„Hast Du etwas, so gib es her und ich zahle, was recht ist. Bist Du etwas, o dann tauschen die Seelen wir aus“ (Friedrich Schiller)
Es ist nicht meine Absicht, die Weihnachtszeit dafür zu nutzen, salbungsvolle Weisheiten abzusetzen, weil man dies jetzt eben gerne tut. Obwohl: Was schreiben wir nicht alles in die Weihnachtskarten: Schlaue Zitate, Nachdenkenswertes, liebgemeinte Ratschläge. Wir arbeiten „Weihnachtslisten“ ab, halten ab und zu inne, weil uns ein Kontakt besonders wichtig ist, sind aber am Ende froh, wenn wir alles hinter uns und keinen vergessen haben.
Aber nicht nur an Weihnachten, sondern auch schon eine lange Zeit, haben sogenannte „Werte“ Konjunktur.
Kein Unternehmen, das ich kenne, verzichtet auf niedergeschriebene „Werte“, an denen sich alle Mitarbeiter und, vor allem, Führungskräfte orientieren sollen. Die ausformulierten Werte hängen dann eingerahmt in jedem Raum oder mindestens auf jedem Flur, damit sie nicht vergessen werden.
Typische Formulierungen sind „Wir vertrauen unseren Mitarbeitern“ oder „Wir respektieren Kunden und Kollegen“ oder „Wir erkennen Leistung an“ oder „Wir kommunizieren direkt und zeitnah“.
Sehr beliebt ist es auch, die eigenen Werte gegenüber dem Kunden zu kommunizieren, üblicherweise, indem man die Werte im Internet veröffentlicht und mit Leistungsversprechen verknüpft. „Wir verpflichten uns zu Bestleistung für unsere Kunden“ oder Ähnliches soll dem Kunden verdeutlichen, dass man wirklich alles tun würde, um ihn zufrieden zu stellen.
„Leidenschaft“ kann somit zum selbsternannten Leitbild werden.
Sehr häufig höre ich jetzt auch von Vorständen, dass sie ein „Werte-Projekt“ durchgeführt haben, um ihren Führungskräften bestimmte, „Wert“-volle Verhaltensweisen zu vermitteln und einzuimpfen, um nachhaltige Veränderungen im operativen Tun zu realisieren. Geläutert von den vielen vergeblichen Versuchen, über Prozess-Management Verhaltensänderungen zu erreichen, sind viele Vorstände nunmehr dabei, „Werte“ zu vermitteln.
Diese Projekte versprechen die nachhaltige Veränderung von individuellen Verhalten, z.B. den jederzeit respektvollen Umgang mit Kollegen, die intensive Kommunikation an Schnittstellen oder auch die jederzeitige Beachtung der größtmöglichen Effizienz des Ressourceneinsatzes.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass diese Projekte keine Reibungsfläche bieten, denn sie sind per se harmlos, appellieren sie doch an das Gute im Menschen, und wer kann damit schon ein Problem haben. Auch die Personalvertretungen, ermüdet von dem Kampf gegen die Welle der Reengineering-Projekte, unterstützen diese Art von Veränderungs-Impulsen. So sind alle Beteiligten positiv gestimmt unterwegs, um eine neue Form der Zusammenarbeit zu entwickeln.
Verweist man in einer solchen Harmonie-Stimmung auf den Fakt, dass auch in den nachweislich am schlechtesten geführten Unternehmen ähnlich formulierte Werte-Konzepte existieren und veröffentlicht wurden, erntet man nachsichtiges Lächeln und ggf. den Hinweis, eine solche Initiative könne jedenfalls auf keinen Fall schaden.
Doch setzt man sich wirklich gründlich mit den Botschaften dieser „Werte“-Projekte und –Formulierungen auseinander, bekommt man schon den Eindruck, dass man sie unter den Slogan stellen könnte: „Wir sind für den Weltfrieden“, wie es einer meiner Kunden einmal ketzerisch ausdrückte.
Diese Bewertung drückt aus, was das Problem ist. Nichts an allen diesen Formulierungen ist falsch; dennoch hilft es wenig, weil sich jede Führungskraft und jeder Mitarbeiter zwar dahinter versammeln, aber eben sehr individuell umsetzen kann.
