„Es ist unklug, zu viel zu bezahlen, aber es ist noch schlechter, zu wenig zu bezahlen.“
(John Ruskin)
Es ist für viele Banker eine bemerkenswerte Erkenntnis, im Grunde Einzelhändler zu sein. Diese Erkenntnis ist deswegen eine bemerkenswerte, weil es für viele Banker noch immer frevelhaft klingt, mit den Dönerbuden, Boutiquen und Discountern, mit denen man sich die Straßenzeile teilt, in einen Topf geworfen zu werden. Das Bankgeschäft war schließlich immer eine besonders feine Form des Wirtschaftens.
Diese Zeiten sind vorbei. Heute werden Kredite nicht mehr „gewährt“, sondern müssen mühsam an den Mann gebracht werden.
Daher sitzen die meisten Retailbanker auch nicht mehr auf einem hohen Ross, selbst bei der Deutschen Bank. Es ist allgemein akzeptiert, dass man von anderen Branchen lernen kann, d.h. man ist sich nicht mehr zu schade, auch beim Einzelhändler um die Ecke nachzusehen, was man lernen kann.
Insofern kokettiert mancher Banker jetzt schon damit, „Einzelhändler“ zu sein, so wie sich Karajan einst als „Kapellmeister“ bezeichnete, wohl wissend, dass ihn niemand so wahrnahm.
Sich als „Einzelhändler“ zu bezeichnen, drückt vor allem aus, dass man verstanden hat, was man ist, keinen Standesdünkel mehr pflegt und sich einreiht in die Riege derer, die mit einfachen Mitteln und harter Tagesarbeit ihr Geld verdienen müssen (und wollen).
Daher liegt es nicht fern, Erfolgsrezepte aus dem Einzelhandel auf das Banking zu übertragen, und das geht manchmal ganz schön in die Hose, weil auch das Einzelhandelsgeschäft nicht ganz so primitiv ist, wie es manchem Banker beim ersten Hinsehen erscheinen mag.
Besonders auffällig ist das bei der Frage nach Rolle und Gestaltung der Filialen. Klar, der Einzelhändler hat Milch, Butter und Brot nicht vorne an der Theke, weil das dazu führen würde, dass viele Kunden nur mal schnell durch den Laden huschen und sich auf diese Grund-Nahrungsmittel beschränken, mithin nicht von den vielen anderen Angeboten angesprochen würden.
Besonders clevere Einzelhändler stellen ja auch neben die Windeln das Bier, wohl wissend, dass Baby-gestresste Ehemänner, die noch mal eben von der Ehefrau in den Laden geschickt wurden, weil der Nachwuchs unerwartet stark inkontinent ist, dankbar nach der Kiste greifen, um sich selbst zu belohnen.
Bemerkenswert ist auch, dass neben dem Aufkommen der Discounter mit einfachen, aber guten Angebots-Portfolien auch immer mehr hochwertige Einzelhandels-Läden entstehen, vor allem unter dem Label „EDEKA“, wo man das Kauferlebnis in den Vordergrund stellt. Hochwertige Ausstattung, hochwertige Waren, Spezialitäten und ordentliche Preise; das sind Konzeptbausteine, die offensichtlich angenommen werden.
Was liegt für den Einzelhandels-affinen Banker also näher, als folgenden Dreisatz aufzumachen: Was der Discounter im Einzelhandel ist, ist die Direktbank im Banking. Wenn ich also keine Direktbank bin, muss ich EDEKA sein. So weit, so gut.
Die nächste Schlussfolgerung liegt nahe, ist aber falsch. Sie lautet, dass das Erfolgsrezept bei EDEKA ja in erster Linie das Kauferlebnis ist, weshalb die EDEKA-orientierte Bank auch Kauferlebnisse bieten muss. Auf diese Art ist die Deutsche Bank mit ihrem Konzept Q110 vorgegangen, und man spricht daher jetzt auch gerne von „Flagship-Stores“ und „Shop-in-Shop-Systemen“, weil man endlich glaubt, begriffen zu haben, wie man die Kunden wieder in Scharen in die Filialen bringt. Gesagt, getan.
