#38 – All you need is love – oder: Wie naiv darf ein Manager sein?

„Liebe den, der Dich auf Deine Fehler aufmerksam macht“

(Jüdisches Sprichwort)

Ein Grundsatz, den jeder junge Unternehmensberater lernt, lautet, niemals Dinge negativ, sondern immer als Verbesserungspotenzial darzustellen. Man spricht daher nicht von begangenen „Fehlern“, sondern von „Möglichkeiten“, die Dinge besser zu machen.

Wenn man älter wird und so vieles erlebt hat, denkt man mitunter, dass es auch einmal erlaubt sein muss, Fehler anzusprechen, vor allem, wenn sie sich häufen und wenn sie gravierende Folgen haben bzw. haben können. Daher erlaube ich mir in diesem Standpunkt, einen zunehmend zu beobachtenden Fehler anzusprechen und seine Gefahren zu begründen. Georg Christoph Lichtenberg hat einmal gesagt: „Jeder Fehler erscheint unglaublich dumm, wenn andere ihn begehen“, weshalb ich vorausschicken möchte, dass ich einerseits niemanden persönlich ansprechen möchte, der sich vielleicht persönlich angesprochen fühlt, andererseits auch großen Respekt davor habe, dass sich Fehler auch oft dann einstellen, wenn man die richtige Intention hat, getreu dem Motto: „Das Gegenteil von „Gut“ ist „Gut gemeint“.

Worum geht es? Die Bankenwelt ist in Aufruhr und die Banken müssen sich anpassen, d.h. sie müssen sich verändern. In solchen Zeiten blühen die Geschäfte der „Change Manager“, also derjenigen Unternehmen, die darauf spezialisiert sind, Veränderungsprozesse zu konzipieren und zu begleiten. Dabei kommen diese Unternehmen sowohl aus der Psychologie als auch aus dem Personalmanagement, also aus Disziplinen, denen man eine besondere Nähe zum Menschen und seinen Verhaltensmotiven unterstellt.

Typischerweise werden solche „Change“-Programme als langfristige, also mehrjährige „Entwicklungsprogramme“, vor allem für Führungskräfte, aufgesetzt und bedienen alle wesentlichen Aspekte der Verhaltensänderung, von der sogenannten „Einstellung“ (Werte) über bestimmte „Führungsrituale“ (Feedback-Strukturen etc.) bis hin zu emotionalen Aspekten (Gemeinschaftserlebnisse). Sehr oft sind diese „Change“-Programme auch expliziter Gegenstand der Vereinbarung zwischen Vorstand und Personalvertretung, wenn gravierende strategische oder organisatorische Veränderungen beschlossen wurden, ganz im wohlverstandenen Sinn der Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitern; jeder soll sich im Veränderungsprozess „wohlfühlen“.

Und so fühlen sich denn auch alle wohl: Der Vorstand, weil er etwas getan hat, um die Wucht der Veränderung für die Organisation abzufedern; die Personalvertretung, weil es gelungen ist, ein Programm aufzusetzen, das die Veränderungen abfedert; die Führungskräfte, weil

ihnen das Programm signalisiert, dass man bei dem Veränderungsprozess besonders auf sie zählt; und, nicht zuletzt, der Berater, dem es wieder einmal gelungen ist, eine Illusion zu verkaufen.

Die Illusion, die hinter allen diesen sogenannten „Change“-Programmen steckt, ist der Glaube, man könnte durch sie Menschen verändern. Im Grunde kauft der Vorstand das Versprechen, dass nach Durchlaufen eines solchen Programms die Mehrzahl der Führungskräfte „anders“, und zwar „anders“ im Sinne der eingeleiteten Veränderung führt, d.h. sich anders verhält. Dies aber ist die Illusion, denn es widerspricht allen soziologischen und organisations-psychologischen Erkenntnissen sowie dem gesunden Menschenverstand, dass sich Menschen ab einem gewissen Alter grundlegend verändern, nur weil sie über einen längeren Zeitraum in regelmäßigen „Führungs-Selbsthilfegruppen“ mit einer netten Dame eines externen Dienstleisters über Führungsverhalten plaudern.

