#26 – Sportlicher Wettbewerb

„Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern.“

(Nelson Mandela)

Vor einigen Jahren erregte Clint Eastwood als Regisseur mit einem Film großes Aufsehen, der die authentische Geschichte des Versuchs der Überwindung der Apartheid in Südafrika durch Sport beschrieb. Der Film heißt „Invictus“ und beschreibt, wie Nelson Mandela durch seine Behandlung des südafrikanischen Rugby-Teams, des Inbegriffs des „weißen Sports“ in Südafrika während der Apartheid (die „Schwarzen“ spielten Fußball), dem ganzen südafrikanischen Volk den Weg zur Versöhnung von „Schwarz“ und „Weiß“ zeigte. 

Der Film beschreibt, wie Mandela einerseits seine schwarzen Mitstreiter davon überzeugte, nicht nur die verhassten Embleme und Farben der „Springbocks“, wie sie genannt wurden, beizubehalten, sondern dieses Team bei der im kommenden Jahr in Südafrika stattfindenden Rugby-Weltmeisterschaft sogar zu unterstützen, andererseits den weit überwiegend weißen Spielern des Teams, die er in die Townships von Johannesburg zum Trainieren schickt und ihnen die neue, „schwarze“ Nationalhymne als Kraftquelle nahebringt, deutlich macht, dass sie einen maßgeblichen Anteil am Zusammenwachsen von „Schwarz“ und „Weiß“ haben. Er fordert von dem Team sogar das für unmöglich Gehaltene, nämlich den Gewinn der Weltmeisterschaft im eigenen Land.

Es gehört zu  den zahlreichen kleinen und großen Wundern des Sports, dass sich dieser Traum tatsächlich erfüllte; Südafrika wurde Weltmeister im eigenen Land. Wenn man im Film die vielen kleinen und  großen Szenen sieht, die beschreiben, wie sich weiße Polizisten und schwarze Jungs während des Finals langsam physisch annähern und schließlich gemeinsam feiern, wie die schwarzen und weißen Bodyguards Mandelas schließlich gemeinsam Rugby spielen und wie die Menschen schließlich gemeinsam feiern, dann vergisst man natürlich nicht die nach wie vor schwierige Realität in Südafrika, aber man bekommt ein Gefühl dafür, wo das Land möglicherweise stünde, wenn es dieses Ereignis nicht gegeben hätte.

Noch heute wird in Österreich die Erinnerung an „Cordoba“ gepflegt, mit einem Augenzwinkern zwar, aber dennoch nicht ohne wichtigen Kern, nämlich, dass es im Sport immer möglich ist, als „Kleiner“ einem „Großen“ ein Bein zu stellen. In Deutschland weiß man den Wert der Weltmeisterschaft 1954 noch immer zu schätzen, und auch 2006 war für das relativ frisch wiedervereinte Land ein wunderbares „Sommer-Märchen“, wie in dem gleichnamigen Film von Sönke Wortmann sehr überzeugend gezeigt.

Sport ist eine weitgehend unkritische Form, Kollektiv- oder auch Nationalstolz zu zeigen; mit Chauvinismus hat das in der Regel nichts zu tun. Wenn sich die Fußballer Bosnien-Herzegowinas mit einem ganzen Land darüber freuen und feiern, dass sie erstmals an einer WM-Endrunde teilnehmen können, dann ist das kein revanchistischer Akt gegenüber den ehemaligen Kriegsgegnern aus Serbien, die nicht dabei sein werden, sondern reine Freude über das durch eigene Kraft Erreichte.

„Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern“, sagte Mandela, und er hatte Recht. Es geht dabei nicht immer um die große Welt des internationalen Spitzensports, sondern sogar vor allem um die vielen kleinen Welten des Amateur- oder Freizeitsports. Wir messen uns gerne mit anderen, meist zum Spaß, aber selten, ohne uns anzustrengen. Sport hat also vor allem die Kraft, Energien zu wecken, Gemeinschaftsgefühl zu verstärken und unverfänglich Stolz zu zeigen.   

