„We will never surrender”
(Winston Churchill)
Bankfilialen sind wie das Schlachtschiff „Bismarck“, imposant, aber dem Untergang geweiht. So wie der Krieg um England auch nicht durch die legendäre Schlacht zwischen der „Hood“ und der „Bismarck“ entschieden wurde, so kurz und spektakulär sie auch war, sondern durch die Luftwaffe, das bis zum heutigen Tag dominante Waffensystem.
Die Schlachten im 2. Weltkrieg liefern uns gutes Anschauungsmaterial, was es bedeutet, wenn eine Ära zu Ende geht. So wie es den Rittern erging, die durch Armbrust-Schützen verwundbar und überflüssig wurden, oder eben den Schlachtschiffen, die durch die Flugzeuge und –träger abgelöst wurden, so ergeht es wohl auch den Bankfilialen. Zugegeben, ein etwas martialischer Vergleich, aber ist er deswegen falsch?
Sind das Internet und die neuen Medien, die sich verändernden Informations- und Kaufgewohnheiten der Kunden sowie die hohen Betriebskosten nicht Anzeichen genug für eine anstehende Wachablösung? Die Fakten sprechen zudem eine deutliche Sprache. Die Anzahl der Bankfilialen ist seit Jahren rückläufig. Deutschland, Österreich und die Schweiz sind „overbanked“. Studien zeigen, dass Menschen in einer Einkaufsstraße schneller gehen, wenn sie an einer Bankfiliale vorbei gehen. Und beobachten wir nicht bereits, wie innovative Großbanken die Anzahl ihrer Filialen deutlich reduzieren, um dem kommenden Kostendruck zu begegnen?
Vor allem in den großen Verbundorganisationen stellt man sich seit langem zumindest hinter vorgehaltener Hand die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des „stationären Vertriebsapparates“, wie die Filialstrukturen auch liebevoll genannt werden. Dabei ist dort die Aufgabe besonders schwierig, denn was wäre eine Sparkasse oder Volksbank ohne ihre Filialen? Wo blieben denn die vielgepriesene „Kundennähe“, wenn man nicht mehr in die Filiale an der Ecke gehen könnte?
Aber auch hier gelten die Fakten. Der Anteil des sogenannten Bringgeschäfts in den Filialen ist ebenfalls seit Jahren rückläufig, d.h. die Frequenz des Kundenbesuchs sinkt. Und mit ihr sinkt auch der Bedarf, denn Studien belegen auch, dass die Kunden den Besuch in der Filiale nur noch primär nutzen, um einfache Geldgeschäfte (Bargeld, Überweisung) zu erledigen, weil sie zufällig in der Nähe waren. Und auch das ist klar: Die Nutzung des Online-Kanals wird weiter zunehmen.
Damit stimmt die Gleichung: Die Kunden nutzen die immer teurer werdenden Filialen immer weniger, weshalb man besser in die Neuen Medien bzw. den medialen Vertrieb investiert und die Kosten durch Reduzierung des Filialnetzes einspart. Alles klar!
Als Winston Churchill bei Beginn der Luftschlacht um England 1941 angesichts der drohenden deutschen Invasion von seinen Generälen bestürmt wurde, in stärkere Verteidigungslinien entlang der Küste zu investieren, überraschte er sie mit der Entscheidung, in Landungsboote zu investieren.
Er erklärte seinen Generälen mit entwaffnender Logik, dass das wahre Problem dieses Krieges in Berlin säße, und um von England nach Berlin zu kommen, brauche man zunächst Landungsboote. Es wäre ein Leichtes gewesen, angesichts der objektiven Daten der Bedrohung einer deutschen Invasion eine defensive Strategie zu verfolgen und sich einzubunkern. Aber Churchill war ein großer Stratege und vor allem ein mutiger Mann, und er behielt Recht.
