#18 – Preiswettbewerb – oder: Das Problem mit der Botschaft

„Hast Du etwas, so gib es, und ich zahle, was recht ist. Bist Du etwas, o, dann tauschen die Seelen wir aus.“ (Friedrich Schiller)

Mann und Frau sind unterwegs beim Autokauf. Eine fundamentale Grundsatzentscheidung ist zu treffen, eine teure noch dazu.

Man ist im Verkaufssalon eines deutschen Premium-Anbieters und beide haben präzise Vorstellungen, was sie suchen. Sie möchte, dass der Wagen blau ist; er möchte Leistung, Komfort, Sonderausstattungen, Spielereien, Image, Lebensgefühl, Selbstbestätigung und noch vieles mehr. Der Premium-Anbieter erfüllt alle diese Anforderungen, denn selbstverständlich bietet er mit „Vorsprung durch Technik“, „Freude am Fahren“ oder einfach dem Stern auf der Haube alle Merkmale, die den Mann glücklich machen, und dazu gibt es alle in Frage kommenden Modelle auch in blau.

Man möchte über den Kauf noch einmal eine Nacht schlafen, aber man hat sich im Grunde schon entschieden; man ist emotional festgelegt. Der Preis liegt zwar etwas über dem selbst verordneten Budget, aber der Gegenwert erscheint beiden so attraktiv, dass man den geforderten Preis zu zahlen bereit ist, ohne schlechtes Gewissen.

Auf dem Rückweg kommen die beiden bei einem ausländischen Anbieter vorbei, der mit attraktiven Konditionen wirbt. Die Frau bittet ihren unwilligen Mann, sich doch die Angebote etwas genauer anzusehen. Da wird mit attraktiven Konditionen für die Rücknahme des alten Wagens, mit drei Jahren Versicherungs- und Steuerbefreiung, vielen interessanten Sonderausstattungen, die alle im Grundpreis enthalten sind, und mit 5-7 Jahren unbeschränkter Garantie geworben. So ganz anders, findet die Frau, sähe der ausländische Wagen doch auch nicht aus, eigentlich sogar auch schön, und ganz sicher gäbe es den Wagen auch in blau.

Der Mann spricht ein Machtwort, erklärt, dass dieser Wagen überhaupt nicht in Frage käme und findet eine Reihe von Gründen, weshalb er sich überhaupt nicht vorstellen kann, einen Wagen dieses Fabrikats zu kaufen.

Am deutschen Bankenmarkt „tobt der Preiskampf um die Einlagen der Kunden“, wie es das Handelsblatt schon vor vielen Monaten beschrieb.

Einlagen-Konditionen von 4-5% werden geboten, teilweise sogar noch darüber. Manches davon stellt sich bei genauerem Studium des Kleingedruckten als Mogelpackung heraus, aber es bleibt eine Tatsache, dass die Konditionen über ein betriebswirtschaftlich zu rechtfertigendes Maß gestiegen sind, denn bei diesen Konditionen handelt es sich um „umgekehrte Dumping-Preise“, die nur dem Zweck dienen, Einlagen einzusammeln, koste es, was es wolle.

Ähnlich ergeht es dem guten alten Girokonto. Früher gab es nur die Sparda-Banken, die mit dem kostenlosen Girokonto warben, heute reicht das schon nicht mehr aus. Wer heute ein Girokonto eröffnet, erhält selbstverständlich ein „Startguthaben“, diverse kostenlose Zusatzleistungen wie Kreditkarte oder Geldkarte, Bonuspunkte und sogar die Telefonnummer der attraktiven Servicekraft.

Wo wird das alles enden und: Was hat es bewirkt?

Die Welt um uns herum ist voller „Verkaufs-“ bzw. „Bindungs-Katalysatoren“. Miles&More, Bonuspunkte, All you can eat, Payback-Karten, Sonder-Rabatte, zinslose Ratenzahlungen – wir sind umgeben vom Kampfgetümmel der Hersteller um den Kunden. Warum also sollte diese Entwicklung vor dem Bankschalter haltmachen? Alles normal, oder?