Die Illusion wird auch noch dadurch genährt, dass der Vorstand während des Programms nur positive Rückmeldungen bekommt. Der externe „Change“-Berater wird natürlich laufend über die zu beobachtenden Fortschritte berichten; die Führungskräfte werden sich auch lobend über den Prozess äußern, weil sie zum einen nicht gegen ein vom Vorstand beschlossenes Programm opponieren wollen, zum anderen die besondere Zuwendung der Externen genießen (es scheint mir kein Zufall, dass in diesem Metier besonders viele nette Damen anzutreffen sind); die Mitarbeiter, weil sie es gut finden, dass die Führungskräfte „rangenommen“ werden. Und so herrscht während des Programms bei allen Beteiligten und bei allen Beobachtern immer gute Laune.

Und natürlich stellen sich auch beobachtbare Verbesserungen ein. Die Intensität der Kommunikation steigt, die Interaktion zwischen den Führungskräften, d.h. der Austausch zu Führungsfragen, wird intensiviert, das „Führungsthema“ ist allgegenwärtig, auch im Vorstand, und die Erfolgsmeldungen werden professionell verbreitet. Also alles in bester Ordnung?

Um den Kardinalfehler zu verstehen, muss man verstehen, wodurch sich Organisationen in ihrem Verhalten verändern. Spätestens seit Kahnemann`s Bestseller „Schnelles Danken, langsames Denken“ ist einer breiten Leserschaft transparent, dass der Mensch einen Impuls benötigt, um seinen „Reflektionsapparat“ („System 2“ bei Kahnemann) in Gang zu setzen. Mit anderen Worten: Um eine Veränderung zu initiieren, braucht der Mensch einen Anstoß von außen, denn ansonsten arbeitet er weiter im alten Trott („System 1“ bei Kahnemann).

Es gibt also einen guten Grund, weshalb die „Change“-Manager ihre Programme immer mehrjährig ansetzen. Solange sie nämlich im Unternehmen tätig sind, besteht ihre Leistung ausschließlich darin, Impulse zu setzen, d.h. die Organisation „auf Trapp“ zu halten. Also muss es zwangsläufig während des Programms auch zu beobachtbaren Veränderungen kommen, weil es diesen externen Impulsgeber gibt; es ist wie bei einem temporären Herzschrittmacher.

Wenn dann das Management, Verzeihung, so naiv ist, diese beobachtbaren Veränderungen während des Programms als nachhaltig miss zu verstehen, begeht es einen schwerwiegenden Fehler.

Noch einmal: Immer dann, wenn ein externer Impulsgeber in einem Unternehmen tätig ist, können die beobachtbaren Verhaltensänderungen nicht wirklich beurteilt werden. Das ist Fakt und leuchtet auch unmittelbar ein. Da zudem diese Programme meist so konzipiert sind, dass sie hinsichtlich ihrer Kosten überschaubar sind, produzieren sie auch keinen wirklichen Erfolgszwang, wie es große Organisations- oder Strategieprojekte idR. mit sich bringen. Diese Projekte erzeugen ein Wohlfühl-Klima, und so sind auch die Berater selbst ausgerichtet: Man spricht Verhaltensmuster an, die man verändern sollte, bietet den Sorgen und Nöten der Führungskräfte Zeit und Zuwendung und sorgt für gute Stimmung. Aber nachhaltig verändert wird durch diese Programme erfahrungsgemäß nichts, denn wenn man einige Zeit später wieder in Institute kommt, die solche Programme durchlaufen haben, spürt man idR. nichts mehr von dem „Change“-Effekt.

Das kann auch nicht sein, weil diese Programme immer der Illusion folgen, den Menschen aus sich heraus zu verändern, aber gerade das tut der Mensch freiwillig nicht. Menschen verändern ihr Verhalten dann, wenn sie einen anderen Führungsimpuls erhalten, d.h. wenn eine andere (neue)  Führungskraft andere Dinge bzw. anderes Verhalten einfordert oder wenn sich wesentliche Elemente des Tagesablaufs (Rollen, Anreize) verändern. Mir ist in den letzten 20 Jahren kein einziger Fall bekannt (weshalb ich annehme, dass es äußerst selten vorkommt), bei dem eine ganze Organisation nach dem Durchlaufen eines solchen Programms ihr Verhalten nachhaltig und ohne gravierende personelle Neubesetzungen verändert hätte.