Es ist nicht immer leicht, gegen den vermeintlichen Strom zu schwimmen, aber es lohnt mitunter, innezuhalten und sich zu fragen, ob der Strom wirklich fundiert ist. Zweifellos sinkt die Zahl der Filialen seit Jahren, aber könnte es nicht sein, dass dies vor allem ein Reflex auf die sich weiter konzentrierende Bevölkerungsstruktur in den Städten ist? Eine Filiale macht nur dort und so lange Sinn, so lange das Kundenpotenzial noch groß genug ist. Bei abnehmender Bevölkerung führt das dann eben auch zu rückläufigen Standort-Zahlen. Aber bedeutet dies, dass die Kunden keine Bankfilialen mehr wünschen? Wer einmal mitgemacht hat, was die Schließung einer Filiale in einem strukturschwachen Gebiet an Emotionen weckt, wird diese Frage sicher differenzierter beantworten.
Zweifellos gehen Menschen schneller an einer Bankfiliale vorbei als an einem Benetton-Shop, aber woran liegt das? Was tat bspw. McDonalds, als die „Gesundheits-Welle“ den Verzehr von Burgern zu brandmarken begann und die Frequenz in den Restaurants zu sinken begann? Beschloss man, die Anzahl der Restaurants zu reduzieren? Nein, man beschloss, die Restaurants attraktiver zu machen, indem man die Angebotspalette verbreiterte (aktuell wird allerdings mit der McCurrywurst schon etwas übertrieben), Frühstück einführte und McCafe erfand. Heute ist McDonalds erfolgreicher denn je.
Und hinsichtlich der anstehenden Revolution durch Facebook & Co. empfehle ich Ihnen, einmal bei den Protagonisten dieser Richtung nachzufragen, wie sich die getätigten Investitionen in Menschen, Produkte, Technik und Konditionen in der GuV ausgewirkt haben. Sie werden feststellen, dass Ihre Gesprächspartner dann schnell sehr einsilbig werden.
Was lernen wir daraus? Was hätte Churchill getan?
Man kann die Bankfiliale als möglichst weit zu standardisierenden Kostenfaktor begreifen, wie es bspw. die deutsche Sparkassen-Organisation seit vielen Jahren tut. Dann ist man „gut beraten“, den einfachen Weg zu gehen und die Bankfilialen so weit wie möglich zu reduzieren. Man sollte dann aber auch bedenken, was eine Sparkasse von einer Commerzbank oder der ING Diba noch unterscheidet, denn auch das lehrt die Wettbewerbs-Theorie (und –Praxis): Wer sich nicht mehr erkennbar unterscheidet, verschwindet. Ich prophezeie, dass es in den nächsten Jahren einen neuen Glaubenskrieg zwischen den Verfechtern einer „Abgesangs-Perspektive“ und einer „Überlebens-Perspektive“ geben wird. Und beide werden Recht und Unrecht haben, denn es kommt darauf an, wie (!) man es macht.
Zunächst einmal ist eine Filiale ein Ort in der Nähe von Menschen, der allerdings wertlos ist, wenn man mit den Menschen nicht spricht. Insofern ist eine Bankfiliale, in der die Mitarbeiter nur noch als Service-Kräfte denken und handeln, ohnehin ohne Perspektive, denn Kunden, die sich im Internet informieren, werden sicher auch andere und bessere Alternativen finden als mit Bankmitarbeitern zu reden, die nur daran interessiert sind, Service zu leisten.
Neben der räumlichen Nähe bieten Filialen auch die Chance zur emotionalen Nähe, was allerdings voraussetzt, dass sich die Mitarbeiter auch wirklich dafür interessieren, was die Menschen in „ihrem“ Regionalmarkt beschäftigt und umtreibt. Erfahrungsgemäß ist dabei hilfreich, wenn sich die Mitarbeiter mit ihrer Bank identifizieren und an deren Wohlergehen interessiert sind, denn dann ist der Weg zwischen Sinn und Initiative sehr kurz. Anders ausgedrückt: Mitarbeiter, die sich nicht als Service-orientierter Kostenfaktor fühlen, sondern als Kollegen, deren Funktion glaubhaft Wertschätzung entgegengebracht wird, agieren tendenziell aktiver als andere.
Mitarbeiter, denen über Jahre erzählt worden ist, dass man „bessere“ Kunden und „höherwertiges“ Geschäft in sogenannten „Centern“ bündeln müsse, kommen mit der Zeit nicht umhin zu glauben, dass man ihnen diese Verantwortung im Grunde nicht zutraut. Dies fördert nicht eben Identifikation.