Und so sind sie denn auch sehr verunsichert, die etablierten Bankmanager, wenn sie diesen Kampf beobachten, wenn sie sehen, dass sie Abflüsse von Geldern zu den Anbietern mit Kampfkonditionen zu verzeichnen haben. Manch einer hat auch schon im vorauseilenden Gehorsam seine Girokonten ganz auf „kostenlos“ umgestellt, muss aber jetzt schauen, wo er die ausgefallenen Erträge herbekommt.

Wie also geht das weiter, zumal ja noch hinzukommt, dass durch das internationale Konditionen-Gefälle für viele international tätige Banken die relativ hohen Konditionen in Deutschland und Österreich noch immer attraktiv sind, weil man in anderen Ländern noch höhere Konditionen-Niveaus hat.

Zunächst einmal gilt es, sich zu vergegenwärtigen, dass ein „Preis“ ein Instrument der Vergleichbarkeit ist, d.h. über einen Preis werden die verschiedenen Eigenschaften eines Produktes für den Kunden zu einem einzigen Entscheidungskriterium verdichtet – wenn man als Anbieter dies zulässt.

Schon Karl Marx erkannte die Gefahr der Reduzierung der Vielfalt von Eigenschaften durch einen „Wert“, indem er schrieb: „Da das Geld, als der existierende und sich bestätigende Begriff des Wertes, alle Dinge verwechselt, vertauscht, so ist es die allgemeine Verwechslung und Vertauschung aller Dinge, also die verkehrte Welt, die Verwechslung und Vertauschung aller natürlichen und menschlichen Qualitäten“.             

Genau das ist das Problem. Wäre der Autokauf unseres fiktiven Pärchens eine reine Preisangelegenheit, dann wäre der Premium-Anbieter ohne Chance.

Weil es insbesondere deutschen Automobil-Herstellern glänzend gelungen ist, den „Mehr-Wert“ der zusätzlichen Eigenschaften an sehr viele Kunden weltweit zu vermitteln, kaufen sehr viele Kunden deutsche Autos.

Sind diese vermittelten Zusatzattribute, die den Mehrwert ausmachen, reine Marketing-Erfolge, also nicht real bedeutsam?

Doch, denn „Wohlfühlen“ ist ebenso ein legitimes Argument wie „Qualität“ oder „Servicenetz“. Was lernen wir daraus?

Anbieter, die zulassen mussten oder es zugelassen haben, dass ihr Produkt ein „Commodity“ wurde, müssen den Preiskampf ohne „Wenn“ und „Aber“ akzeptieren. Zugegeben: Wer Benzin, Wasser oder Strom verkauft, hat größere Probleme mit der Produkt-Differenzierung als derjenige Anbieter, der Autos verkauft.

Aber die zentrale Frage für den hiesigen Retail-Bankenmarkt lautet: Ist ein Girokonto ein „Commodity“?

Für ein „Ja“ spricht, dass jede Bank ein Girokonto anbietet und dass jedes Girokonto im Grunde die gleiche Basis-Funktionalität bietet. Was also spricht für ein „Nein“?

Für ein „Nein“ spricht, dass das Girokonto fälschlicherweise als ein Bank-„Produkt“ angesehen wird. Das wäre so, als würden wir sagen, ein Notar verkaufe einen Vertragsentwurf oder der Unternehmensberater Powerpoint-Folien (wobei das manchmal tatsächlich so zu sein scheint).

Die Bank bietet eine Dienstleistung an, die bei der Komponente „Vertrauen“ beginnt, über „Erreichbarkeit“ und „Komfort“ bis hin zu „Freundlichkeit“ und „Kümmern“ reicht. Das Girokonto ist nur eines von vielen Instrumenten, diese Dienstleistung auszuführen.

Die Banken, die das Girokonto zu einem „Produkt“ gemacht haben, haben es austauschbar gemacht und sind damit gezwungenermaßen Opfer eines Preiskampfes geworden. Einen Preiskampf kann in der Regel nur der Stärkste und Größte gewinnen, nicht aber eine lokale Bank oder eine nationale Großbank, denn sie sind auf Dauer alle zu klein, um einen nachhaltigen Preiskampf durchhalten zu können.

Wenn also die Bankberater selbst beginnen, das Girokonto als isoliertes „Produkt“ zu vermarkten, ist die Schlacht schon so gut wie verloren.