Der Psychologe Daniel Kahnemann („Schnelles Denken, langsames Denken“) hat gezeigt, dass alle Menschen Impulse brauchen, um über das, was sie tun, nachzudenken bzw. darüber zu reflektieren. Dabei haben alle Menschen im Detail andere Trägheits-Hürden, die überwunden werden müssen. Führungskräfte sind in den meisten Fällen deshalb Führungskräfte geworden, weil sie die Veranlagung mitbringen, sich leichter motivieren zu können, mehr zu leisten, also haben sie tendenziell einen geringeren Impuls-Bedarf. Es ist schon belustigend, wenn eine Top-Führungskraft nicht versteht , dass nicht jeder Mitarbeiter in gleichem Maße „intrinsisch motiviert“ Tag und Nacht nur daran denkt, was er noch mehr tun könne, um das Unternehmen weiterzubringen, wie er selbst. 

Es ist normal und auch legitim, dass nicht jeder Mitarbeiter seine Erfüllung in der Arbeit sieht, sondern sein Engagement auf Freizeit- oder ehrenamtliche Tätigkeiten legt. Man kann und darf nicht voraussetzen, dass jeder so zu denken hat wie der Vorstandsvorsitzende.

Es ist aber ebenso legitim und notwendig, seitens der Führungsmannschaft alles zu versuchen, die Mitarbeiter für das „eigene“ Unternehmen zu begeistern. Leider sind die meisten Top-Manager in dieser Hinsicht relativ phantasielos.

„Das muss die Führungsmannschaft jetzt umsetzen“, heißt der ebenso falsche wie immer wieder verwandte Leitsatz der Kommunikation strategischer Ziele in die Organisation, also in die Köpfe der Mitarbeiter. Dieser Satz ist deshalb falsch, weil er implizit unterstellt, dass alle Führungskräfte in gleicher Weise zu denken und zu handeln haben, wie es sich die Top-Führungsebene vorstellt.

Die Aufgabe von Führungskräften besteht nämlich vor allem darin, die Top down-Botschaft für die „eigene“ Organisationseinheit zu übersetzen, d.h. Mittel und Wege zu finden, dem Geist, Sinn oder Zweck der Botschaft Relevanz für das tägliche Tun zu verleihen.

Nur wenn die Botschaft sinngemäß operationalisiert wurde, kann sie die Köpfe der Mitarbeiter erreichen. Das bedeutet aber auch, dass eine Führungskraft eine Gestaltungsverantwortung bei der Übersetzung der Botschaft haben muss, die wiederum Heterogenität zulassen muss.

Dies ist auch der Grund, weshalb es oft so schwer ist, neue  Konzepte in die Mannschaft zu bringen. „Führung“ ist kein zuverlässiger Faktor der Transformation, weil er zwangsläufig heterogen und sporadisch sein muss. Man kann eben nicht immer selbst neben dem Mitarbeiter sitzen und sein Tun und Denken beeinflussen. Da aber, wie Kahnemann zeigt, eine gewisse Form von Druck aufgebaut werden muss, um Lethargie in einer Organisation zu verhindern, sind viele Führungskräfte damit überfordert, immer die richtige Balance zwischen Druckerzeugung und Coaching zu finden. Meist überwiegt das Eine oder das Andere, und damit wird dann das Potenzial nicht ausgenutzt.

Sportlicher Wettbewerb kann eine sehr leistungsfähige Unterstützung für den Führungsprozess sein, denn im sportlichen Wettbewerb erzeugter Druck, das kennen die meisten aus eigener Erfahrung, wird nur sehr selten als negativer Druck wahrgenommen. Teams, die sich im Wettkampf messen, entwickeln eine andere Form von Druck, weil sie den gemeinsamen Erfolg anstreben. Es ist ja schon viele Male passiert, dass dabei Leistungen herauskamen, an die selbst die Beteiligten vorher nicht zu denken gewagt hatten.

Das Wirkungs-Geheimnis sportlichen Wettbewerbs liegt zum einen in der Gruppendynamik, die ein im Team erlebter Wettkampf erzeugt, und zum anderen in der Fokussierung auf die Optimierung der Leistung.  Beides wünschen wir uns als Manager auch im beruflichen Alltag. Eine Filiale, die sich als Team wahrnimmt, gemeinsam kämpft und Erfolge erzielt, macht die wunderbare Erfahrung, was sie als Team zu leisten imstande ist. 