„Wir fördern unsere Mitarbeiter“ kann in einer intensiven Zuwendung seitens der Führungskraft münden, es kann aber auch „darwinistisch“ interpretiert werden als „Er/Sie wird sich schon auch ohne Unterstützung durchbeißen, sonst ist er/sie eben zu schwach“.
„Intensive Kommunikation“ kann sowohl als respektvolle Interaktion verstanden oder aber auch als permanente Einmischung in Verantwortlichkeiten missverstanden werden.
Diese allgemeingültigen Formulierungen sind daher ebenso problematisch wie die Behauptung eines sogenannten Management-Gurus: „Management hat viel mit gesundem Menschenverstand zu tun“. Aber wer legt denn fest, was „gesund“ ist?
Damit dringen wir ein in die Problematisierung des Werte-Begriffs als solchem. Dem Begriff „Wert“ ist immanent das Prädikat „bewerten“, d.h. „hinter jedem sogenannten Wert steht ein Interessent mit seinen eigenwilligen Absichten und Zwecken“, wie Eberhard Straub es formulierte.
„Wert“ ist nicht absolut, wie es diejenigen, die diesen Begriff verwenden und operationalisieren wollen, intendieren. Karl Marx stellte eine Verbindung des Wertebegriffs mit der materiellen Zielsetzung des Kapitalismus her: „Da das Geld, als der existierende und sich bestätigende Begriff des Wertes, alle Dinge verwechselt, vertauscht, so ist es die allgemeine Verwechslung und Vertauschung aller Dinge, also die verkehrte Welt, die Verwechslung und Vertauschung aller natürlichen und menschlichen Qualitäten“.
Die „Bewertung“ dient einem Zweck. Und vielleicht ist gerade diese Zweck-Vermutung das, was dazu führt, dass sich in vielen Unternehmen Führungskräfte und Mitarbeiter nicht ausreichend mit den formulierten Werten identifizieren.
Die Grenze zwischen der Vermittlung tugendhafter Verhaltensmuster und der Kanalisierung individuellen Verhaltens ist ein schmaler Grat.
Ein mechanistisches Werteverständnis instrumentalisiert den „Wert“ als Hilfsmittel zur Standardisierung von Verhaltensmustern. Dies geschieht dann, wenn in den vermittelten Werten kein „höherer Sinn“ erkennbar wird.
Werte werden interpretierbar und manipulierbar, wenn sie ohne Bezug zur erlebten Realität des Unternehmens formuliert werden.
Von entscheidender Bedeutung ist also, ob die formulierten Werte als Ausdruck einer von allen (!) Beteiligten als selbstverpflichtend gelebten Identität des Unternehmens wahrgenommen werden, oder ob sie Instrument der Zwecksetzung des Managements sind.
Herrscht in einer Unternehmens-Leitung die Meinung vor, Mitarbeiter seien in erster Linie ein Kostenfaktor mit einem zu beherrschenden individuellen Verhaltens-Risiko, dann werden die formulierten Werte ganz sicher als Teil des Management-Arsenals verstanden und nicht umgesetzt. Dies ist übrigens sehr häufig zu beobachten.
Steht jedoch im Management-Weltbild tatsächlich der Mitarbeiter als Mensch und Erfolgsfaktor im Zentrum der Führungs-Philosophie, werden „Werte“ zu Grundsätzen des verpflichtenden Handelns, vor allem für das Management selbst. Dann erst können „Werte“ auch nachhaltigen Nutzen stiften.
Das Schiller-Zitat zu Beginn dieses Textes ist daher mit Bedacht gewählt worden. Ohne den „höheren Sinn“ verkommen Werte schnell zu einem Commodity, und leider ist dies in den meisten Unternehmen bereits geschehen. Es gehört zum guten Ton, Werte formuliert zu haben, aber niemand kümmert sich um deren Umsetzung, um deren „Er-Leben“.
Damit wird auch klar, was der Maßstab für die Werte-Diskussion sein muss, nämlich das „erlebbar machen“, das „Spüren“ von wertegerechtem Verhalten. Es spielt keine Rolle, wie soziologisch intelligent oder philosophisch anspruchsvoll Werte formuliert werden, sondern nur, ob man sich und wer sich daran hält.
Entscheidend ist daher das Menschenbild, das in den formulierten Werten zum Ausdruck kommt. „Bist du etwas“, schreibt Schiller, dann tauschen wir uns aus. Bist Du dagegen eine austauschbare Leistung, dann zahle ich nur dafür.