Viele Banken haben daher begonnen, ihr Girokonto mit Zusatzfunktionen anzureichern, sogenannte „Mehrwert-Konten“ zu kreieren, die dem Kunden signalisieren sollen, dass das Konto an sich einen Wert hat und mehr kann als nur den Zahlungsverkehr zu unterstützen.

Das ist ein erster, aber bei weitem nicht ausreichender Schritt, denn eigentlich geht es darum, dem Berater, und über den Berater auch dem Kunden, zu verdeutlichen, wofür die Bank eigentlich da ist, was sie bietet und worin der Nutzen für den Kunden besteht.

Dass dieser Weg erfolgreich sein kann, zeigt sich an den Zuwachsraten bei Girokonten in vielen Sparkassen und Genossenschaftsbanken, aber auch daran, dass die meisten der aggressiven Wettbewerber keine oder keine nennenswerten Kundenzuwächse verzeichnen können.

Viele der Gelder, die bspw. von Regionalbanken zu Direktbanken oder Großbanken geflossen waren, sind wieder zurückgekommen, so dass der Nettoeffekt der Abflüsse deutlich bescheidener ist als der vielfach kolportierte Bruttoeffekt.

Wenn sich also eine Bank mit ihren vielfältigen Leistungsmerkmalen auf Preisvergleiche reduzieren lässt, wird sie zum Opfer dieser Entwicklung. Die Revolution frisst ihre Kinder, möchte man sagen.

Besser ist es, den Preiskampf als  Ansporn zu nutzen, die eigene Organisation und damit auch die Kunden davon zu überzeugen, was eigentlich der Wert der Dienstleistung der Bank ist. Kein Mensch würde ein deutsches Auto kaufen, wenn es nur den Preis als Entscheidungskriterium gäbe.

Ein kostenloses Girokonto ist immer eine Mogelpackung, denn natürlich verursacht das Management eines Kontos Kosten für jede Bank. Wenn die Bank diese Kosten nicht an den Kunden weitergibt, wird sie sich das Geld an anderer Stelle wieder holen müssen; das nennt man Quersubvention, ist also nicht wirklich sauber kalkuliert.

Diese Argumentation ist zwar richtig, im Kundengeschäft aber nicht wirklich „sexy“.

Es geht ja auch vielmehr darum, von falschen Produktdefinitionen wegzukommen, das Bankgeschäft nicht als technokratischen Daten- und Funktionsaustausch zu verstehen, sondern als Kommunikation zwischen Menschen, die vielfältige Bedürfnisse, auch im Finanzgeschäft, haben, die von einer Bank abgedeckt werden können. Wie gut oder schlecht sie dies macht, wird dauerhaft über ihren Erfolg oder Misserfolg entscheiden.

Anders ausgedrückt: Auch im Zeitalter des Online-Banking gibt es vielfältige Chancen, den Kontakt zu den Menschen zu suchen, um ihnen zu signalisieren, wie wichtig sie einem sind. Alle Langzeit-Studien zeigen, dass die meisten Menschen ein gutes Gefühl dafür haben, wo sie sich gut versorgt und betreut fühlen, sonst wären die etablierten Regionalbanken nicht diejenigen mit stabilen bzw. sogar wachsenden Kundenzahlen.   

Was die einzelne Bank allerdings dann aus ihren Kundenkontakten macht, ist eine andere Frage. Denn wenn sie sich auf einen „Instrumentenanbieter“ reduzieren lässt, darf sie sich nicht wundern, wenn sie auch in den Augen ihrer Kunden (und ihrer Mitarbeiter) austauschbar wird. Wenn alles austauschbar ist, entscheidet der Preis.

Insofern ist der aktuelle Preiskampf im Retail-Banking auch Beleg für eine Kommunikationskrise zwischen den etablierten Banken und ihren Kunden. Wer nicht mit den Kunden spricht, kann auch den Nutzen seiner Dienstleistung nur schwer vermitteln.

Und dann wird eben gekauft, was billig ist (und natürlich, was blau ist).

Ich wünsche Ihnen Kampfkraft und Inspiration bei der Organisation ihrer Kundenkommunikation.

Hans-Dieter Krönung