„We don`t need no education, we don`t need no thought control“
(Pink Floyd, The Wall)
Die Herren von Pink Floyd, mittlerweile alle über 60 bzw. schon verstorben, haben mehrfach Meilensteine der Rockgeschichte geschrieben. Die Älteren unter uns erinnern sich an das Konzert in den Ruinen von Pompeji, das Meisterwerk über die Rückseite des Mondes oder die Auseinandersetzung mit traumatischen Erlebnissen der Bandgeschichte in „Wish you were here“. Den Schluß- und vielleicht Höhepunkt dieser zweifellos genialen, weil immer wieder außergewöhnlichen und überraschenden Schaffenskraft dieser vier Herren bildet „The Wall“, die Geschichte vom durch die bürgerliche Gesellschaft gequälten und an ihr verzweifelnden jungen Mannes, der sich schließlich seine „Mauer“ baut, um die innere Emigration zu vollziehen.
Die Bilder von den sadistischen Lehrern, die ihre privaten Frustrationen an ihren Schülern auslassen und wie Marionetten fremdbestimmt durch die Klassenzimmer tänzeln, haben sich bei vielen von uns ebenso unauslöschlich eingeprägt wie der oben zitierte Ohrwurm mit dem Chor der Schulkinder.
Der Umgang mit Führung beginnt ja in der Schule. „Gute“ Lehrer vermitteln nicht nur Wissen, sondern verankern das Wissen auch in den Köpfen der Schüler, weil sie Mittel und Wege finden, die Kinder für die Aufnahme des Lernstoffs zu öffnen bzw. zu begeistern.
Die reale Situation in den Schulen scheint aber mehrheitlich eine andere zu sein. Jeder Dritte der rund 700.000 Lehrer in Deutschland klagt über Burn out-Syndrome, gleichzeitig sinkt die Zahl der Schüler, die noch Spaß am Unterricht haben. Und so steigt die Zahl der Lehrer, die an Humor-Seminaren teilnehmen, nach dem Motto: Wenn ich Spaß mache und spaßig bin, haben vielleicht auch die Schüler wieder mehr Spaß. Dabei kann man sich sogar anscheinend auf wissenschaftliche Untersuchungen stützen, nach denen die Hirnforschung festgestellt hat, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen Freude und Lernfähigkeit gibt.
So weit, so gut. Die Hirnforschung hat aber auch festgestellt, dass das neuronale Belohnungssystem eine Phase der Anstrengung braucht, um Glückshormone (Dopamin) freizusetzen. Der „Freude-Modus“, wie ihn die Wissenschaftler nennen, benötigt zuvor die Anstrengung, etwa durch konzentriertes Lernen, um überhaupt ablaufen zu können. Spaß ist also an sich überhaupt nicht geeignet, Leistung zu fördern, wenn nicht auch das kongeniale Gegengewicht der Anstrengung oder Konzentration präsent ist.
Wenn also ein Lehrer fachliche oder didaktische Mängel durch Komik oder auch multimediale Feuerwerke zu kompensieren sucht, geht der Schuss meist nach hinten los.
Denn die Kinder, so zeigen viele Untersuchungen, wissen sehr wohl, bei wem sie etwas lernen. Und meistens korreliert eine kompetente Wissensvermittlung sogar mit Spaß am Lernen. Die Pädagogen und Wissenschaftler erklären das mit dem systematisch vermittelten Glücksgefühl, das beim erfolgreichen Lernen eintritt („Ich kann etwas“).
Die Abhängigkeit von „guten“ Lehrern bzw. das Risiko zu vieler „schlechter“ Lehrer hat in den Schulbehörden den Drang verstärkt, durch umfangreiche Lehrpläne, die Vereinheitlichung von Prüfungen sowie die Detaillierung der didaktischen Prozesse den „Soll-Prozess“ zu schaffen, der die Kontrolle des Lernprozesses verbessern soll. Dies wiederum führt zu der Beobachtung, dass viele Lehrer die Eigeninitiative mehr oder weniger eingestellt haben und die vorgegebenen Lehrpläne mit Druck in die Klassenzimmer tragen. So wird nicht Dopamin, sondern Adrenalin ausgeschüttet, mit den geschilderten Folgen der steigenden Frustration für Lehrer und Schüler.
