#40 – Quo vadis, Deutsche Bank?

„Erst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu“

(Jürgen Wegmann, Ex-Fußball-Profi)

Das Flaggschiff der deutschen Finanzindustrie befindet sich seit Jahren nun schon in sehr schwerem Wasser, und das nicht nur, weil sich die Welt in dieser Branche sehr grundlegend verändert hat.

Die Probleme der Deutschen Bank sind ganz überwiegend hausgemacht; schwere Management-Fehler haben das Institut zu einem perspektivischen Übernahmekandidaten gemacht.

Spott oder Häme sind unangebracht, denn man mag sich nicht ausmalen, was es für den Wirtschaftsstandort Deutschland bedeuten würde, wenn die „Deutsche“ Bank nur noch Teil des HSBC-oder Bank of America-Beteiligungsportfolios wäre. Am Beispiel der Bank Austria lässt sich sehr schön ablesen, welches Schicksal einem Institut in diesem Fall blüht. 

Es lohnt den Blick auf die Ursachen. Wann und womit begann das Desaster? Wer hat warum welche Schuld auf sich geladen? Worin bestehen die Probleme im Kern und wie könnte dem Haus geholfen werden?

Zunächst einmal empfiehlt sich die saubere Trennung derjenigen Probleme, die eine unternehmerische Rolle nun einmal mit sich bringen kann, von denen, die eine andere, gewissermaßen übergeordnete Dimension darstellen. Stellvertretend für unternehmerische Entscheidungen, die sich als falsch erwiesen haben, steht die Gründung der Bank24 mit allen Irrungen und Wirrungen, die die Bank im Retailbanking durchlebt hat. Diese Art von Management-Fehlern bringt jede unternehmerische Funktion mit sich; kaum ein Institut leistet sich nicht ähnlich Fehler in kleinerem oder größerem Ausmaß.

Eine übergeordnete Dimension an Management-Fehlern liegt dann vor, wenn leitende Mitarbeiter in großem Stil bewusst und mit Vorsatz Gesetzesregeln umgehen oder zweifelhaft interpretieren, um für das eigene Institut oder für Kunden unrechtmäßig materielle Vorteile zu erzielen. Wenn das Betriebsergebnis einer Bank ganz wesentlich davon abhängt, ob die für die zahlreichen drohenden Prozessrisiken gebildeten Rücklagen nun in voller Höhe oder doch nur teilweise oder doch erst später anfallen, dann haben wir es endgültig mit der dokumentierten Pervertierung eines Geschäftsmodells zu tun.

Probleme dieser Art übersteigen bei weitem die Dimension individuellen Fehlverhaltens, wie es in jedem Unternehmen immer wieder einmal vorkommen kann. Es wäre deshalb auch grundfalsch, damit zu argumentieren, dass es schließlich in allen großen Banken immer

wieder einmal zu schweren Verstößen durch Mitarbeiter gekommen sei, wenn man nur an UBS oder BNP denkt.

Wenn man den Eindruck gewinnen muss, dass eine Bank an beinahe jedem vorsätzlichen Gesetzesverstoß im globalen Finanzsystem beteiligt ist, ob als Drahtzieher oder Nutznießer, dann liegt ein Systemfehler vor, eine kulturelle Missbildung.

Aber auch jetzt sollte man noch vorsichtig mit der Ursachenforschung bzw. der Schuldfrage sein, denn auch wenn man die gesamte Deutsche Bank diesbezüglich kritisch sehen muss, kann man doch auch erkennen, dass es bestimmte Unternehmensbereiche waren, die in besonderer Weise die Keimzelle der Fehlentwicklungen dargestellt haben. Es ist sicher nicht unfair, das klassische Geschäft mit Privat- und Firmenkunden bei der Problemanalyse eher auszuklammern und das Investment Banking inklusive seiner Randfunktionen in das Zentrum der Ursachenforschung zu stellen. Was aber ist schief gelaufen, dass es dazu kommen konnte?

