„Ich wünschte, es würde Nacht oder die Preußen kämen“
(Admiral Wellington während der Schlacht von Waterloo)
Z Gotts sei Dank kamen die Preußen unter Blücher noch rechtzeitig dem bedrängten Admiral und seinen englischen Truppen zu Hilfe. Die Schlacht bei Waterloo wurde von den englischen und preußischen Truppen gewonnen und Napoleon war endgültig Geschichte. Der große (kleine) Kaiser der Franzosen musste von seinem Feldherrenhügel aus mit ansehen, wie seine Truppen zuerst die Ordnung und dann den Kampfgeist verloren. Und hätte Napoleon nicht seinen Marschall Grouchy mit einem erheblichen Anteil seiner Truppen zuvor den scheinbar fliehenden preußischen Truppen hinterher geschickt und hätte Grouchy auf seine Generäle gehört und die Verfolgung abgebrochen, um seinem Kaiser zu Hilfe zu eilen, wer weiß … Stefan Zweig hat diesem Wimpernschlag der Weltgeschichte mit seiner „Weltminute von Waterloo“ ein brillantes literarisches Denkmal gesetzt.
Hätte die Schlacht von Waterloo nicht 1815, sondern nur 20 Jahre früher stattgefunden, wahrscheinlich hätte sich Napoleon seinen Soldaten vorausstürmend selbst in die Schlacht geworfen, wie 1796 bei der Schlacht von Arcole. Aber während dieser kurzen Periode hatte die Waffentechnik bedeutende Fortschritte gemacht, vor allem in der Artillerie. So lernten die Schlachtenlenker zunächst den Feldherren-Hügel und später die beschlagnahmten Schlösser („Chateaux-Generalität“ im 1. Weltkrieg) als Kommandozentralen kennen, weil die Gefahr, im Kampf verletzt oder getötet zu werden, zu groß geworden war.
Heute werden Kriege anonym und steril über tausende von Kilometern gesteuert. Kampfeinsätze mit menschlichem Großeinsatz gehören immer weniger zum Alltag des Krieges; Drohnen, Marschflugkörper und Roboter ersetzen auch hier den Menschen in seiner ehemals zentralen Rolle. Das macht den Krieg für die Opfer nicht minder grausam, ist aber ein Beispiel für den Zeitgeist, der globaler und anonymer geworden ist.
Wie seltsam mutet es da an, wenn der mächtige Chef eines der größten Automobil-Unternehmen der Welt, Martin Winterkorn, auf der IAA in Frankfurt in ein Wettbewerber-Fahrzeug des VW Golf steigt und es vor der Weltöffentlichkeit sichtbar genauestens untersucht. Zwar verdanken wir dieses bemerkenswerte Zeitdokument einem anonymen Handy-Filmer, der flugs die hintere Sitzreihe bestieg, als Winterkorn hinter dem Steuer Platz nahm, aber man darf getrost annehmen, dass die VW-Bosse sehr wohl damit gerechnet hatten, dass ein solches Video schnell in Youtube weltweit verschickt werden würde. Und natürlich hat ein Amateur-Video eine deutlich höhere Glaubwürdigkeit als ein offizielles
Unternehmens-Video, das zeigen soll, wie intensiv sich der Chef mit dem Wettbewerb auseinandersetzt.
Außerordentlich bemerkenswert an diesen Aufnahmen ist, dass Winterkorn sehr schnell feststellt, dass die Lenkrad-Verstellung beim Wettbewerb nicht klappert, wenn man sie benutzt („Da klappert nix“). Der Lenkrad-Verstellungshebel klappert. Ich muss gestehen, dass ich überlegen müsste, wo der entsprechende Hebel bei meinem Wagen sitzt, geschweige denn, ob er klappert, wenn ich ihn benutzen würde.
