„Ich fürchte, wir werden für die kommenden Jahre unschlagbar sein.“
(Franz Beckenbauer nach dem Gewinn der Fußball-WM 1990)
Ja, ja, der Franz, der „Kaiser“. Da hatte er in der Euphorie aus WM-Titel und Wiedervereinigung den Mund etwas voll genommen, denn es dauerte wiederum 24 Jahre, bis wieder ein WM-Titel zu Buche stand.
Nun, in 2017 und nach dem doch etwas überraschenden Titel-Gewinn beim zunächst so heftig kritisierten Confed-Cup und dem Coup der U21-Junioren bei der EM in Polen kommt wieder so etwas wie eine Euphorie auf, unterlegt durch die Rückkehr zur Spitze der FIFA-Weltrangliste.
Kürzlich las ich einen Kommentar von Rob Hughes, einem englischen Star-Autor und Sportexperten, der darauf hinwies, dass Deutschland und England im Sommer 2004 vor dem gleichen Desaster standen, nämlich bei der EM in Portugal sang- und klanglos mit Rumpelfußball ausgeschieden zu sein, immerhin nur 14 Jahre nach der Beckenbauer-Prognose.
Der Rest ist bekannt. Jürgen Klinsmann und sein bis dahin oft belächelter Assistent Löw krempelten den deutschen Fußball grundlegend um, und bereits bei der WM 2006 konnte man erkennen, was möglich sein könnte.
Heute, noch einmal nur 13 Jahre später, steht ein WM-Titel, diverse Final- und Halbfinal-Teilnahmen sowie ein schier unerschöpfliches Reservoir an Talenten und Spitzen-Fußballern zur Verfügung, wohingegen die englische Nationalmannschaft noch immer auf irgendetwas wartet, was man als Erfolg verbuchen könnte (wenn man von der unwillkommenen Publicity durch verlorene Elfmeter-Duelle oder das EM-Ausscheiden gegen Island absieht).
Rob Hughes hat sich in dem zitierten Kommentar vor allem mit der Aufarbeitung des Confed-Cup-Finals beschäftigt. „Doch selbst Löw hatte nicht damit gerechnet, dass sein B-Team (oder eher B bis C?) so schnell über sich hinauswachsen würde. Drei Wochen, um eine Mannschaft aufzubauen, die den zweimaligen Copa-America-Champion Chile besiegt“.
„Die ganze Welt war alarmiert, als sie sah, wie Chiles Flair und Feuer der Ordnung und Konzentration der jungen Deutschen unterlagen“.
Wer wie ich das Endspiel am Fernseher verfolgt hat, weiß auch, dass das mit der Ordnung in der ersten halben Stunde nicht so weit her war, und dass die Chilenen durchaus mehrere Chancen hatten, das Spiel für sich zu entscheiden (ganz zu schweigen von dem katastrophalen Fehler, der zum Siegtreffer führte).
Aber schon der große deutsche Philosoph Oliver Kahn hat einmal treffend gesagt (und oft vorgelebt), dass man sich das Glück auch verdienen muss, und weil das so ist, taugt dieses Finale trotzdem (oder deshalb) als guter Beleg für weitergehende Erkenntnisse.
Denn Rob Hughes bemerkt etwas sehr Wichtiges in seinem Kommentar. Er zitiert den chilenischen Trainer, der, nachvollziehbar, von einer durch sein Team „umgesetzten Spielidee“ sprach, bei der alles so gelaufen wäre, wie geplant, wenn nicht einer dieser „Unfälle“ passiert wäre, wie er eben ab und zu im Sport immer wieder vorkomme.
Jetzt aber Hughes: „Doch ein klügerer Mann hätte nicht von so etwas wie einem „Unfall“ gesprochen. Er hätte sich das U21-Finale angesehen, bei dem Deutschlands nächste Generation den mehrmaligen Jugendsieger Spanien schlug. Er hätte über den Tellerrand des südamerikanischen Konzepts geblickt, talentierte Spieler zusammenzuwürfeln und sich darauf zu verlassen, dass sich ihr Können durchsetzt. Das ist alte Schule! – In Deutschland trainiert man die Spieler und baut sie auf. In Argentinien und Brasilien exportiert man sie. In England kaufen wir ein. Die Ergebnisse der Nationalteams sind die Folgen davon“.
Schöner, anschaulicher und besser ist systematischer Erfolg nicht zu beschreiben. Es reicht nicht aus, die besten Talente zusammenzuführen und sie dann spielen zu lassen. Es reicht nicht aus, auf die Kreativität der Einzelnen zu zählen und sie das System prägen zu lassen.