„Wir kommunizieren direkt und zeitnah“ kann also sowohl ein Austausch auf Augenhöhe, respektvoll und wertschätzend, oder aber die Anweisung an den Untergebenen sein, der er gefälligst optimal nachzukommen hat. Die Formulierung des Wertes „Kommunikation“ lässt beides zu; das ist ihr Problem.
Schiller gibt uns aber auch den entscheidenden Hinweis auf die Lösung dieses Beliebigkeits-Problems. Er sagt: „Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben. Bewahret sie! Sie sinkt mit Euch! Mit Euch wird sie sich heben!“
„Würde“ ist das, wonach wir streben sollten. Würde ist absolut, sie ist nicht ohne Grund auch die Präambel des deutschen Grundgesetzes (§1 Die Würde des Menschen ist unantastbar).
„Würde“ erfordert vor allem Respekt, vor dem Kollegen und dem Kunden. Wer die Würde des Mitarbeiters respektiert, wird sich ihm gegenüber anständig verhalten. Wer die Würde des Kunden respektiert, wird ihn nicht „über den Tisch ziehen“.
Vielleicht werden Sie jetzt denken, das alles sei ein wenig esoterisch, vor allem, wenn sie selbst mit dem Begriff der „Werte“ genau das intendieren, was ich mit „Würde“ umschreibe.
Ich gebe aber zu bedenken, dass in vielen Unternehmen bereits viel Zeit und Geld in die Erarbeitung von Werte-Konzepten geflossen ist, ohne dass man sagen kann, gute Werte-Konzepte würden auch nachweislich zu guten Ergebnissen führen. Ganz und gar absurd ist die Beschäftigung mit diesem Thema also nicht.
Zudem suchen in diesen stürmischen Zeiten viele Menschen Halt und wahrgenommene Werte können dazu einen wichtigen Beitrag leisten, wenn sie, wie gesagt, von allen Beteiligten als selbstverpflichtend erlebt werden. „Vorbild“ ist das entscheidende Instrument zum Erleben von Werten.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Orientierung, Sinnstiftung und Würde. Wenn es dem Management wirklich wichtig ist, die Mitarbeiter „mitzunehmen“, weil sie den entscheidenden Unterschied im Wettbewerb ausmachen (können), dann ist Würde der Leitgedanke des Handelns, dann wird der Sinn des Handelns verdeutlicht, um eine klare Orientierung vorzugeben.
Sind diese Bausteine nicht vorhanden und verkümmert, können auch die best-formulierten Wertekonzepte keine Leidenschaft und dann auch keine Leistungsbereitschaft wecken. Der große Wirtschafts-Philosoph Rudolf Eucken hat diesen Zustand einmal wie folgt charakterisiert: „Keine festen Ziele beherrschen das Streben, keine einfachen Ideen entwinden sich dem Chaos und befreien von seinen Wirren und Zweifeln. Vielmehr bewältigen uns die unmittelbaren Eindrücke und zerreiben das Leben unter ihren Widersprüchen. So treiben wir unsicher auf den Wogen der Zeit einher, wehrlos gegen alles, was uns mit starkem Bewusstsein und kecker Behauptung naht, wehrlos auch gegen die eigenen Einfälle und Leidenschaften, ein Spiel von wechselnden Lagen und Launen“.
Eucken kannte natürlich nicht die gegenwärtigen Management-Herausforderungen, aber seine Beschreibung könnte auch für die heute weitgehend angewandte Management-Praxis zutreffen. Ohne Orientierung an festen Handlungs-Grundsätzen verkommt auch
Management zu beliebigem und austauschbarem „Wert“, genauso, wie der Manager, der es lebt.
„Würde“ könnte ein solcher Pfeiler sein, von dessen Basis aus nachhaltig „werthaltiges“ Management entwickelt werden kann. Auf den Zusammenhang zwischen Management-Qualität und wirtschaftlichem Erfolg braucht man ja nicht mehr gesondert einzugehen.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben ein frohes Weihnachtsfest, etwas Entschleunigung und alles Gute für das kommende Jahr.
Ich danke Ihnen auch für das dem Institut für Mobilisierung entgegengebrachte Vertrauen. Mit bereits über 300 Abonnenten sind unsere Erwartungen in 2011 weit übertroffen worden.
Herzliche Grüße aus Brand
Hans-Dieter Krönung