#36 – Die Rathaus-Schlaumeier – oder: Hinterher ist man immer klüger

„Wish I didn´t know now, what I didn´t know then.

(Bob Seeger)

Apple ist zweifellos eine sehr erfolgreiche Firma. Vor kurzem hat Apple den höchsten Quartalsgewinn eingefahren, den je ein Unternehmen erwirtschaftet hatte. Und das bei einer Wertschöpfung von Null, d.h. Apple produziert nicht ein einziges Teil seiner Geräte selbst. Man könnte an dieser Stelle darüber spekulieren, ob diese gigantischen Gewinne eher aus der Ausbeutung chinesischer Fabrikarbeiter stammen oder aus dem gelungenen Marketing, das es geschafft hat, „Apple“ zum Kult werden zu lassen, und dazu führt, dass entsprechende Preise gezahlt werden.

Daher musste man sich auch nicht wundern, dass die Biographie von Steve Jobs zu einem internationalen Bestseller avancierte. Millionenfach gekauft und gelesen, kann man davon ausgehen, dass unter den Lesern sehr viele Manager waren, die sich von der Lektüre Erkenntnisse für ihre eigene Management-Praxis erhofften. Was war das für ein Mann, der aus einer Garage einen Weltkonzern erschuf, später dann aus seiner eigenen Firma flog, nur um einige Jahre später wieder zurückzukehren und die Firma wieder zu Weltruhm führte? Daneben hatte er eine schwere Krankheit zu bekämpfen und so manche Fehde mit Wettbewerbern auszutragen.

Was also kann man von diesem beeindruckenden Lebenslauf lernen? Was nehmen wir für uns mit? Was können wir in unserer täglichen Management-Praxis daraus lernen?

Wie wäre es mit: „Sei kreativ!“, „Gib niemals auf!“, „Liebe das Leben!“, „Gib Dich niemals mit dem Erreichten zufrieden!“?

Management ist keine Wissenschaft, auch wenn immer wieder versucht wird, ihr mit wissenschaftlichen Methoden beizukommen. Wissenschaft versucht, durch Beobachtung Muster zu erkennen, die Erklärungen liefern und auf bislang Ungeklärtes übertragbar sind (eine Ausnahme bildet die theoretische Physik).

Spätestens seit den späten 70er Jahren gingen die ersten Management-Gurus daran, Erklärungsansätze für Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen zu erarbeiten. Man beobachtete erfolgreiche Unternehmen, analysierte Unterschiede in den Organisationsstrukturen, Methodiken, Technologien und Entscheidungsprozessen und erkannte Muster. Diese Erfolgsmuster bezogen sich bspw. auf Produktinnovationen, die Effizienz von Produktionsprozessen oder geniale Marketingkonzepte. Aktuell würde ein solches Muster z.B. zeigen, dass die Entscheidung deutscher Automobil-Hersteller, aktiv in Amerika und China zu investieren, einen messbaren Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen europäischen Herstellern gebracht hat.

Ganz offensichtlich haben insbesondere Porsche, Audi und BMW es geschafft, ihre Qualitäts- und Markenbotschaften erfolgreich in alle Welt zu tragen und die entsprechende Bereitschaft bei den Kunden zu erzeugen, höhere Preise als für Konkurrenzprodukte zu zahlen. Was also lernen wir daraus für unsere tägliche Management-Praxis? Was nehmen wir von dem Erfolg der deutschen KfZ-Hersteller mit? Wie wäre es mit: „Entwickle eine starke Marke!“, „Schaffe eine attraktive Produktpalette!“, „Führe straffes Qualitätsmanagement ein!“?

Die Crux des quasi-wissenschaftlichen Ansatzes ist, dass es sich auf das Nachvollziehen beobachtbarer Erfolge oder Misserfolge konzentrieren muss. Das Nachvollziehen beantwortet die Frage nach dem „Was?“, aber nicht die entscheidende nach dem „Warum?“.  Hilfreich wäre doch eigentlich die Beantwortung der Frage, wie denn die Manager in Ingolstadt, München oder Stuttgart zu diesen Entscheidungen gelangt sind, die die zu beobachtenden Erfolge begründet haben. Oder warum gerade bei Apple so viele Innovationen entstanden sind, die ja nicht alle von Steve Jobs persönlich erfunden wurden, und nicht bspw. bei HP, Microsoft oder der IBM. Denn wenn man Lehren aus den Erfolgen anderer ziehen will, dann doch vor allem, um selbst auch erfolgreich zu sein. Wer aber nur nachvollzieht, was andere schon getan haben, der kann bestenfalls eine Kopie werden, und Kopien können einen bereits besetzten Wettbewerbsvorteil niemals schlagen.

Man könnte anführen, dass das, was in einer Branche als Erfolgsmodell beobachtet werden konnte, auf eine andere Branche als innovatives Modell übertragen werden könnte. Insofern hätte dann das Nachvollziehen einen Wert, weil es eine Blaupause für ein Erfolgsmodell in einer anderen Branche liefern könnte. Das setzt aber, streng logisch gedacht, voraus, dass in der anderen Branche die gleichen wettbewerblichen Rahmenbedingungen gelten würden wie in der „Vorbild-Branche“. Diese Einschätzung kann ihrerseits auch nur ex post als richtig oder falsch bewertet werden, denn tatsächliche Vergleichbarkeit hängt von vielen Einflussfaktoren ab, die man niemals vollständig erfassen und simulieren kann. Entsprechend unterschiedlich sind die Ergebnisse solcher Übertragungsversuche.