Im europäischen Vereins-Fußball hat der FC Barcelona als erster Verein konsequent das System über die Bedeutung des Individuums gestellt und verfolgt diesen Weg nunmehr seit vielen Jahren konsequent und sehr erfolgreich.
Um aus Talenten Leistungsträger oder sogar Spitzenleister werden zu lassen, müssen sie entwickelt und geformt werden. Es muss ihnen die Idee hinter der Aufgabe vermittelt werden, wie es in Barcelona „die Kunst des schönen Spiels“ oder in Deutschland der Erfolg der „Mannschaft“ darstellt.
Zu etwas dazu zu gehören, das größer ist als man selbst, vermeidet, dass man als Talent zu früh abhebt, weil man glaubt, man sei schon „fertig“. Es gibt zahllose Beispiele dafür, dass aus Top-Talenten keine Top-Stars geworden sind, eben weil sie nicht in der Lage waren, die letzte Stufe zum Superstar auch noch zu überwinden.
Im deutschen Fußball hat man sich nach 2004 konsequent auf das Konzept der Mannschaft fokussiert und jeder Form von individuellem Starkult eine Absage erteilt, was an der Demontage des „Giganten“ Kahn früh klar wurde. Es gab sicher zunächst sehr viele Funktionäre beim DFB, die diese Revolution mit größter Skepsis beäugt haben; und es hätte auch schiefgehen können, wenn sich die Erfolge nicht eingestellt hätten.
Aber entscheidend ist, dass sich mit einem solchen Plan der dauerhafte Erfolg deutlich wahrscheinlicher einstellt.
Systeme, die von Einzelstars a la Christiano Ronaldo abhängen (man beachte nur die Anzahl seiner Tore in den entscheidenden Champions League-Spielen), sind fragil, selten nachhaltig, selbst wenn Real Madrid zum ersten Mal einen CL-Titel verteidigen konnte.
Dieser Mann ist immerhin auch schon 32 Jahre alt, d.h. man wird sich dieses Team in absehbarer Zeit ohne ihn vorstellen müssen.
Für die deutsche Nationalmannschaft muss man diese Sorgen nicht haben. Auch wenn dies überhaupt keine Gewähr für die Titelverteidigung ist, weil es eben immer auch Glück braucht, um am Ende vorne zu stehen, besteht keine Abhängigkeit von einzelnen Spielern, weil wirklich jeder ersetzbar ist. Egal, ob Reus dieses Mal fit bleibt oder Müller seinen Tor-Instinkt wiederfindet, Deutschland wird mit einer Top-Mannschaft antreten.
Was also sind die Botschaften, die uns Rob Hughes mitgeben kann? Was bedeutet das für den eigenen Plan, erfolgreich zu sein (oder zu werden)?
Es gibt aus meiner Sicht drei Erkenntnisse, die es wert sind, bewahrt und umgesetzt zu werden:
„Gibt es einen Plan?“, d.h. hat die Organisation ein Ziel, das formuliert und ambitioniert ist, und das jeder in der Organisation kennt?
„Gibt es eine Mannschaft?“, d.h. arbeiten wir füreinander oder (nur) miteinander?
„Gibt es eine organisatorische Disziplin?“, d.h. wird das, was als Weg zum Ziel beschlossen wurde, mit größtmöglicher Konsequenz und Energie verfolgt?
Fangen wir mit dem Plan an. Damit ist sicher nicht die in allen Häusern vorhandene Mittelfristplanung gemeint. Abgesehen davon, dass diese Planung meist nur wenigen im Top-Management bekannt ist, geht von einer MFP keinerlei Begeisterung aus. Was man dagegen braucht, ist ein Ziel, das die Menschen packt, das ihnen werthaltig und sinnvoll erscheint. Man kann die „beste“ oder die „erfolgreichste“ Bank der Region sein wollen, gemessen entweder durch Kundenumfragen und/oder Marktanteilsgewinnen bzw. fest definierten Erfolgskennziffern (als Ranking-Position unter vergleichbaren Banken). Man kann sich als „Motor“ der wirtschaftlichen Entwicklung einer Region bezeichnen, aber man muss vorher deutlich sagen, an was man den Erfolg nachher messen will, denn auch Jogi Löw könnte nicht allein damit leben, dass man seiner Mannschaft ein schönes Spiel attestiert; es muss schon mindestens das Halbfinale bei einer WM oder EM sein.
Was bedeutet „Mannschaft“? Vor allem entsteht eine Mannschaft durch die Unterordnung der Individual- unter die Gesamtinteressen, eine Verhaltensweise, die bei Top-Führungskräften in Banken aus meiner Sicht nicht sehr ausgeprägt ist. Das Denken in Silos und Eigeninteressen konnte sich in Banken so lange halten, weil es den Banken so lange so gut ging, dass es eben trotzdem funktionierte. Damit ist Schluss, denn jetzt in den mageren Zeiten müssen alle für den Erfolg (bzw. das Überleben) anpacken.
