#25 – Langeweile und Marke – oder: Warum Qualität ein trügerischer Differenzierungsfaktor ist!

„Nur wer seinen eigenen Weg geht, kann von niemandem überholt werden.“

(Marlon Brando)

Im vergangenen Jahr überraschte das Handelsblatt mit einer Headline auf der ersten Seite: „Warum baut Mercedes so langweilige Autos?“

Der Bericht befasste sich mit den anhaltenden Problemen von Mercedes Benz, im Absatz-Wettbewerb mit BMW und Audi mitzuhalten. Und tatsächlich hechelt Mercedes seit geraumer Zeit, von temporären Erfolgen einmal abgesehen, der Entwicklung der Hauptkonkurrenten sowohl hinsichtlich Absatz als auch Ertrag ziemlich deutlich hinterher. Das war ja nicht immer so. Ganz im Gegenteil: Die Älteren von uns können sich noch an den Witz erinnern, der von dem erbosten Mercedes-Käufer erzählt, der dem Autoverkäufer angesichts der langen Wartezeiten für seinen Neuwagen droht, von seiner Bestellung zurückzutreten, wenn man die Auslieferung nicht beschleunigen könne. Worauf der entspannte Verkäufer sagt: „Wie Sie wünschen, mein Herr, Sie machen einen anderen Kunden glücklich.“

Mercedes Benz, das war wie die Bank von England, eine Institution, für die die üblichen Wettbewerbsregeln nicht galten. Einen Mercedes kaufte man insbesondere, weil seine überragende Qualität eine hohe Wertstabilität, aber vor allem einen unantastbaren Status sicherstellte. Und wahrscheinlich gibt es noch heute Mitarbeiter bei Mercedes, die sich überhaupt nicht vorstellen können, dass ein Mensch, der bei Sinnen ist, etwas anderes als einen Mercedes zumindest anstreben kann.

Besonders „sexy“ waren Mercedes-Autos eigentlich nie, von einigen Ausnahmen natürlich angesehen. Insbesondere die „Brot-und-Butter“-Modelle aller Baureihen strahlen noch heute eine gewisse seriöse Biederkeit aus, die auf dem unübertroffenen Qualitäts-Selbstbewusstsein aufbaut. „Qualität muss reichen“, scheinen diese Fahrzeuge auf der Motorhaube stehen zu haben. Und lange genug war das auch so.

Neben Mercedes war in Deutschland über sehr lange Zeit nur Platz für Porsche, den Sportwagen, der eine kleine, aber feine Kundschaft ansprach, die, oft neben dem Mercedes als Alltags-Auto, eben auch eindeutige sportliche Noten erfüllt sehen wollten.

Zuerst gelang es BMW, später auch Audi, in die Mercedes-Phalanx einzudringen. BMW gelang diese Aufwertung im Kundenumfeld durch die Verbindung von Qualität und Sportlichkeit, wie es bspw. in England Jaguar auch gelungen war.

Später kam Audi mit der Qualitätsinterpretation auf der technischen Schiene, nämlich über Allrad-Technologie und den Rallye-Sport. Und Mercedes geriet in die Defensive, vor allem, weil das Qualitätsargument alleine nicht mehr zog. BMWs und Audis haben heute ein frischeres und jugendlicheres Image, und das in Zeiten, wo selbst „die Alten“ noch lange nicht zum sprichwörtlichen Eisen zählen wollen.

Das Beispiel von Mercedes ist auch deshalb so stichhaltig, weil die Marke „Mercedes-Benz“ nach wie vor zu den stärksten Marken in Deutschland zählt. Und noch immer wird die Marke mit Attributen wie „Qualität“, „Seriosität“ und „Wertstabilität“ belegt. Aber das reicht eben nicht mehr aus, weil auch einige andere Wettbewerber mit dem Qualitätsaspekt unterwegs sind und diesen glaubhaft belegen können. Die meisten Käufer haben eben schon lange nicht mehr den Eindruck, der BMW oder der Audi seien nicht mindestens ebenso gut verarbeitet wie ein Mercedes. Und wenn bei einem „Commodity“ wie einem Auto ein wichtiges Kriterium nicht mehr unterscheidbar ist, fällt es als Kaufentscheidungs-Parameter schlichtweg aus.

