft wird die Herrschafts-Meinung nach außen getragen, also publiziert, quasi, um sie auch nach innen zu legitimieren. Ich erinnere mich dabei an manchen Vorstandsvorsitzenden, der permanent über die Gazetten seinen Kollegen mitteilte, wie das Geschäft funktioniere und wie man erfolgreich sei, während sein „eigenes“ Unternehmen in die Existenzkrise schlitterte.
Fast immer konnte man dann später einen „autistischen“ Führungsstil im Unternehmen feststellen.
Es muss aber nicht gleich die existenzielle Krise sein, die den Blick auf die Kommunikations-Problematik im Management lenkt.
Nach meiner Beobachtung „stimmt“ es in den meisten bestehenden Führungsstrukturen Kommunikations-technisch nicht. Damit meine ich nicht offene Feindschaft zwischen
Vorständen, sondern vielmehr die eingeschränkte offene Kommunikation aufgrund der Existenz informeller Kommunikations- und Führungs-Rituale.
Der Vorstandsvorsitzende, der mehr Zeit für strategische Diskussionen mit seinem Controlling-Leiter als mit seinen Vorstands-Kollegen verbringt, schafft eine andere, eine neue, informelle Führungs-Struktur, denn bald werden sowohl seine Vorstandskollegen als auch die meisten Führungskräfte merken, wer „das Ohr des Chefs“ hat.
Es ist eine immer wieder neu zu gehende Gratwanderung, die Balance zwischen offiziellen und informellen Kommunikations- und Führungsstrukturen zu finden, und es ist unmöglich, immer exakt genau auf dieser Ideallinie zu handeln.
Bedenklich wird es aber unzweifelhaft dann, wenn, wie ich es nenne, „Küchenkabinette“ entstehen. Mit „Küchenkabinett“ beschreibe ich das, was man im Mittelalter die „Harlekine“ nannte, also die Menschen, die zur Unterhaltung des Burgherren bereit zu stehen hatten. Sie mussten sich die Gunst des Herrn immer wieder erarbeiten, denn im Grunde respektierte er sie nicht als gleichwertig, sondern wollte von ihnen das hören, was ihm behagte. Also bemühten sie sich, ihm immer wieder zu gefallen, indem sie ihn priesen und ihm seine Wünsche von den Augen ablasen.
Heute erkennen wir diese Menschen in den Unternehmen daran, dass sie meistens in der Nähe des Vorstandes sowie zeitlich immer verfügbar sind und unkritisch stets darum bemüht sind, die Herrschaftsmeinung zu vertreten. Sehr beliebt für solche Rollen sind Vorstands-nahe Stabsfunktionen.
„Küchenkabinette“ haben indirekt großen Einfluss auf die Unternehmen, gerade weil sie den offenen Kommunikations-Fluss im Management behindern. Sie unterstützen die Entwicklung von Herrschafts-Meinungen, indem sie kostbare Management-Zeit durch unkritisches Feedback verschwenden. Sie prägen auch die Führungs-Kultur eines Unternehmens, denn sie signalisieren anderen Führungskräften, dass es nicht primär um Leistung geht, wenn man Anerkennung sucht, sondern um Anpassung.
Viele Vorstandsvorsitzende halten sich diese „Harlekine“, weil es, wie schon im Mittelalter, mitunter angenehm ist, hofiert zu werden. Insbesondere im Alter neigen manche Vorstände dazu, vom Unternehmen geliebt werden zu wollen, weil dies das einzige ist, was ihnen persönlich noch fehlt. Auch wenn es sich bei den Vertretern der „Küchenkabinette“ nicht um wirkliche, sondern um fast sklavische Anerkennung handelt, die dem „Herrn“ zuteil wird, wird sie meist gern angenommen.
Es geht hier aber nicht um die Verurteilung persönlicher Vorlieben und Neigungen, sondern um die Früh-Indikatoren von Unternehmenskrisen.
Alle Unternehmen sind darauf angewiesen, alle ihnen zur Verfügung stehenden Informationen und Skills zu nutzen, um für das Unternehmen die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen. Die formalen Führungsstrukturen sind dafür so auszugestalten, dass alle Informationen und Meinungen ungehindert fließen zu können, damit sich gerade kein Herrschaftswissen herausbilden kann. Herrschaftswissen muss nicht falsch sein; die Wahrscheinlichkeit aber, dass ein Einzelner, so gut er auch sein möge, immer Recht hat, ist unzweifelhaft geringer als die Wahrscheinlichkeit, dass Entscheidungen, die die Summe aller Kenntnisse und Erfahrungen aller Führungskräfte und Mitarbeiter einbezieht, zu schlechteren Ergebnissen führen.
„Küchenkabinette“ sind Vorboten von Unternehmenskrisen, weil sie Bequemlichkeit signalisieren. Es ist bequemer, sich mit den eigenen Führungskräften auseinanderzusetzen, deren Loyalität auch durch Gehalts- und Bonus-Entscheidungen beeinflusst werden kann, als sich mit den ebenfalls selbstbewussten Vorstandskollegen und deren Eitelkeiten abmühen zu müssen, eine gemeinsame Entscheidungssituation herbeizuführen.
Gerade wenn die Typologien der Vorstände unterschiedlich sind, können inhaltliche Debatten schnell in den persönlichen Bereich schwappen, und dann ist es menschlich, den bequemeren Weg zu suchen, anstatt die gemeinsame Basis mit dem unbequemen Kollegen zu suchen.
Für das Unternehmen ist aber nicht Bequemlichkeit gefragt, sondern Entscheidungsqualität. Und diese ist ceteris paribus umso besser, je mehr verschiedene Aspekte in die Meinungsbildung einfließen. Vorstände, die den Unbequemen ausgrenzen, handeln ebenso fahrlässig wie der Vorstandsvorsitzende, der ein „Küchenkabinett“ um sich herum schafft.
Voraussetzung für jede Form kraftvoller Führung ist aber das gemeinsame Ziel, das gemeinsam formulierte Leitbild dessen, was man mit dem Unternehmen erreichen will.
Wenn es dann gelingt, die formale und die informelle Führungsstruktur damit in Einklang zu bringen, steigt auf Dauer das Energieniveau im Unternehmen. Und Energie ist eine Grundvoraussetzung für Erfolg.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Herbst und weiterhin allen erdenklichen Erfolg.
Ihr
Hans-Dieter Krönung