Die meisten Manager machen allerdings den Fehler, sportlichen Wettbewerb als temporäre Aktion (!)  zu positionieren. Eine Vertriebskampagne, die bspw. als Wette gegenüber einem Vertriebspartner (bspw. Versicherungsvertrieb über Bankfilialen) konzipiert wird, erzeugt für die Dauer der Kampagne einen positiven Stimmungseffekt, der aber verpufft, sobald die Aktion beendet ist.  Ich sehe den Hauptgrund für diese Aktions-Orientierung darin, dass man den sportlichen Wettbewerb als wenig seriöses, eher minderwertiges Motivationsinstrument ansieht. Alles, was explizit auf Emotion als Treiber abzielt, gilt in gehobenen Managementkreisen als nicht ernstzunehmendes Management-Instrument. Was nicht nüchtern und sachlich beschrieben und organisiert werden kann, gehört nicht in das Repertoire des Top-Managers.

Das ist sehr schade, denn Sport ist nicht minderwertig, sondern  ein anerkannter und vor allem allgegenwärtiger Motivationsfaktor. Manch ein nüchterner Top-Manager bekommt

beim Bundesliga-Spiel seines Vereins jedes Wochenende fast einen Herzinfarkt, lehnt aber montags jede Installation von Wettbewerbsmodellen zur Mitarbeiter-Mobilisierung ab. 

Wettkampf gegen andere Wettbewerber ist ein wichtiger Faktor, der offensiv gespielt werden sollte. Besser sein zu wollen, um den anderen zu schlagen, das ist eine elementare Triebfeder in unserer Wirtschaftsordnung.  Man darf sie nur nicht als Eliteveranstaltung missbrauchen, wie es oft geschieht.

Ich habe mich immer gefragt, ob die Initiatoren der „Best of ..-Shows“, bei denen die Top-Leister den anderen als Vorbilder präsentiert werden, nicht selbst merken, dass immer die Gleichen auf dem Treppchen stehen, dass diese Veranstaltungen also gerade nicht die erhofften Sehnsüchte und Sogwirkungen erzeugen.

Sportlicher Wettbewerb muss „systemisch“ sein, d.h. er erzielt nur dann die gewünschte nachhaltige Wirkung, wenn die ganze Organisation einbezogen ist, sich also keiner entziehen kann. Wenn alle mitmachen, also keine Anonymitätszonen entstehen, erzeugt Sport die erhoffte Gruppendynamik. Wenn sportlicher Wettbewerb zum selbstverständlichen Alltag wird, erzeugt er die gewünschte nachhaltige Veränderung. Man kann den Wettbewerb unter den Filialen durch intelligente Wettbewerbsmodelle („Liga-System“) ankurbeln, man kann immer wiederkehrende (seriöse) Vertriebswettbewerbe gegen die Konkurrenz gewinnen wollen, Ideenwettbewerbe zwischen Organisationseinheiten durchführen, Wetten gegen Vertriebspartner organisieren und/oder Planungsprozesse dezentralisieren; entscheidend ist, dass man den sportlichen Wettbewerb „lebt“, d.h. ihn zu einer alltäglichen Selbstverständlichkeit werden lässt. Das nennen wir in der Mobilisierung „systemisch“.

Emotion ist die wahrscheinlich entscheidende Triebfeder menschlichen Verhaltens. Sport weckt Emotionalität, nicht bei  jedem Mitarbeiter, aber wenn alle, die für Ihren Fußballverein mit-fiebern, dies auch für das Unternehmen, in dem sie arbeiten, täten, wäre schon viel gewonnen. Manager sollten sich nicht zu fein sein, mit Emotionen zu arbeiten. Es gibt natürlich, wie immer, auch dafür Grenzen, aber die sind in der Finanzbranche noch bei weitem nicht ausgeschöpft. 

Probieren Sie es aus; Sie werden überrascht sein, dass auch bei Ihnen der Sport die Kraft hat, die Welt zu verändern.

Herzliche Grüße aus dem Brandner Herbst.

Hans-Dieter Krönung