Barry Schwartz schildert in seinem bereits zitierten Buch „Practical Wisdom“ die Bemühungen der Kindergarten-Betreiber in Chicago, den Kindergärtnerinnen präzise vorzugeben, wie sie mit den Kindern ein bestimmtes Buch zu behandeln hätten. Das Buch, das einen Umfang von 15 Seiten hat, wird durch eine Bearbeitungsanweisung begleitet, die knapp 100 Seiten umfasst und in der exakt vorgeschrieben wird, was die Kindergärtnerin zu welchem Bild in dem Buch, wörtlich präzise vorgeschrieben, zu sagen hat. Das Gegenteil von „Gut“ ist eben „Gut gemeint“.
Ist es nicht auffällig, dass diese Schilderungen und Befunde aus der Pädagogik 1:1 in das operative Tagesgeschäft in den Unternehmen zu übertragen ist? Sind die Manager nicht auch täglich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, selbständig mitdenkende und engagierte Mitarbeiter zu entwickeln und dem Zwang, bestimmte einheitliche Mindeststandards durch Vorgabe und Kontrolle sicherzustellen?
Ist es da verwunderlich, dass viele Führungskräfte im mittleren Management mit der Aufgabe, situativ und individuell die Balance zwischen Anschieben (Druck) und Unterstützung (Hilfe) zu finden, überfordert sind?
Wir müssen uns immer wieder vergegenwärtigen, dass im typischen Management-Verständnis der gesamte, nicht immer kontinuierlich homogene, unternehmerische Steuerungsimpuls nur über den vertikalen Führungskanal umgesetzt wird. Mit anderen Worten: Um vom Plan zum Ist zu kommen, muss das Vorausgedachte und Geplante in die Köpfe und Handlungsweisen der Mitarbeiter, und dies geschieht praktisch ausschließlich durch die hierarchische Führungsstruktur. Dies erklärt ja auch, warum so viele Impulse in den Weiten einer großen Organisation stecken bleiben und nie zu den erwarteten Ergebnissen führen.
Ein neuseeländischer Bildungsforscher hat in einer 15 Jahre dauernden Mega-Studie den Zusammenhang von Bildungserfolg und Lehrform untersucht und festgestellt, dass es diesen Zusammenhang nicht gibt. Große Klassen funktionieren so gut oder schlecht wie kleine Klassen, Frontalunterricht so gut oder schlecht wie Gruppenarbeit; es kommt nur auf den Lehrer an. „Die können machen, was sie wollen, wenn sie es nur können“.
Übertragen würde das bedeuten, dass alle, die immer nur auf den Führungsaspekt als Erfolgsfaktor setzen, Recht haben. Es ist ja auch kein Zufall, dass gerade von Denjenigen diese Studien angeführt werden, die als Anbieter von Führungskräfte-Entwicklungsprogrammen ein Interesse daran haben, dass solche Programme gebucht werden. Es ist aber auch immer wieder erhellend, diese Anbieter danach zu fragen, welchen messbaren Zusammenhang zwischen ihrem Programm und dem Unternehmenserfolg sie nachweisen können; dann wird es schnell einsilbig.
In der Schule und im Unternehmen scheint die wahre Erkenntnis doch zu sein, dass man die Individualität der Führungskräfte nicht nur ertragen, sondern akzeptieren muss. Jede Führungskraft muss im Rahmen der definierten Regeln ihre Individualität ausleben dürfen, um authentisch zu sein. Der Preis, den viele Unternehmen für ihre Prozess- und Kontrollgläubigkeit zahlen, ist ein hoher. Frustrierte oder sogar illoyale Mitarbeiter richten einen gewaltigen Schaden an, der über viele Jahre nicht zu reparieren ist.
