#17 – Das Kreuz mit den Tochtergesellschaften

Wissen Sie eigentlich, wie viele Tochtergesellschaften Sie haben? Müssen Sie erst nachsehen oder wissen Sie es sofort?

Und: Verdienen alle diese Tochtergesellschaften Geld oder nicht? Wie viele Mitarbeiter haben diese Tochtergesellschaften jeweils? Wann wurden sie gegründet? Hat sich ihre Unternehmensgründung gelohnt oder würden Sie diese Entscheidung heute anders treffen?

Es gibt zahllose Tochtergesellschaften und ebenso zahllose Anlässe, welche zu gründen. Die Lufthansa unterscheidet ihre Langstrecken-Organisation von der City-Line und dem Frachtgeschäft. Die Bundesbahn verhält sich ähnlich.

Die Deutsche Bank hat mit der Postbank, der Norisbank und der Berliner Bank gleich drei Töchter, die im Retailgeschäft partiell Konkurrenten ihrer eigenen Filialorganisation sind.

Die Commerzbank wurde einst für ihre Immobilientochter Eurohypo gefeiert, heute sieht man das anders. Auch die Landesbanken und die Zentralbanken sind ja formal Töchter der Sparkassen bzw. Volks- und Raiffeisenbanken, wobei sich in den Verbundorganisationen eigene Mutter-Tochter-Beziehungen etabliert haben, die alles andere als Friktions-frei sind.

Viele Tochtergesellschaften wurden gegründet, weil man sie aufsichtsrechtlich brauchte, oder aber auch, um Nicht-Kerngeschäft vom Kerngeschäft zu trennen, um neue Geschäfte / Märkte zu testen, um heterogene Geschäftsstrukturen in kleinere, überschaubarere und homogenere Strukturen zu überführen, die besser steuerbar sind, aber auch, um die Identifikation der Mitarbeiter mit der entsprechenden Tätigkeit zu erhöhen.

Mitunter wurden Tochtergesellschaften aber auch einfach deswegen gegründet, weil man Kosten sparen und bspw. neue Tarifstrukturen schaffen bzw. nutzen wollte (z. B. im Fall sogenannter „Abwicklungsfabriken“).

Fragt man Manager nach ihren Bewertungen der Erfolge ihrer Tochtergesellschaften, antworten sie erstaunlich homogen, nämlich zumeist: „Teils-teils“.

Fast immer handelt es sich im Fall erfolgreicher Töchter um Unternehmen, bei denen Schlüsselpositionen in der Führung glücklich, nämlich optimal, besetzt sind. „Wir sind in XY erfolgreich, weil wir da gute Leute haben“ oder „Die Gesellschaft läuft, weil Herr/Frau Z den Laden im Griff hat“.

Erstaunlich häufig aber sind Manager mit ihren Tochtergesellschaften nicht zufrieden, nicht selten sind diese sogar Hauptgrund für schwache Ergebnisse der Muttergesellschaft. So hatte die Allianz sicher auch einmal andere Erwartungen an ihre Tochter Dresdner Bank, die ihr mehr als einmal das Gesamtergebnis verdarb.

Man muss sich fragen, warum das so ist.

Bei allen Unterschieden in den Unternehmenszwecken, den unternehmensrechtlichen Ausgestaltungen oder den Steuerungsbeziehung zwischen Mutter und Tochter gibt es doch so etwas wie ein immer wiederkehrendes Grundmuster.

Es ist diese merkwürdige Mischung von „Dazu gehören“ und „Ausgegrenzt sein“, die  das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter in vielen Fällen charakterisiert.

Sehr häufig fühlen sich Manager und Mitarbeiter in einer Tochtergesellschaft als „Kollegen zweiter Klasse“, denen man im Stammhaus mit einer gewissen Skepsis und oft ganz viel Überheblichkeit begegnet. Umgekehrt herrscht in vielen Tochtergesellschaften ein gewisses „Betriebsausflugs-Klima“, d.h. man fühlt sich unterhalb des Kontroll-Radars der Zentrale und lebt in gewisser Anonymität, nur sporadisch durch Berichtsanforderungen aus dem Beteiligungsmanagement oder dem Rechnungswesen der Muttergesellschaft gestört.

Tochtergesellschaften beziehen häufig aus dem Status des eigenständigen Unternehmens heraus eine gewisse eigenständige Identität, die seitens der Mutter gewollt sein kann, aber nicht sein muss.

Besuche bei Tochtergesellschaften eröffnen mitunter den Blick in eine ganz eigene Welt mit eigenen Wertvorstellungen und Führungsprinzipien, „erarbeiteten“ Privilegien, was Kompetenzen oder Dienstwagen angeht, und auch einer „Burgmentalität“, d.h. der Vermittlung des Gefühls, in diesem eigenen Biotop nicht gestört werden zu wollen.