Mehr noch: Solche Programme bergen die große Gefahr der „Verantwortungs-Rückdelegation“, d.h. man erzieht eine Organisation dazu, sich erst dann in Bewegung setzen zu wollen, wenn man alle Voraussetzungen geschaffen bekommen hat. Personalvertretungen sind dabei oft in der Gefahr, aus ihrer wohlverstandenen Fürsorge heraus eine Konsumentenhaltung bei ihrer Klientel zu erzeugen, die da lautet: Wenn das Management nicht dafür sorgt, dass ich alles kann, was ich können muss, und auch nicht dafür sorgt, dass ich es auch machen will, laufe ich nicht los.

Eine Organisation, die nie gelernt hat, selbst Verantwortung zu übernehmen, weil man ihr immer alles vorgedacht, vorgekaut und homöopathisch dosiert verabreicht hat, wird niemals die Energie entwickeln, die man heute braucht, um sich erfolgreich im Markt zu behaupten.

Ich kenne einige Vorstände, die von ihrer inneren Einstellung her zutiefst davon überzeugt sind, dass Fürsorge und Wohlbefinden essentielle Erfolgsfaktoren sind. Gerade diese Vorstände sind natürlich für die oben beschriebenen „Change“-Programme besonders

empfänglich. Und gerade weil diese Menschen die besten Absichten haben, müssen sie sich vor der Illusion warnen lassen, die in diesen Programmen steckt. Mehr noch: Sie müssen verstehen, dass sie Gefahr laufen, ihre Organisation zu schwächen anstatt sie robust für den Wettbewerb aufzustellen.

Ich habe mit anderen Vorständen gesprochen, die solche Programme durchlaufen, und hinter vorgehaltener Hand und mit kritischen Argumenten konfrontiert sagen, dass diese Programme zumindest keinen Schaden anrichten. Denjenigen, die diese Position vertreten, sei gesagt, dass es heute nicht mehr darum gehen kann, Dinge auszuprobieren, sondern darum, Dinge zu initiieren, die nachweislich und auf Dauer Erfolge erzielen. Auch das ist die Verantwortung des Top-Managements.

Banken müssen sich den Veränderungen anpassen, also müssen sich auch die Menschen in den Organisationen anpassen. Menschen haben idR. Respekt, manchmal auch Angst vor der Veränderung. Und Angst kann zu Lähmungen führen, an Hirn und Hand.

Der richtige Weg besteht aber nicht darin, die Angst zum Gegenstand der Veränderungsarbeit zu machen, wie es die „Change“-Programme faktisch tun (denn sie abstrahieren ja Methoden-immanent immer von der konkreten Situation des Unternehmens), sondern die Wettbewerbsfähigkeit konkret zu stärken, um Erfolge zu erzielen und über Erfolge Selbstvertrauen zu gewinnen, wie wir es in der Mobilisierung tun. Menschen begegnen der Unsicherheit vor allem durch das Erzielen von Erfolgen, und zwar dort, wo die Schlacht geschlagen wird, im Markt. Dazu leisten die „Change“-Programme keinen Beitrag. Sie stärken dagegen die Tendenz, sich mit sich selbst zu beschäftigen, und genau darin liegt ihre große Gefahr.

Ich bin ein großer Verfechter einer dem Menschen zugewandten Management-Philosophie. Aber ich habe über viele Jahre gelernt, dass gilt: Love is not (!) all you need, wenn man im Wettbewerb erfolgreich sein will. Und wenn man sich die erfolgreichen Banken genauer ansieht, dann stellt man fest, dass dort immer auch gute Laune herrscht. Die gute Laune ist aber nicht antrainiert, sondern resultiert aus dem Stolz, erfolgreicher zu sein als andere.

Verwenden Sie also Ihr Geld und Ihre Energie nicht darauf, sich gegenseitig an den Händen zu halten und gemeinsam Lieder zu Weltverbesserung zu singen, sondern darauf, die ungeheure Energie, die in Ihren Mitarbeitern und Führungskräften steckt, auf das Erzielen von Erfolgen im Markt zu konzentrieren. Steigende Kundenzahlen, wachsende Anzahl Beratungstermine, steigende Kundenzufriedenheitswerte, gewonnene Auszeichnungen, es gibt viele Möglichkeiten, zu beweisen, dass man besser ist als andere, wenn man sich anstrengt. Denn auch das ist menschlich: Der Körper schüttet Glückshormone nur aus, wenn zuvor die Anstrengung spürbar war.

Probieren Sie es aus; es funktioniert!

Herzliche Grüße aus Brand

Dr. Hans-Dieter Krönung