Der Preis der Individualität ist Anstrengung, denn es ist eben aufwendiger, Menschen für die gemeinsamen Ziele zu begeistern anstatt ihnen einfach nur Ziele um die Ohren zu schlagen. In den Mobilisierungsprojekten merken wir, wie schwer sich Führungskräfte im mittleren Management häufig damit tun, nicht mehr mit der geliehenen Macht der Hierarchie als „Ersatz-Vorstand“ operieren zu können, sondern sich als authentische Führungskraft, als Unterstützer zu bewähren. Machtattitüden sind doch in Wahrheit nichts anderes als die Vernebelung mangelnder Kompetenz („Wer lacht, hat noch Reserven.“). Dabei kann sich Kompetenz in vielen Gewändern zeigen, von der fachlichen über die Führungs- bis hin zur Persönlichkeits-Kompetenz. Die Führungskraft soll weder formal noch witzig sein; sie soll im Sinne der Authentizität kompetent sein.
In der Mobilisierung, bspw. im Liga-System, gehen wir daher ganz bewusst den Weg, die individuelle Kompetenz der Führungskraft im Zusammenspiel von Team und Wettbewerb zu stärken. Den positiven Druck, den ein sportlicher Wettbewerb ausübt, können Individuen und Teams in Energie umwandeln. Man kann es nicht garantieren, aber empirisch zeigt sich, dass das Zusammenspiel von Team, Wettbewerb und Individualität dazu führt, dass Spaß und Leistung keine Gegensätze sind, sondern sich zwingend ergänzen müssen, um Erfolge zu erzielen und damit auch Glücksgefühle auszulösen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Führung im Unternehmen und Lehren in der Schule nicht.
Erfolgreiche Organisationen zeichnen sich fast immer durch ein sehr gutes Betriebsklima aus, und es ist die Frage nach Henne oder Ei, d.h. ob zuerst das Klima stimmen muss oder zunächst die Erfolge da sein müssen. Da die Dinge miteinander zwingend zusammenhängen, gibt es kein „entweder/oder“, sondern nur ein „und“. Man ist nicht darauf angewiesen, mehrjährige Führungskräfte-Entwicklungsprogramme aufzusetzen, in der Hoffnung, die aktuelle oder gar erst die künftige Generation an Führungskräften zu verändern. Man kann, das zeigen ausnahmslos alle Mobilisierungsprojekte, Leistung stärken, um Erfolge zu erzielen, die dann auch die Stimmung verbessern und so weiter. Man muss nur bereit sein, anzuerkennen, dass Kompetenz, die viele Ausprägungen haben kann und sich am besten auch mit anderen Kompetenzen ergänzen sollte, dauerhaft auch die Grundlage für Spaß ist. Weder Kompetenz noch Spaß sind Selbstzweck; das Unternehmen hat als Arbeitgeber Anspruch auf Leistungsbereitschaft seiner Mitarbeiter und ist nicht nur dafür da, Spaß zu bereiten. Andererseits muss das Unternehmen den Rahmen setzen, in dem sich die Individualität von Führungskräften und Mitarbeitern entwickeln kann. Diesen Rahmen zu definieren und zu setzen ist Top Management-Aufgabe.
So wie es in der Schule einen wichtigen Unterschied zwischen „Entertainment“ und der „Freude am Lernen“ gibt, müssen Manager (und Betriebsräte) den feinen Unterschied zwischen der „guten Stimmung“ und dem „Stolz auf Erreichtes“ kennen, so wie Dopamin und Adrenalin eben nicht das Gleiche sind.
Man kann versuchen, durch populistische Maßnahmen wie die Abschaffung von Zielsystemen gute Laune zu erzeugen, in der Hoffnung, dass sich die gute Laune auch in Erfolge im Markt ummünzen lässt. Das ist naiv und gefährlich, denn wenn sich (wie eigentlich immer) zeigt, dass die Erfolge nicht kommen, ist die Stimmung schlechter als zuvor. Spaß und (!) Kompetenz sind erforderlich, um Erfolge zu erzielen; keines von beiden ist Selbstzweck.
Fragen Sie sich einmal selbst, für welches Modell Sie stehen und was Sie in den vergangenen Jahren getan haben, um beide Erfolgsfaktoren zu entwickeln und zu stärken, denn Sie brauchen beides, um dauerhaft erfolgreich zu sein. „Erfolg ist sexy“, heißt es immer wieder und Sex hat doch etwas mit Spaß zu tun, oder?
Herzliche Grüße aus dem herbstlichen Brand
Hans-Dieter Krönung