Wenn ich mir überlege, welche Gemeinsamkeiten bei den vielen unterschiedlichen Tochtergesellschaften, die ich in den vergangenen 25 Jahren kennenlernen und zum Teil untersuchen durfte, hinsichtlich der grundlegenden Problemstrukturen bestanden, fallen mir immer wieder folgende Punkte auf:

  1. Eitelkeit
  2. Anonymität
  3. Inkonsequenz.

Eine im Allgemeinen unterschätzte, aber durchaus häufige Ursache für die Gründung von Tochtergesellschaften ist die Eitelkeit des Top-Managements.

Insbesondere dann, wenn das Karriereende altersbedingt naht, neigen Top-Manager immer wieder einmal dazu, noch ein „Zeichen“ ihrer unternehmerischen Kompetenz zu setzen,  d.h. an ihrem „Denkmal“ zu bauen. Erinnern wir uns an die Osteuropa-Euphorie, als Opportunitäten des Öfteren in den Rang einer strategischen Lösung katapultiert wurden.

Oder man wollte der Erste sein, der eine neue Idee verwirklicht, um sich als innovativer Manager einen Namen zu schaffen (s. Bank24 der Deutschen Bank, Eurohypo der Commerzbank, S-broker der deutschen Sparkassen-Organisation etc.).

Selten genug sind die Gründungen von Tochtergesellschaften wirklich Ausfluss einer nachhaltig angelegten Strategie, die das Kerngeschäft ergänzt. Es liegt ja schon in der Natur der Sache, dass eine Tochtergesellschaft oft nur eine vorübergehende Lösung darstellen kann, weil man neue Dinge ausprobieren will. Entweder entwickelt sich das „Projekt“ gut, dann geht es ins Kerngeschäft über, oder schlecht, dann sollte die Gesellschaft perspektivisch wieder geschlossen werden.

Der strategische Spielraum für Tochtergesellschaften ist daher logisch begrenzt und wird oft genug nicht sauber genug analysiert, bevor man eine entsprechende Entscheidung trifft.  Man „vergisst“ mitunter auch im Management nach einiger Zeit, warum eigentlich diese oder jene Gesellschaft jemals gegründet wurde, z.B. weil eine neue Manager-Generation die entsprechende Gesellschaft vorfindet.

Eitelkeit anstelle von Strategie ist daher ein sehr häufiger Geburtshelfer von Tochtergesellschaften.  

Ein zweites Phänomen ist die Anonymität, d.h. das Schattendasein, das viele Tochtergesellschaften faktisch führen. Nicht integraler Bestandteil des Kerngeschäfts zu sein, führt in der Regel zu kommunikativen und kulturellen „Mauern“ zwischen Mutter und Tochter, weil man sich über lange Zeiträume primär über Regel- bzw. Statusberichte austauscht, die die Realität nur eingeschränkt wiedergeben können. Strategische und / oder strukturelle Fehlentwicklungen können so über längere Zeiträume intransparent bleiben oder sogar vertuscht werden.

Dies ist im Kerngeschäft der Mutter deutlich seltener der Fall. Entsprechend groß ist dann oft der Schock, wenn die Wahrheit ans Licht kommt und entsprechend drakonisch sind dann auch die Maßnahmen.

Die faktische Abschottung (Anonymität) zwischen Mutter und Tochter, die oft zu beobachten ist, kann also ebenfalls zu substantiellen Problemen führen.

Im Tagesgeschäft beginnt Anonymität z.B. schon mit der Auswahl der Manager für die Tochtergesellschaft. Tochtergesellschaften werden gerne benutzt, um Manager „zu platzieren“, die man im Kerngeschäft nicht einsetzen will oder kann. Diese sind dann natürlich eher wenig motiviert, „werkeln“ herum und verursachen zusätzliche Probleme, die auf Frustverarbeitung beruhen und dazu noch eine ganze Weile unentdeckt bleiben können.

Captain Willard aus Coppolas „Apocalypse now“ lässt herzlich grüßen.

Das dritte Phänomen, das oft zu beobachten ist, ist Inkonsequenz.

Viele Manager tun sich schwer, bei Tochtergesellschaften konsequente Lösungen im Sinne der strategischen Positionierung des Kerngeschäftes auch nur anzudenken.

Viel häufiger wird nach dem Motto verfahren: Jetzt haben wir diese Gesellschaft nun mal, was könnte man mit ihr anfangen?