Die Kernfrage ist, ob Erfolgsmodelle, sogenannte „Benchmarks“, wirklich übertragbar sind. Gerade die Finanzdienstleistungsbranche ist eine, in der Benchmarks eine große Rolle spielen. Ich denke, das ist ein Indiz dafür, dass die Branche erst sehr langsam in eine wirkliche Wettbewerbssituation gelangt, weil man noch immer sehr stark an der Vorstellung hängt, man könne das, was an anderer Stelle erfolgreich ist, einfach kopieren und wäre dann auch erfolgreich.

An dieser Stelle liegt der feine, doch entscheidende Unterschied. Wir alle vergleichen uns ständig und mit wechselnden Parametern. Wir vollziehen Entwicklungen anderer Menschen oder Unternehmen nach, um daraus zu lernen. Wir orientieren uns an den Erfolgreichen, weil wir verstehen wollen, wie es zu deren Erfolg kam.

Manche von uns destillieren die Erfolgsbeispiele, indem sie Grundbotschaften herausarbeiten wie „Bleib Dir treu“ oder „Sei konsequent“, die deshalb nicht falsch sind, weil sie immer richtig sind, d.h. sie haben generischen Charakter. Der Vorteil ist, dass man kaum einen Widerspruch ernten wird; der Nachteil, dass es niemandem etwas bringt, weil für die individuelle Situation damit keine Hilfestellung geboten wird.

Dann gibt es diejenigen, die kopieren, und die sich erhoffen, durch das Kopieren auch den Erfolg kopieren zu können. Diese Haltung ist sehr weit verbreitet und sie ist begründet in Bequemlichkeit und Angst. Angst, weil das Betreten eines eigenen, neuen Weges immer auch das Risiko des Scheiterns in sich trägt, Bequemlichkeit, weil es einfacher ist, von anderen erzielte Erfolge kopieren und damit nicht mehr durchdenken und argumentieren zu müssen. Insbesondere in den Verbundorganisationen machen sich viel zu viele Vorstände das Leben (scheinbar) einfach, indem sie Konzepte 1:1 übernehmen, die bspw. von den Verbänden mit Hilfe externer Berater erarbeitet wurden. Damit ist insbesondere im Fall des Scheiterns das eigene Risiko begrenzt.

Die dritte Gruppe nutzt das Lernen von anderen, um den eigenen Weg immer wieder kritisch zu hinterfragen, aber sie würden niemals etwas kopieren, weil sie sich auch den Erfolg kopieren wollen, sondern, weil sie etwas als Ergänzung ihres eigenen Weges als nützlich erachten. Es ist eben ein großer und entscheidender Unterschied, ob eine Sparkasse die Ergebnisse eines Gemeinschaftsprojektes übernimmt, weil man kein Risiko eingehen will, oder ob man es übernimmt, weil es in die eigenen Überlegungen und Konzepte passt.

Man orientiere sich an Mark Twain: „Alles, was Du brauchst, ist Ignoranz und Selbstbewusstsein, und der Erfolg ist Dir sicher“.

Wir leben in einer Zeit der dynamischen Veränderungen, steigender Komplexität und z.T. irrationaler Rahmenbedingungen. Man kann verstehen, dass manch einem Manager mulmig wird und man sich daher an denen orientiert, die es offensichtlich besser machen. Aber dies ist ein sehr riskanter Weg, denn wenn es funktioniert, weiß man nicht wirklich, warum, und wenn es nicht funktioniert, weiß man auch nicht, warum. Man ist nicht mehr Herr des Verfahrens.

Es ist besser, wenn man einen eigenen Weg für sich gefunden hat und feststellen muss, dass er nicht funktioniert, weil man dann weiß, was man falsch gemacht hat, weil man dann auch weiß, warum man erfolgreich ist, wenn man erfolgreich ist. Diese Verantwortung kann einem kein Benchmarking der Welt nehmen.

In manchen Fällen ist es schon so weit, dass das strategische Denken „outgesourced“ wurde. Vorstände, die sich nur noch auf von anderen vorgedachten Pfaden bewegen, verlieren über die Zeit die Fähigkeit, eigene Positionen zu beziehen und eigene Lösungen zu entwickeln.

Der Kern einer Wettbewerbs-Landschaft ist aber Differenzierung über Innovation, d.h. man muss beständig bestrebt sein, den Kunden (vor allem den Nicht-Kunden bzw. den nicht betreuten Kunden) Botschaften zu vermitteln, die für sie interessant sind, weil sie einen Neuigkeitswert haben. Neuigkeitswert ist ein anderes Wort für Innovation.

Wir können (und müssen) von anderen lernen, wie man es machen könnte oder wie man es nicht machen sollte. Aber wir dürfen nie vergessen, dass jedes Unternehmen seinen eigenen Weg finden muss, um im Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben. Um den eigenen Weg finden zu können, muss man sich die Arbeit machen, ihn zu definieren, auch wenn manches davon vielleicht nicht erfolgreich ist und man es ändern muss. Schlimmer aber ist, ständig darauf zu hoffen, dass das, was man von anderen übernommen hat (und was man möglicherweise inhaltlich nicht durchdrungen hat), auch im eigenen Haus positive Wirkung zeigt. Schuld auf andere schieben zu können, ist bequem, hält aber nicht lange vor. Irgendwann kommt der Punkt, wo man rechtfertigen muss, was man erreicht hat und warum man gerade diesen und keinen anderen Weg gewählt hat. Dann sollte man auskunftsfähig sein und nicht Steve Jobs zitieren müssen.

„Besser auf dem richtigen Weg hinken als festen Schrittes ins Abseits wandeln“ (Augustinus).

Ich wünsche Ihnen Mut und Kraft, Ihren Weg zu finden.

Herzliche Grüße aus Brand

Hans-Dieter Krönung