Wenn man also unterstellt, dass es kein Betriebsunfall war, dass sich der VW-Chef bei der Wettbewerber-Analyse filmen ließ, dann stellt sich die Frage nach der eigentlichen Zielsetzung. Wenn man weiterhin weiß, dass VW Weltmarktführer werden will, und zwar mit dem zentralen Differenzierungsfaktor „Qualität“, dann erscheint dieser Auftritt schon deutlich klarer in seiner Botschaft. Denn die Adressanten dieser Aktion sind doch nicht die Kunden, sondern die eigenen Mitarbeiter, die sehen und erleben, wie Ihr Chef das Qualitätsmanagement vorlebt. Herrhausen, der uns sagte, dass man das, was man tut, auch sein muss, hätte die Authentizität zwischen Botschaft und Person nicht besser darstellen können als es Winterkorn mit seiner Aktion tat.
Die Botschaft ist aber auch noch ein andere: In einer Zeit, in der Unternehmensführer immer noch viel zu oft den Schlachtenlenker auf dem Feldherren-Hügel geben, wo Manager ihr Unternehmen „mit der Fernbedienung aus dem Fernsehsessel“ führen, wie Henry Mintzberg so schön und treffend sagte, tut es gut, einen Chef zu erleben, der da ist, wo das Unternehmen tatsächlich stattfindet.
Welcher Bankvorstand kann den Wertpapier-Beratungsbogen selbst ausfüllen? Welcher Bankvorstand arbeitet noch selbst am Kunden, d.h. nicht nur an der Handvoll Top-Kunden, sondern im Retail- und Mittelstandsgeschäft, wo das Geld verdient wird? Welcher Bankvorstand, der sich heftig darüber beklagt, dass zu wenig strukturierte Vertriebsarbeit geleistet wird, kann einen FinanzCheck oder einen Finanzplan selbst in einem Kundengespräch ausfüllen? Welcher Bankvorstand macht noch regelmäßig Dienst am Bankschalter, um sich mit den Kunden auch operativ auseinanderzusetzen?
Sie meinen vielleicht, dass man das von einem Bankvorstand angesichts der vielen Termine, besonders auswärts, nicht erwarten könne. Das mag sein, aber ich kenne einige Bankvorstände, die es trotzdem hinbekommen. Und zwar, weil sie es wollen, weil es ihnen wichtig ist.
Mir fällt immer wieder auf, dass sich diejenigen am meisten über die Belastungen aus der Regulierung beschweren, die operativ damit überhaupt nichts zu tun haben, während die wenigen, die regelmäßig draußen in den Filialen oder beim Kunden sind, deutlich weniger Probleme damit zu haben scheinen. Das bedeutet nicht, dass wir nicht tatsächlich in einer
Welt der Überregulierung leben, aber ich werde den Verdacht nicht los, dass die Regulierungswut, die über den Finanzdienstleistungssektor hereingebrochen ist, zu vielen Top-Managern auch als Ausrede dient.
In manchen Mobilisierungsprojekten stellen wir fest, dass sich ein Teil der Führungskräfte schwer damit tut, die Mitarbeiter zu motivieren, zu „coachen“ bzw. zu unterstützen. Die „Fernbedienung aus dem Fernsehsessel“ ist ja mitnichten ein Phänomen nur aus den Top-Etagen, sondern hat sich ja wie ein Pilzbefall auch in weite Teile des mittleren Managements ausgedehnt. Ziele zu empfangen, sie 1:1 weiterzugeben und deren Realisierung zu kontrollieren, ist natürlich einfacher als vorne an der Front mit anzupacken. Es fehlt häufig das Selbstverständnis, noch selbst mit anpacken zu sollen; mitunter, weil man es auch gar nicht mehr kann.
Ich kenne (noch zu wenige) Bankvorstände, die in diesen Zeiten mit gutem Beispiel vorangehen, ihren Mannschaften ein Vorbild sind, indem sie das tun, was getan werden muss, vor allem am Markt. Ich erlebe diese Manager als positiv denkende, die Mitarbeiter wertschätzende und die Rahmenbedingungen als Chance begreifende Menschen. Es gelingt diesen Führungskräften, die Mannschaften zu besonderen Leistungen anzuspornen, indem die Erfolge gefeiert und die Potenziale gemeinsam angegangen werden. In diesen Häusern werden die Mitarbeiter in die Planungen einbezogen; es sind zumeist deren Planungen. In einem Klima, in dem Leistung gewertschätzt wird, weniger durch Geld als durch persönliche Anerkennung, gedeiht Überdurchschnittliches. Es gibt Retailbanken, die wachsen in diesen Zeiten im Volumen und im Ertrag. Das geht, erfordert aber, nah bei den Leuten zu sein.