Also wird wieder viel Geld in die Hand genommen, um das „Kauferlebnis“ Banking mit allerlei Convenience aufzuladen: Coffee-Shops, Reisebüros, Internet-Plätze, Design-Möbel, Bildschirme, Farben und Formen.
Kann das funktionieren?
Nein, es kann nicht funktionieren, obwohl es zunächst Erfolgsmeldungen hageln wird. Wir werden auch vergeblich darauf warten, dass einer dieser Protagonisten seinen (teuren) Irrtum eingestehen wird, denn irgendwann wird einfach nicht mehr darüber gesprochen.
Wir werden aber merken, dass es keinen nachhaltigen positiven Einfluss auf die Geschäftsergebnisse haben wird, obwohl das ja die eigentliche Zielsetzung gewesen ist.
Es kann nicht funktionieren, weil auch das Einzelhandels-Geschäft nicht ganz so einfach ist, wie man es von außen leicht missversteht. Der Erfolg der Einzelhandels-Modelle Aldi und EDEKA basiert nämlich auf einer fundamentalen Grundvoraussetzung, die im Banking nicht (mehr) gegeben ist und die lautet: Essen und Trinken sind Elementar-Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen (!), wie Tanken (wenn man ein Auto hat), Friseur- oder Arztbesuche (weil jeder einmal krank wird).
Wenn also ein Elementar-Bedürfnis erfüllt werden muss, dann besteht für den Anbieter die Chance, dieses Bedürfnis hochwertig oder aber einfach zu erfüllen und dafür unterschiedliche Preise zu verlangen.
Entscheidend ist aber, dass der überwiegende Teil dessen, was zur Befriedigung der Elementar-Bedürfnisse benötigt wird, beim Einkauf erledigt wird, so dass die Bedürfnisbefriedigung hochwertig oder einfach erfolgen kann. Es bleibt aber alles im Rahmen eines Elementar-Bedürfnisses.
Im Banking gibt es auch so etwas wie Elementar-Bedürfnisse, vor allem die Besorgung von Bargeld (noch), die viele Menschen nach wie vor in die Filialen führen. Seriöse Untersuchungen zeigen, dass mehr als 95 % der Anlässe für einen Filialbesuch in der Befriedigung von finanziellen Elementar-Bedürfnissen wie Bargeldbeschaffung, Überweisungen und anderen einfachen Transaktionen liegen. Nur weniger als 5% der Filialbesuche dienen dazu, einen Beratungstermin wahrzunehmen, und die Entscheidung, einen Beratungstermin wahrzunehmen, kommt völlig unabhängig von der Befriedigung von finanziellen Elementar-Bedürfnissen zustande. Niemandem fällt beim Geldabheben ein, eine Baufinanzierung zu benötigen. Genauso wenig werden wir beim Tanken für einen Neuwagenkauf stimuliert, weshalb die Automobil-Hersteller auch nicht an Tankstellen werben.
Der Denkfehler der übereifrigen Einzelhandels-Kopierer liegt darin, zu glauben, das Bankgeschäft an sich wäre noch ein Elementar-Bedürfnis, das daher in der Lage wäre, wegen seiner zentralen Bedeutung für die Menschen diese auch in Scharen zusammen zu bringen, wenn man die Begegnungsstätte (Filiale) nur attraktiv genug gestalten würde (EDEKA-Ansatz).
Das aber ist falsch, denn das Bankgeschäft an sich ist ein derivatives Geschäft, d.h. man braucht es, um die eigentlichen Elementar-Bedürfnisse wie Wohnen, Essen, Reisen befriedigen zu können. Überall dort funktioniert das Anreichern von Basis-Portfolien, in dem man eben nicht nur das einfache Tafelwasser, sondern auch noch 15 alternative Wasser-Spezialitäten anbietet, mit denen man ein Vielfaches verdienen kann. Dort greift auch das Kauferlebnis, wie wir es aus Shop-in-Shop-Systemen in Warenhäusern kennen. Man geht gerne Shoppen, gönnt sich das Erlebnis und leistet sich ab und an auch was. Aber man geht doch nicht in eine Filiale wegen des Kauferlebnisses und „leistet“ sich dann einen Bausparvertrag mit besonders schlechten Konditionen.