Wenn man die Reihe der Vorstandsvorsitzenden seit Alfred Herrhausen, also seit den 80er Jahren, Revue passieren lässt, dann fällt unmittelbar auf, dass nach Herrhausen, unter dem die Deutsche Bank nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich die Blütezeit ihrer Anerkennung erreichte (s. Schuldenschnitt für die Dritte Welt, aber auch Zielscheibe der RAF), die Serie der kleinen und größeren Pannen begann. Da waren die „Peanuts“ Koppers, die Auseinandersetzung mit der Kirch-Gruppe und die „Übernahme“ von Morgan Grenfell unter Breuer, schließlich das Renditeziel von 25% bei Ackermann und die endgültige Übernahme der Steuerung des Geschäfts durch die Londoner Investment-Banker des Anshu Jain.

Während dieser dreißig Jahre ging es vor allem moralisch-ethisch mit der Deutschen Bank bergab. Die schrittweise Degenerierung zu einer Cash-Maschine machte sie zum einen für Deal-orientierte Manager interessant, die schnell reich werden wollten, zum anderen aber auch uninteressiert an gesellschaftlichen Entwicklungen. Herrhausen setzte sich noch intensiv mit den gesellschaftlichen Entwicklungen und Problemen auseinander; unter ihm galt die Deutsche Bank auch als anerkannter Kompetenzträger sozio-ökonomischer Entwicklungen.

Die schrittweise Mutation zu einer Investment-Bank war sicher auch den globalen Gesetzmäßigkeiten geschuldet und hätte auch von Herrhausen betrieben werden müssen. Wenn aber eine Bank ihre moralisch-ethischen Grundsätze verloren hat, kann sie schnell Opfer einer kompromisslos auf Profitmaximierung getrimmten Managergarde werden. Insoweit kann man bei der Übernahme von Morgan Grenfell mit Recht von einem „Reverse takeover“ sprechen.

In einer solchen Unternehmenskultur ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann sich die „Interpretation“ bzw. das bewusste Umgehen von gesetzlichen Regelungen Bahn bricht. Manager-Eliten ohne moralische Grundsätze sind ja häufig auch mit großer Intelligenz und ebenso großem Selbstbewusstsein, um nicht zu sagen, mit großer Arroganz gegenüber dem klassischen Bankgeschäft und seinen ethischen Maßstäben ausgestattet.

Vertreter der klassischen Art von Banking, die es in der Deutschen Bank ja immer gab und gibt, wissen ein Lied davon zu singen, wie sie intern behandelt und bewertet wurden.

Es ist also gewissermaßen ein „System“ der rigorosen Profitmaximierung entstanden, bei dem eine Manager-Clique die Bank als Instrument für die eigene Bereicherung missbraucht hat. Und solange die Ergebnisse sprudelten, ließ man sie gewähren. Erst als sich das Band der Gesetzesmissbräuche überdehnt hatte, musste gehandelt werden, weil die Betriebswirtschaft die Entwicklung nicht länger ignorieren und verschleiern konnte.

„Lügen haben kurze Beine“, heißt es nicht umsonst im Volksmund.

Nun soll es also ein Engländer richten, der immerhin ordentlich Deutsch spricht. Was aber ist sein Antritt? Was ist seine Philosophie?

Kürzlich veröffentlichte das Wirtschaftsmagazin Brand1 einen Artikel über die UBS, in dem beschrieben wurde, wie tief die Bank während der Finanzkrise gefallen war und wie schnell sie sich wieder erholt hat. Der Artikel war wortspielerisch betitelt mit: „Mal ehrlich!“

Der Weg, den Weber und Ermotti beschritten haben, bestand aus der deutlichen Abkehr vom Investment Banking und der Hinwendung zum Wealth Management, also dem Kundengeschäft, als zentraler Säule des Geschäftsmodells.

Im Kern bedeutet dies auch, sich wieder auf das Geschäft mit vermögenden Kunden zu konzentrieren, also den ursprünglichen Sinn dessen, was diese Bank einst groß und erfolgreich gemacht hat. Die Bank hat ihre Rolle wieder gefunden.

