#35 – Helden der Arbeit – oder: Warum heißt es eigentlich „Mit-Arbeiter“?

„Denn die einen stehn im Dunkeln, und die andern stehn im Licht. Und man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“

(Berthold Brecht)

Es ist immer wieder schön zu erleben, wie viele Gedanken sich Führungskräfte über das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter machen. Das fällt immer dann besonders auf, wenn Veränderungen anstehen. 

Insbesondere die Frage, was man den Mitarbeitern an Veränderung überhaupt zumuten kann und wie es gelingen kann, keinen einzigen dabei zu verlieren, wird ausgiebig diskutiert. Auch ist es meistens ein großes Thema, wie schnell eine Veränderung greifen kann, ohne dass man die Mitarbeiter damit überfordert. Es müssen daher auch umfangreiche Vorbereitungen getroffen werden, die Veränderungen kommunikativ so zu verpacken, dass man die Schärfe herausnimmt. Stunden werden zugebracht, die richtigen Formulierungen zu finden, die harmlos klingen und beruhigen sollen. „Es ist alles eigentlich gar nicht so gemeint“.

Die nächste Stufe des Veränderungsmanagements ist die Gestaltung von Anreizen. Man will die Mitarbeiter nicht verunsichern, weshalb Prämien für die Leistungsträger ausgehandelt werden. Meist hat auch die Personalabteilung noch die Idee, einen externen Begleiter für das „Change Management“ zu engagieren, der die Teambildung verstärken hilft, denn in der Not soll man ja zusammenstehen. Wenn es gelingen könnte, die Mitarbeiter mit Lust und Freude an der Veränderung mitwirken zu lassen, dann wäre das ja schon die halbe Miete. Strukturveränderungen, neue Prozesse, Mitarbeiterabbau, daran muss man doch Spaß finden können.

Aber das alles überragende Thema ist immer wieder, was man den Mitarbeitern zumuten kann und wie man ihnen die Veränderungen beibringen kann, ohne dass es zu Störungen in der Unternehmenskultur oder den Betriebsabläufen kommt.

Viele Führungskräfte haben dabei in den Jahren ihrer Tätigkeit eine bemerkenswerte Fähigkeit entwickelt, Risiken des Veränderungsprozesses zu erkennen, auch wenn die Veränderung an sich noch nicht einmal konkret ausformuliert ist. Es scheint als würde alleine die Ankündigung einer Veränderung bei vielen Führungskräften schon den Schutzinstinkt wecken, was dann regelmäßig dazu führt, dass sich alle Energie darauf konzentriert, den Veränderungsprozess abzumildern, zu verzögern oder maßgeblich abzuändern. Das alles geschieht natürlich nur im Interesse der Mitarbeiter, denn als Führungskraft hat man schließlich auch eine Fürsorgepflicht.

Wenn diese Haltung dann auf ein Top-Management trifft, das zum einen in der Vorstellung lebt, die Führungskraft kenne schließlich die Mitarbeiter am besten und müsse daher mit den geäußerten Vorbehalten ernst genommen werden, und zum anderen auch davon ausgeht, dass die Last der Veränderung vor allem von den Führungskräften zu stemmen sei, die ja nur die Ansichten der Mitarbeiter wiedergeben, dann wird aus einem groß angelegten Veränderungs-Antritt schnell eine zähe Basar-Verhandlung mit Kompromiss-Charakter.

Dass damit eine Führungsriege sehr oft nur den Status quo verteidigen will und die angeblichen Interessen und Sorgen der Mitarbeiter vorgibt, um nur selbst nichts verändern zu müssen, wird dann nur selten thematisiert.

Ich möchte an dieser Stelle und genährt durch viele Erfahrungen aus Mobilisierungs-Projekten eine Lanze für „die Mitarbeiter“ brechen. Nach meiner Erfahrung stehen die Mitarbeiter sinnvollen (!), weil entweder notwendigen oder reizvollen Veränderungen selten im Wege. Mehr noch, sie setzen sich meist sehr stark für eine Sache ein, deren Sinn sie erkennen, auch wenn die Sache an sich nicht immer leicht ist. Wir erleben Mitarbeiter, die sich sehr stark engagieren, obwohl ihr Arbeitsplatz verschwinden wird und sie noch nicht genau wissen, was aus ihnen wird. Wir erleben Mitarbeiter, die kreativ und engagiert an Ideen zur Verschlankung von Prozesses und Strukturen arbeiten oder auch neue Ansätze im Vertrieb mit Leidenschaft unterstützen.

Wenn es Probleme im Veränderungsprozess gibt, dann in der Regel nicht auf der Mitarbeiter-, sondern auf der Führungsebene. Führungskräfte, die ihre Rolle und ihr Verhaltensmuster „einbetoniert“ haben, deren Führungsverhalten un-kommunikativ ist und die sich mit Gleichgesinnten Im Unternehmen zu einer „Lehmschicht“ gegen Veränderungen verbunden haben, bekämpfen Veränderungen aus reiner Angst, sich wieder neu beweisen zu müssen und es vielleicht nicht zu können. Die Führungskraft, die sich in der Vergangenheit als „Ersatz-Vorstand“ geriert hat und nun Team-orientiert eine „Mannschaft“ begeistern soll, steht möglicherweise vor der Entlarvung, und spürt das.

Diese Führungskräfte werden Tonnen von Material auffahren, um die angeblichen Vorbehalte ihrer Mitarbeiter als Vorwand für die eigene Unwilligkeit zu nutzen. Schlimmer noch: Sie werden versuchen, die Mitarbeiter selbst zu verunsichern, ihnen Angst zu machen vor der Veränderung und sie zu instrumentalisieren, was auch für manche Personalvertretungen gilt.