„Qualität“ ist daher ein trügerischer Differenzierungsfaktor. Nehmen wir die Beispiele Aldi und McDonalds. Glauben Sie ernsthaft, diese Wettbewerber könnten sich nachhaltig im Markt behaupten, wenn sie nicht Top-Qualitätsanforderungen erfüllen würden? Der wahre Erfolgsgarant dieser Ketten ist doch, dass sie auf einer unzweifelhaft hohen Qualität aufsetzen und damit die Preisanreize erst wirklich schlagend werden können. Umgekehrt: Wer keine Top-Qualität liefert, darf erst gar nicht mitspielen.

Finanzdienstleistungen sind grundsätzlich auch ein „Commodity“. Und wer sich ernsthaft mit den Testergebnissen und Befragungen hinsichtlich der Qualität von Beratung und Produkten beschäftigt, wird sich schwertun, ein durchgehendes Muster zu erkennen. Schneidet etwa die Deutsche Bank immer besser ab als Sparkassen und Volks-/Raiffeisenbanken, weil man in ihren Schaufenstern von „Deutschlands bester Bank“ lesen kann? Mit welcher Begründung nennt sich die IND Diba „Deutschlands beliebteste Bank“? Warum werden bei allen Regional-Tests immer etwa zwei Drittel der Gewinner von Regionalbanken gestellt?

Viele Manager in Finanzdienstleistungs-Unternehmen glauben offenbar noch immer, mit dem Qualitätsargument könne man im Wettbewerb punkten, indem man sich hinter einer starken Marke „versteckt“. Diese Leute machen gleich in zweierlei Hinsicht einen großen Fehler. Zum einen glauben sie, die starke Marke würde dem einzelnen Institut (in einem Verbund) bzw. der einzelnen Filiale (in einem Konzern) ein wettbewerblich einzigartiges, differenzierendes Image verleihen. Das stimmt nicht, denn bspw. die starke Marke „Sparkasse“ hilft zwar dem einzelnen Institut, ein grundsätzlich positives Image bei den Kunden zu verankern, im Wettbewerb vor Ort gegen eine ebenfalls positiv beleumundete Volks- oder Raiffeisenbank hilft es ihr aber überhaupt nicht.

Zum anderen neigen diese Manager dann auch dazu, mit relativ platten Vergleichen den Wettbewerb schlecht zu reden, so als seien dies alles Dummköpfe oder Faulenzer. Natürlich, wenn man vom Wettbewerb behauptet, er könne nicht rechnen und schreiben, und man selbst ist dessen mächtig, ergäbe sich daraus ein klares Differenzierungspotenzial. Aber so verhält es sich in der Realität nicht, denn auch die Anderen verstehen ihr Geschäft.

Besonders problematisch wird es, wenn z.B. in den Verbundorganisationen einzelne Bankmanager ihre eigene Untätigkeit hinsichtlich der Positionierung und Differenzierung des eigenen Instituts im eigenen Regionalmarkt, also ihre konzeptionelle Faulheit, mit der Zugehörigkeit zur starken Dachmarke entschuldigen. Man kann das sehr schön daran messen, zu welchen Anteilen diese Manager in einem Gespräch über den Gesamt-Verbund und seine Herausforderungen, Stärken und Schwächen reden und zu welchen Anteilen über ihr „eigenes“ Institut. Und da es an übergreifenden Themen nicht mangelt, kann man sich gut und gerne tagelang mit viel Interessantem beschäftigen, nur nicht mit der eigenen Aufgabe.

„Qualität“ ist in diesem Sinne ein trügerisches, aber kein unmögliches Differenzierungs-kriterium. Eine Regionalbank kann sich sehr wohl über „Qualität“ differenzieren, aber es muss die Differenzierung der Bank selbst sein. Die Sparkasse Aachen hat als eine der ersten Groß-Sparkassen ein „Serviceversprechen“ formuliert, das sehr konkret definiert, woran sich die Sparkasse unter dem Qualitätsaspekt messen lassen will. Sie macht die meisten Versprechen auch konkret messbar und provoziert die Rückmeldung der Kunden durch einen in Aussicht gestellten kleinen Geldbetrag, wenn Kritik schriftlich geäußert wird. Dies unterscheidet sich deutlich von den üblichen unverbindlichen Service- oder Leistungs- oder Qualitätsversprechen, die keinen Kunden (und die wenigsten Mitarbeiter) interessieren.