Der Impuls, in eine Filiale zu gehen, entspringt (noch) derselben Quelle wie der, zur Tankstelle zu fahren; man muss es einfach ab und zu tun.
Der Impuls, mit der Bank einen Beratungstermin zu vereinbaren, entspringt einer völlig anderen Quelle, nämlich der inneren Reife, sich mit einem Thema von großer Bedeutung (Finanzierung, Anlage, Vorsorge) auseinanderzusetzen. Dafür braucht man den Berater, den Spezialisten, und den wählt man nicht aus, weil er in einem attraktiven Büro sitzt, sondern, weil er gut ist und sich bemüht.
Folgerichtig werden ja auch alle Dienstleistungen, nicht nur finanzielle, immer weiter digitalisiert (Bezahlen, Essen bestellen, Lebensmittel anliefern lassen etc.), weil es bequemer geht als zum Anbieter/Lieferanten gehen zu müssen.
Es ist daher viel richtiger, den grundsätzlich derivativen Charakter des Bankgeschäfts anzuerkennen und Filialen dort zu eröffnen, wo die Elementar-Bedürfnisse befriedigt werden, z.B. in Einkaufszentren, um dort auch die Befriedigung von finanziellen Elementar-Bedürfnissen anzubieten.
Um aber erfolgreich Kundenberatung zu entwickeln, müssen die Mitarbeiter im Vertrieb den Umstieg vom Bring- zum Holgeschäft realisieren und bewältigen. Was soll dabei herauskommen, wenn hinter dem hochmodernen Lifestyle-optimierten Beratungstresen in der neuen „Begegnungsstätte“ (ehemals: Filiale) noch derselbe Serviceberater-Typ sitzt, wie er auch im Finanzamt sitzen könnte?
Es gibt keine wirtschaftlich erfolgversprechende Alternative zur Mühsal der Aktivierung unbetreuter und unterbetreuter Kunden durch Mitarbeiter, die gelernt haben, dass es Spaß macht und erfolgreich ist, wenn man auf Menschen zugeht. Das Bankgeschäft ist längst nicht mehr von institutionellem Charakter, d.h. die Menschen brauchen die Banken aus vielerlei Gründen nicht mehr, und das, und nichts anderes, ist auch der Grund, weshalb sie nicht mehr zu uns kommen, außer, um ihre finanziellen Elementar-Bedürfnisse zu befriedigen. Aber wie lange wird das noch so sein?
Wie kann man nur glauben, dass man diese Uhr dadurch zurückdrehen kann, dass man die Standorte aufpeppt? Wenn ich als Kunde entschieden habe, mich meiner Bank anzuvertrauen, weil ich eine wirklich wichtige Frage zu beantworten habe, dann suche ich doch in erster Linie den kompetenten und vertrauenswürdigen Berater und nicht die moderne Kaffeemaschine. Und dann ist für mich absolut sekundär, wie und wo er sitzt.
Es ist gut, wenn die Banker vom hohen Ross hinuntersteigen, auf dem sie viele Jahrzehnte sitzen konnten. Das, was in anderen Branchen üblich ist, hat auch das Banking erreicht. Das bedeutet, wir können von denen lernen, bei denen sich die Verhältnisse schon lange geändert haben und die wissen, dass Tag für Tag um den Kunden gekämpft werden muss.
In einem früheren Standpunkt habe ich das Thema „Korrelation und Kausalität“ strapaziert, und ich empfehle Ihnen die Lektüre zum nochmaligen Studium. Nicht alles, was wir beobachten, lässt sich auch so einfach erklären. Und nicht alles, was man beobachtet, lässt sich einfach übertragen.
Ein Kardinalfehler ist immer noch weitverbreitet, nämlich der Glaube an und die Suche nach dem „Goldenen Schlüssel“ für Erfolg, der, wenn er gefunden worden ist, automatisch den Erfolg herbeiführt.
Den „Goldenen Schlüssel“ haben wir längst gefunden. Er lautet: Harte Arbeit am und für den Kunden. Je eher wir uns auf den Weg machen, um den Kunden und für den Kunden zu kämpfen, umso eher werden wir erfolgreich sein.
Kümmern Sie sich um das, was wirklich zählt.
Herzliche Grüße aus Brand
Hans-Dieter Krönung