Es ist aus der Mode gekommen (und bequemer), selbst an den Barrikaden zu stehen oder voran zu stürmen. Viele Mitarbeiter in den Filialen sind verunsichert und über die Jahre auch enttäuscht über die geringe Wertschätzung ihrer Arbeitsleistung. Da nutzt es wenig, wenn die Führungskraft einen Workshop mit Flipchart und Mentaltrainer macht, der die Rollen und Erwartungen diskutiert und ausformuliert. Das dann entstehende Protokoll ist ein Muster ohne Wert. Der WM-Kommentator Mehmed Scholl hat sehr schön gesagt, dass erfolgreiche Teams nicht beim Klettern auf Baumstämmen, sondern durch Erfolg auf dem Platz entstehen, wie man bei dieser Weltmeisterschaft wieder einmal gesehen hat. Team bedeutet aber auch für die Führungskraft, Teil des Teams und auch Teil der Mission zu sein. Gehen Sie dahin, wo es klemmt. Helfen Sie denjenigen, die Hilfe brauchen, indem Sie mitarbeiten und mit ihnen die Probleme lösen. Gehen Sie voran bei den schwierigen Aufgaben, insbesondere bei der Regulatorik. Zeigen Sie Ihren Leuten, dass es möglich ist, Geschäft zu machen auch in diesen Zeiten und trotz dieser Rahmenbedingungen. Verdienen Sie sich deren Respekt und Anerkennung durch Vormachen, nicht durch Kontrolle. Manch eine Gremiensitzung kann verkürzt oder verschoben werden. Befreien Sie Ihren Kalender von all dem nutzlosen Müll, der Sie behindert, vor Ort bei Ihrer Mannschaft zu sein. Schaffen Sie Platz für das Wesentliche.
Es ist schlimm, dass noch immer so viele Kriege geführt werden und hoffentlich bleiben uns und unseren Kindern diese Dinge erspart. Kriegsführung sollte auch nicht als Management-Leitbild fungieren, bestenfalls zur Abschreckung. Wettbewerb kann und sollte Spaß machen; wir sind doch keine Sozialdarwinisten, nach denen das Dasein aus Kampf und Auslese besteht.
In diesen Zeiten der Unsicherheit ist der Platz der Führungskräfte, auch des Top-Managements, bei der Mannschaft, nicht auf dem Feldherren-Hügel. Auf dem Marktplatz, beim Wettbewerb um die besten Lösungen für die Kunden, wird jeder Kopf gebraucht; „Chateaux-Generalität“ ist passe.
Viele von uns leben seit Jahren in einer Mühle des Termin-Diktats. Und man hat sich daran gewöhnt, dass der Tagesablauf fremdbestimmt ist. Gremiensitzungen, Routine-Veranstaltungen, Repräsentationen etc. werden über Sekretariats-Prozesse gesteuert. Fragen Sie sich doch einmal in einer ruhigen Minute, wie Sie in Ihrem Unternehmen wahrgenommen werden wollen und welchen Wert Sie persönlich für den Erfolg des Unternehmens erbringen. Wo können Sie dem Unternehmen wirklich am meisten helfen?
Gut, manchmal bekommt man beim Hilfsangebot zu hören: „Danke, aber es ist auch ohne Dich schon schwer genug“. Aber es ist ja auch noch keine Top-Führungskraft vom Himmel gefallen. Die Amerikaner sagen ja: „Winning starts with beginning“. Probieren Sie es aus; es könnte Spaß machen.
Ich wünsche Ihnen Mut und Tatkraft beim Entdecken Ihrer Stärken.
Herzliche Grüße aus Brand
Hans-Dieter Krönung