Insbesondere Mitarbeiter haben ein gutes Gefühl, ob sich die eigene Bank im eigenen Markt positiv von ihren Wettbewerbern unterscheiden will und kann. Die Zugehörigkeit zu einer noch so starken Dachmarke, die ja auch nur übergreifende Begrifflichkeiten und Werte transportieren kann, macht das einzelne Institut noch lange nicht „sexy“. Jedes Institut hat die Möglichkeit, eigentlich auch die Pflicht, sich im regionalen (oder überregionalen) Wettbewerb zu unterscheiden. Slogans wie „Leistung aus Leidenschaft“ oder „Hier sind Sie die Nr.1“ mögen Marketing-technisch toll klingen, versagen aber völlig hinsichtlich der Identifikation von Mitarbeitern und Kunden.

Die Menschen wollen mehr als platte Slogans; sie wollen Botschaften, die sie hinterfragen können und die konkret erfahrbar und bewertbar sind. Ansonsten müsste sich jede Sparkasse hinter dem Slogan „Wir sind für den Weltfrieden“ versammeln, um möglichst breite Akzeptanz zu finden. Man kann sich nur wenige Menschen vorstellen, die dem nicht

zustimmen würden, aber was hätte das mit der spezifischen Leistungsfähigkeit der einzelnen Sparkasse zu tun?

Dieses bewusst abstruse Beispiel macht deutlich, worum es künftig geht. Jede einzelne Bank braucht etwas, das sie unverwechselbar macht. Dabei liefern Dachmarken nur das „Grundrauschen“, d.h. den Rahmen, in dem sich das Geschäftsmodell und das Selbstverständnis grundsätzlich bewegen. Die Dachmarken-Botschaften sind, das ist unvermeidbar, übergreifend, und damit mit anderen Dachmarken-Botschaften überlappend. Dies gestattet es der einzelnen Bank in keiner Weise, sich auf dieser Marke auszuruhen, denn ansonsten wird die Austauschbarkeit der Dachmarke in den Regionalmarkt transportiert. Es beleidigt Mitarbeiter, Kunden und Wettbewerber, wenn man mit platten Slogans meint, dem Differenzierungsgebot Genüge getan zu haben. Die Frage nach der Differenzierung des einzelnen Instituts ist ein anderer Zugang zu der Frage nach der „Seele“ des Unternehmens (s. Standpunkt Nr. 1).

Machen Sie nicht den „Mercedes-Fehler“, sich zu lange auf dem vermeintlichen Wettbewerbsvorteil der Qualität auszuruhen. So wie Autofahren heute ganz selbstverständlich technische und sinnliche Facetten berücksichtigen muss, wird auch das Banking schon heute nicht nur mit sachlichen Argumenten erfolgreich betrieben. „Sexy“, also besonders zu sein, steht auch nicht im Widerspruch zu aufsichtsrechtlichen Anforderungen, falls jemand meint, hier bestehe noch ein Helden-Notausgang.

Wer mir dies nicht glauben will, dem empfehle ich die Lektüre des Management-Klassikers „Wettbewerbstheorie“ von Michael Porter, wahrscheinlich jetzt in der 150. Auflage. „Wer sich nicht unterscheidet, wird untergehen“, ist seine Botschaft, und sie ist gewissermaßen der Artikel 1 des Management-Grundgesetzes. Damit ist natürlich gemeint, sich positiv und nachhaltig zu unterscheiden, und implizit ist auch gemeint: Biege Dir die Realität des Wettbewerbs nicht so hin, wie Du es gerne hättest, damit Du es Dir einfach machen kannst.

Diejenigen, die sich daran gemacht haben, die Einzigartigkeit des eigenen Instituts wirklich zu erfassen und zu beschreiben, wissen, dass dies nicht einfach ist, vor allem, wenn gebildete Menschen, vor allem die eigenen Mitarbeiter, der Botschaft folgen sollen. Langweilig kann jeder; seien sie „sexy“.

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Sommer und sende Ihnen herzliche Grüße aus Brand Hans-Dieter Krönung