Was also könnte die Deutsche Bank aus der Entwicklung der vergangenen Jahre lernen? Wie müsste sie sich positionieren, um wieder zu der starken anerkannten Bank zu werden, die sie einmal war? 

Ich wage die These, dass die moralisch-ethische Erneuerung der Bank der  betriebswirtschaftlichen Sanierung vorangehen muss, damit diese überhaupt eine Chance hat, erfolgreich zu sein. Die zwar verkündete, aber niemals angegangene, weil niemals gewollte kulturelle Erneuerung, muss darauf basieren, zu definieren, als was die Deutsche Bank künftig wahrgenommen werden möchte, als Global Player, der sich einmal geschüttelt hat, um dann Alles beim Alten zu belassen, oder als Kunden-orientierte Top-Bank mit hohen moralisch-ethischen Ansprüchen an sich selbst. Letzteres ginge zwar auf Kosten der Profitabilität, hätte aber eine Zukunft, denn Qualität hat diese Organisation immer noch mehr als auseichend.

Gelingt dies nicht, kann sich die Bank also nicht wieder als Teil der gesellschaftlichen Entwicklung positionieren, anstatt diese für sich auszunutzen, wird sie in den kommenden 5-10 Jahren als selbständiges Institut verschwunden sein, von mächtigeren und skrupelloseren Wettbewerbern aufgesogen.

Es ist also der „Sinn“ des Schaffens, die Mission, die der betriebswirtschaftlichen Entwicklung vorangehen muss; nicht umgekehrt. Das ist auch eine wichtige Botschaft an die vielen Sparkassen und Genossenschaftsbanken im Lande, die kraft ihrer Organisation den Sinn ihres Schaffens schon in die Wiege gelegt bekommen haben, diesen aber oft genug im operativen Tun sträflich vernachlässigen.

Auch wenn es in diesen Zeiten schwerfällt, die wesentlichen zwischen all den dringenden Dingen zu sehen, sollte das Beispiel der Deutschen Bank allen Finanz-Managern dazu dienen, zu erkennen, dass unternehmerisches Tun immer auch einem moralisch-ethischen Anspruch folgen muss, um bei Mitarbeitern, den Märkten und der Gesellschaft anerkannt und akzeptiert zu werden. Dies wiederum ist Voraussetzung für dauerhaft „gesunde“ und erfolgreiche Geschäfte.

Man muss der Deutschen Bank alles Gute für den vor ihr liegenden Weg wünschen und ihren verantwortlichen Führern den klaren Blick für das Wesentliche. Ich wünsche mir eine Deutsche Bank, die wieder am gesellschaftlichen Entwicklungsprozess in Europa teilnimmt, als kompetenter Partner von Politik und Wirtschaft. Ich wünsche mir, dass die Deutsche Bank den Unternehmen und Privatkunden in Deutschland und Europa wieder der starker Partner für die globalen Entwicklungen und Anforderungen wird, als der ich sie kennenlernen durfte. Und ich wünsche mir, dass die Deutsche Bank ihre Energie für die Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen erkennbar einsetzt und damit wieder zu der moralisch-ethischen Instanz wird, die sie einmal verkörperte, auch wenn niemand so blauäugig ist, immer nur das Gute in dem zu sehen, was früher einmal war.

Aber die Richtung muss erkennbar werden; das ist die eigentliche Herausforderung. Filialen schließen, die Führungsetage säubern und Rekordverluste als Risikopuffer zu bilden, ist an sich noch keine Kunst und schon lange kein Konzept. Es braucht mannschaftliche Geschlossenheit, um die Probleme zu bewältigen. Ob das gelingt, hängt davon ab, ob es der neuen Führung gelingt, ein tragfähiges Leitbild zu entwickeln. Wir werden schon sehr bald sehen, wohin die Reise geht …

Herzliche Grüße aus Brand

Hans-Dieter Krönung