In diesen Fällen beobachten wir typischerweise lang andauernde Restrukturierungs-Wellen sowie eine Fülle opportunistischer oder taktischer Maßnahmen, die von Übertragung von Geschäft bis zur Ansiedlung von Sonder-Aktivitäten reichen können, die allesamt eigentlich besser im Umfeld des Kerngeschäftes angesiedelt werden müssten.         

Auch hier kommt der besondere Status der Tochtergesellschaft zum Tragen, denn die Schließung einer Tochtergesellschaft hat etwas Endgültiges, was viele Manager naturgemäß scheuen. Also wird über Jahre lieber „herumgebastelt“ als eine wirkliche Lösung zu finden.

Hinzu kommt: Wenn die eigene Strategie nicht vollkommen klar ist, eröffnet eine Tochtergesellschaft viele Opportunitäten, die interessant erscheinen.

Unter die Rubrik „Inkonsequenz“ fällt auch die Gründung von Tochtergesellschaften zur Umgehung von Haustarifen, um die Betriebskosten deutlich zu senken.

Um günstigere Personalkosten-Strukturen zu erreichen, erscheint eine Auslagerung in eine nicht an den Haustarif gebundene Gesellschaft offensichtlich als eine gute Option. Dieser Gedanke ist prinzipiell richtig.

Aber: Der Nachweis, dass Unternehmen mit hohem Auslagerungsanteil insgesamt günstiger produzieren als vergleichbare Unternehmen, ist noch nicht geführt worden, denn es gibt zwar viele Beispiele, wo es funktioniert, aber eben auch viele Beispiele, wo es definitiv nicht funktioniert.

Ein besonders typisches Beispiel sind die Back Office-Auslagerungen im Retail-Banking, z.B. bei den Sparkassen. Vergleicht man die Verwaltungskosten auslagernder und nicht auslagernder Sparkassen miteinander, kann man keinerlei Korrelation erkennen.

Das liegt nicht nur an dem Mehrwertsteuer-Effekt, sondern häufig auch daran, dass Tochtergesellschaften oft ein „Eigenleben“ entwickeln, das die theoretisch möglichen Effizienzpotenziale wieder aufzehrt.

Wenn also die bislang integrierte Kreditabteilung als Tochtergesellschaft ausgelagert wird, müssen die bislang intern bestehenden Schnittstellen nach Marktstandards ausgestaltet und Revisions-sicher strukturiert werden.

Die Geschäftsleitung, die bisher lediglich Abteilungsleitung war, braucht ein Sekretariat und einen entsprechenden Dienstwagen, denn man will ja auch Drittgeschäft akquirieren.

Die Muttergesellschaft muss ebenfalls ihre Schnittstellen professionalisieren, entsprechende Sicherheits-Schleifen einführen und die Entscheidungskompetenzen neu aufsetzen.

Die Tochtergesellschaft baut Stabsfunktionen auf, die man vorher nicht gebraucht hatte, leistet sich teure Strategie-Projekte, und wächst so unabhängig von der Entwicklung des Geschäftsvolumens.

Und nach einer Weile beschäftigt sich eine größere Anzahl Menschen auf beiden Seiten der Schnittstelle Mutter-Tochter mit der Bearbeitung von Kreditanträgen als jemals zuvor.

Aus dem Beschriebenen kann allerdings auch nicht guten Gewissens von der Gründung oder Nutzung von Tochtergesellschaften abgeraten werden.

Man kann aber darauf verweisen, dass die Vorteile, die man sich von dieser Konstruktion erhofft, sehr häufig nicht eintreten, weil, wie oben geschildert, Komplexität entstehen kann, die man vorab nicht erwartet hat.

Tochtergesellschaften müssen das Resultat einer gründlich erarbeiteten und auf Nachhaltigkeit angelegten Strategie sein. Würde das immer geschehen, gäbe es deutlich weniger komplexe Unternehmensstrukturen. Eitelkeit darf kein Kriterium sein.

Wenn sich Rahmenbedingungen verändern, ändert sich oft auch die Geschäftsgrundlage der Tochtergesellschaft. Dann muss konsequent gehandelt werden.

Auf jeden Fall sind Töchter genauso eng zu führen und transparent zu steuern wie das Kerngeschäft auch, wenn das böse Erwachen ausbleiben soll.

Das Auslagern von Teilen des Kerngeschäftes oder die Gründung strategischer Versuchsballons werden immer wieder das Gründen und Führen von Tochtergesellschaften erfordern. Aber wie das mit Töchtern so ist: Man braucht viel Fingerspitzengefühl und klare Grundsätze, wenn man dauerhaft Freude an ihnen haben will.

Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg und uns allen die Kraft, in turbulenten Zeiten Kurs zu halten.

Herzliche Grüße aus Brand

Hans-Dieter Krönung