In einer Mannschaft werden darüber hinaus die Führungsspieler entwickelt, nicht zugekauft. Nicht alles, was von draußen kommt, ist besser als das, was man in den eigenen Reihen hat. So manche Groß-Sparkasse hat den Einkauf vermeintlicher Superstars aus Groß- und Privatbanken teuer bezahlt, weil in diesen Groß-Organisationen alles wächst, nur keine Unternehmer.
Last but not least: Disziplin. Ohne organisatorische Disziplin geht nichts, d.h. wie eng arbeitet die Mannschaft wirklich zusammen, wie häufig kommt man zusammen, um über die eigene Performance zu sprechen und Verbesserungen anzustoßen bzw. wie intensiv spornen sich Führungskräfte und Organisationseinheiten gegenseitig an, um Fehler zu vermeiden und/oder noch besser zu werden.
Es gibt ganz wenige Organisationen in der Finanzbranche, in denen Organisationsdisziplin beobachtet werden kann, weil sie dem Management wichtig ist bzw. von diesem vorgelebt wird. Das hat damit zu tun, wie häufig die Chefs bei ihren Mitarbeitern sitzen, mit ihnen Verbesserungs- oder Weiterentwicklungs-Möglichkeiten besprechen und Probleme aufnehmen, um sie zu verbessern.
Das hat nichts, aber auch gar nichts, mit den regelmäßigen Jour-Fixes zu tun, die Chefs mit ihren Leitenden abhalten, denn das ist eher Tätigkeitskontrolle. Ich meine den Vertriebs-Vorstand, der regelmäßig in seinen Filialen mitarbeitet, um mit den Kollegen auch das Tagesgeschäft zu erleben. Ich meine den Kredit-Vorstand, der aktiv mitarbeitet, wenn es um komplexe Sachverhalte handelt. Und ich meine den Vorstandsvorsitzenden, der genügend Zeit im eigenen Institut (und nicht auf Gremiensitzungen der Organisation) verbringt, um für seine Mitarbeiter spürbar als der erste Umsetzer der kontinuierlichen Verbesserung wahrgenommen zu werden.
Das Beste, was man über einen Top-Trainer sagen kann, ist doch, dass er die Spieler und das Spiel der Mannschaft besser gemacht hat. Wenn die Ancelottis und Zidanes dieser Welt mit Unsummen von Geld die fertigen Weltstars zu einem erfolgreichen Team machen, hat das eher etwas mit einem erfolgreichen Dompteur zu tun als mit dem Aufbau einer „Mannschaft“, in der junge Talente keine Chance haben, sich zu entwickeln. Daher imponiert mir bspw. Atletico Madrid deutlich mehr als der große Widersacher Real, allen Erfolgen der „Weißen“ zum Trotz.
Die Kunst, erfolgreich zu sein, hat damit zu tun, ob man die drei beschriebenen Erfolgsfaktoren wirklich konsequent und mit Leidenschaft verfolgt und umsetzt. Auch wenn es für den Platz an der Sonne immer auch Glück braucht, muss jedem Manager einleuchten, dass man die auf Dauer Erfolgreichen, ob in der Wirtschaft, in der Kunst oder im Sport, immer daran erkennt, dass sie sich mit dem Erreichten niemals zufriedengeben. Wer als Top-Manager immer betont, wie toll bereits alles sei, macht bereits den ersten schweren Fehler. Jogi Löw sagt mit Recht,
dass man sich 2018 vom 2014er Titel nichts mehr wird kaufen können. Im Gegenteil: Alle Konkurrenten werden besonders motiviert sein, den Weltmeister zu schlagen.
Den (erfolgreichen) Unternehmer erkennt man vor allem daran, dass er sich niemals auf dem Erreichten ausruht, sondern betont, dass es immer noch besser geht (und besser gehen muss, weil die Konkurrenz nicht schläft).
Seien sie der kritischste Beobachter des Ist-Zustandes, loben Sie, wenn es etwas zu loben gibt, aber machen sie deutlich, dass es immer weiter gehen muss. Gewöhnen Sie Ihre Organisation an Veränderung und das Streben nach Verbesserung: Stillstand ist immer auch Rückschritt. Denn wenn dann die ambitionierten Ziele erreicht werden und man den Stolz in den Augen der Beteiligten sieht, weiß man, dass es sich wirklich gelohnt hat.
Auf geht`s, worauf warten Sie?
Herzliche Grüße aus Brand
Hans-Dieter Krönung