Intakte Führungskulturen sind Kreislauf-Modelle, wie das Venen-Arterien-System in unserem Körper, und wir wissen, was mit uns passiert, wenn sich dort irgendwo ein Pfropfen bildet. Kreislauf-Modell bedeutet, dass eine Führungskultur in ihrem Kern pluralistisch ist, was nicht mit einer Basis-Demokratie verwechselt werden darf. Pluralistische Kulturen sind solche, in denen ein kommunikativer Durchfluss von Ideen, Fakten und Meinungen tatsächlich besteht. Der Begriff „Mit-Arbeiter“ bedeutet ja auch vor allem, dass sich ein Mensch zugehörig fühlt, auch wenn er maßgebliche Entscheidungen der Unternehmensentwicklung nicht selbst

treffen kann. Pluralismus ist vor allem eine gelebte Wertegemeinschaft, in der keine „Lehmschichten“ existieren bzw. sich entwickelnde Pfropfen schnell identifiziert werden.

Wenn in einer Sparkasse regelmäßig eine anonyme Mitarbeiter-Befragung durchgeführt wird und ein  wiederholtes Ergebnis lautet, dass über 80 % der Mitarbeiter die Strategie der Sparkasse kennen und „gut finden“, dann ist das vor allem ein Indiz dafür, dass sich Mitarbeiter ernst genommen fühlen. Denn wenn Mitarbeiter unzufrieden sind, werden sie sich dennoch zumeist nicht in der Lage sehen, Kritik an der Strategie des Hauses zu äußern, sondern sie werden mehrheitlich sagen, dass sie die Strategie nicht kennen oder nicht verstehen.

Herz-Kreislauf-Systeme funktionieren am besten, wenn sie störungsfrei sind und wenn sie trainiert sind. Auch der Kommunikations-Kreislauf im Unternehmen kann und muss trainiert werden. Das stellt mach eine Sender-orientierte Führungskraft vor große Herausforderungen, denn zum Kommunizieren gehört neben dem Senden von Botschaften auch das Zuhören.

Um eine Lehmschicht zu vermeiden, kann man alle Führungskräfte regelmäßig durch Assessment-Center schicken, um sie „angemessen“ zu verunsichern (wie es in Konzernen häufig zu beobachten ist), aber das kann eigentlich nur ein neuer Top-Manager machen, der sich einen extern unterstützten Überblick über seine neue Führungsmannschaft verschaffen muss. Wirkungsvoller ist die Installation von regelmäßigen Mitarbeiter-Befragungen, die dann aber auch erkennbar ausgewertet und kommentiert werden müssen, Mitarbeiter-Veranstaltungen mit Austauschmöglichkeiten, ritualisierte Mitarbeiter-Informationen und Führungskräfte-Veranstaltungen, die mehr sind als Hof halten.

Das alles nutzt nichts, wenn der pluralistische Wertekanon in diesem Kreislauf-System nicht existiert. Das Gegenteil von „pluralistisch“ ist nämlich „totalitär“, und nur, weil wir diese Begriffe bislang ausschließlich aus der politischen Diskussion kennen, kommen sie uns in einem Management-Kontext fremd und möglicherweise überzogen vor. Sie beschreiben aber sehr zutreffend das hier angesprochene Phänomen.

Menschen haben ein sehr gutes Gefühl dafür, ob sie als Menschen in ihrer Rolle als Mitarbeiter ernst genommen werden oder nicht, ob sie zum Ganzen dazu gehören oder ob sie reine Erfüllungsgehilfen, Statisten,  sind. Wenn die Mitarbeiter in der Wahrnehmung des Managements nur noch „Masse“ oder „Kostenfaktor“ sind, ist der Weg in den Totalitarismus beschritten. Manch ein Top-Manager hat sich Zeit seines Lebens gewundert, dass er zwar von seinen Mitarbeitern mit Respekt, aber nicht mit Zuneigung behandelt wurde, was sich vor allem dann zeigt, wenn es Schwierigkeiten gibt und die Solidarität der Mitarbeiter gefordert ist. Hannah Arendt hat es so brillant beschrieben: „Nichts ist kennzeichnender für die totalitären Bewegungen im allgemeinen und für die Qualität ihrer Führer im besonderen als die verblüffende Schnelligkeit, mit der sie vergessen, und die verblüffende Leichtigkeit, mit der sie ausgewechselt werden können“.

Unternehmen sind zwangsläufig bzw. ex definitionem Organisationen, in denen wenige für viele entscheiden. Das sind demokratische Staatsstrukturen aber auch. Führungskraft zu sein bedeutet daher nicht, einsam entscheiden zu können oder zu müssen, sondern, die Kraftquelle der Mitarbeiter zu nutzen. Das bedeutet, ein störungsfreies und trainiertes (Kommunikations-) Kreislauf-Modell installiert zu haben, das den beständigen Austausch über alle Ebenen möglich macht. Es ist kein Zufall, dass sich im Wettbewerb Familienunternehmen sehr oft besser behaupten als anonym geführte Kapitalgesellschaften. Je mehr Menschen in einem Unternehmen tatsächlich mit-arbeiten, umso besser stehen die Chancen, erfolgreich zu sein.

Denken Sie einmal in Ruhe an Ihre Familie.

Herzliche Grüße aus Brand

Hans-Dieter Krönung