Eine Filiale, die sich als Einzelhändler zwischen Einzelhändlern versteht, ist empfänglich für den Ansporn, sich aktiv um ein attraktiveres Erscheinungsbild der Filiale und ein kreativeres Herangehen an bekannte und unbekannte Kunden zu bemühen. Denn auch das lehren uns die Studien: Kunden schätzen nach wie vor den persönlichen Kontakt (wenn er denn stattfindet).
Der Einzelhändler in der Einkaufspassage ist auch täglich bemüht, sein Ladenlokal attraktiv erscheinen zu lassen, denn wenn er sich ausschließlich darauf konzentrieren würde, zu öffnen und Service anzubieten, wäre er schnell weg vom (Laden-) Fenster. Der Einzelhändler fühlt sich verantwortlich für seine Kunden, und zwar für das gesamte Geschäft aller seiner Kunden, ob sie „normale“ Durchschnittskunden oder besonders individuelle Kunden sind. Er wächst an seinen Herausforderungen.
Vor Jahren propagierten viele Besserwisser den Tod der „Tante Emma-Läden“. Man glaubte, die großen Einkaufszentren vor den Toren der Stadt würden dem Innenstadtleben den Garaus machen. In einigen Städten ist es so gekommen; in anderen hat eine vitale Einzelhändler- und Gastronomie-Kultur diese Entwicklung umgekehrt. Mittlerweile balgen sich die Lidl`s, Aldi`s und Rewe`s um gute Lagen in den Gemeinden, eben weil sie erkannt haben, dass Menschen Nähe suchen und schätzen.
Das sollte den Bankfilialen Hoffnung machen, denn sie haben es selbst in der Hand. Motivierte, verantwortungsbewusste Mitarbeiter sind ein Faustpfand, ein Differenzierungsfaktor. Das setzt aber voraus, dass das Management Freiräume und Verantwortung für das Geschäft intelligent mit den notwendigen Rahmenbedingungen von Effizienz und Qualität verknüpft. Auch dafür gibt es viele Beispiele.
Wer versucht, den Herausforderungen mit Prozess-Optimierungen und Aktivitäten-Controlling zu begegnen, sollte lieber gleich zusperren. Retail-Business ist Emotion und Begeisterung; und eine begeisterte Mannschaft, die ihre Verantwortung für die Bank und die Kunden (und Nicht-Kunden) annimmt, kann Berge versetzen. Überlegen Sie einmal, ob Sie diese Dinge im Fokus haben, wenn Sie über die weitere Entwicklung Ihres Zweigstellennetzes nachdenken.
Winston Churchill war kein Bankmanager. Aber ich bin mir sicher, er hätte vor der Vielzahl der Herausforderungen nicht kapituliert, sondern, wie ein deutscher Nationalspieler einmal sagte, „die Arme hochgekrempelt“ und dafür gesorgt, dass diejenigen Standorte, die über ausreichend Geschäftspotenzial verfügen, zu Aktiv-Posten geworden wären durch die Menschen, die in ihnen wirken. Qualität ist gut, aber erst durch Nähe, d.h. empfundene Nähe, wird etwas Besonderes daraus, etwas, das eben nicht an jeder Straßenecke oder im Internet zu finden ist.
Wir wissen nicht, was exakt die Zukunft bringen wird. Vielleicht haben die Pessimisten Recht, dass die Menschen bald nur noch im Internet surfen, in Social Networks chatten und ihre Bankgeschäfte vom Smartphone aus erledigen. Es könnte aber auch anders kommen.
Auch darauf sollten wir vorbereitet sein. Besser noch: Wir sollten daran glauben, dass wir es selbst in der Hand haben, wenn wir es gemeinsam mit den Mitarbeitern angehen. Denken Sie doch einmal darüber nach, was an Veränderungen nötig wäre, damit die Menschen vor Ihren Filialen langsamer laufen würden. Dann wäre ein Anfang gemacht.
Ich wünsche Ihnen ein kreatives 2013 in der Gestaltung dessen, was Sie ausmachen soll.
Herzliche Grüße aus Brand
Hans-Dieter Krönung