„Bevor ich hierher kam, machte jeder, was er wollte. Jetzt macht jeder, was er kann.“
(Otto Rehagel)
Es ist an der Zeit (und inhaltlich auch vertretbar), einen STANDPUNKT mit dem Thema Eintracht Frankfurt beginnen zu lassen, unabhängig davon, ob die Reise in der Saison 2017/18 in Europa endet oder nicht. Und mancher Leser wird sich ob der Tatsache, dass der Autor der STANDPUNKTE in Frankfurt geboren wurde und daher seit über 50 Jahren Fan dieses Vereins sein muss, zurücklehnen und eine Fan-verzerrte Darstellung erwarten.
Natürlich wird jeder Fan seines Vereins nachvollziehen können, dass die emotionale Bindung an einen Verein eine zutiefst irrationale Angelegenheit ist. Mitunter hängt das eigene Wohlbefinden so stark von den Spielergebnissen ab, dass man sich vor sich selbst schämen müsste, denn schließlich interessiert es die Herren Profi-Kicker ja auch nicht, wie es einem selbst geht.
Dabei ist der Abstiegskampf für den eingefleischten Fan noch viel schlimmer zu ertragen, als der Kampf um die Spitzenplätze, zumal der Top-Spitzenplatz ja bereits im Voraus abonniert ist.
Und so ist es für den Fan der Adlerträger in diesem Jahr eine vollkommen neue Situation, nicht nur den Ligaverbleib bereits gesichert zu haben, bevor die Bayern Meister wurden, sondern sogar wieder einmal vom internationalen Fußball träumen zu können.
Das Einzige, wofür ich mich immer noch ein bisschen schäme, ist das Vereinslied aus dem Jahr 1959 („Im Herzen von Europa“), dem letzten Meisterjahr der Eintracht, das von einem Polizeichor gesungen wird und in dem immer wieder der Refrain wiederholt wird „… wieder Deutscher Meister zu sein.“ Ich habe nichts gegen Utopien, aber ich wünsche mir jedes Mal, dass jemand auf die Idee kommt, diesen Teil des Liedes irgendwie näher an die Realität zu bringen.
Es ist jedoch ohne Zweifel höchst Ungewöhnliches passiert in Frankfurt. „Vom Abstiegs- zum Europa-Kandidaten“ lautet die Schlagzeile. Und auch, wenn die Entwicklung vielleicht nicht ungebrochen in die gleiche Richtung weitergehen sollte, zeigt sie doch bestimmte Attribute, die aus meiner Sicht über die Fan-Brille hinaus von Bedeutung sind.
Was sind die Erfolgsfaktoren? Sicher nicht das Geld, denn das Budget der Lizenzspieler-Abteilung gehört zur unteren Hälfte der Liga-Konkurrenz, wenn auch mit steigender Tendenz.
Es sind zwei Aspekte, die den momentanen Erfolg erklären und ganz nebenbei auch den vergleichbaren Misserfolg anderer, weit höher eingeschätzter Vereine.
Da ist zunächst einmal ein Plan vorhanden, der nicht nur aussagt, dass man in der Liga bleiben und sich dort auch etablieren wolle, sondern der vor allem auch sagt, wie (!) man das tun will, was also das „Spielsystem“ ist. Dass heutzutage eine überragende Laufbereitschaft eine Grundvoraussetzung für Erfolg ist, ist kein Betriebsgeheimnis mehr. Dass man diese Laufbereitschaft aber auch mit körperlicher Robustheit bzw. einem gewissen Maß an gesunder Härte unterlegen will, ist nicht ganz so üblich. Man muss den Mut haben, unangenehm zu sein, wenn man sich gegenüber spielerisch überlegenen Gegnern durchsetzen will. Vor allem aber auch muss die gesamte Führungsmannschaft im Verein geschlossen hinter diesem Plan stehen und nicht beim ersten Misserfolg sofort eine Kurskorrektur fordern.
Der vielleicht noch wichtigere Aspekt des Erfolges ist aber Ordnung. Denn um den beschriebenen Plan umsetzen zu können, braucht es einen Trainer, der mit großer Konsequenz die Voraussetzungen für dieses Spielsystem schafft. Die Eintracht war der erste Verein, der nach der Sommerpause wieder mit dem Training begonnen hat, und dies war auch nach der Winterpause so. Der Trainer lässt deutlich mehr trainieren als sein Vorgänger, mehr auch, als die Profis, die aus anderen Vereinen gekommen sind, gewohnt waren. Und er legt allergrößten Wert auf schnelle Spieler, weshalb technisch versierte, aber zu langsame Spieler tendenziell aussortiert werden.
Insofern wird die Erkenntnis, dass Gott vor den Erfolg den Schweiß gestellt hat, sehr konsequent umgesetzt.
Außerdem zeigt auch die Fairness-Tabelle, dass Eintracht Frankfurt die Zielsetzung der körperbetonten Härte im Spiel sehr konsequent umsetzt (übrigens nur bezogen auf die gelben, nicht die roten Karten).
Um also das geplante Spielsystem erfolgreich umsetzen zu können, braucht es eine Ordnung, die jedem Spieler eindeutig sagt, was erwartet wird und woran er gemessen wird (z.B. Laufleistung/Anzahl Zweikämpfe).
Die Ordnung beinhaltet aber auch die Botschaft, dass jeder Spieler, der sich diesem Ziel bedingungslos unterwirft, seine Chance bekommt, zu spielen, was dazu führt, dass praktisch alle Spieler im Kader hart daran arbeiten, ihre Chance zu bekommen, eben, weil sie wissen, dass die gelebte Ordnung fair ist und niemanden unangemessen bevorzugt.
Diese Ordnung wiederum ist die Voraussetzung für überragenden Teamgeist, weil niemand dem anderen die unangemessene Bevorzugung neidet. Umgekehrt gilt aber auch, dass jeder Spieler, der sich nicht genügend anstrengt, aus dem Kader fliegt.
Nichts von dem, was beschrieben wurde, ist revolutionär neu, aber die Konsequenz, mit der sie nicht nur in der Mannschaft, sondern auch im gesamten Umfeld vorgelebt und umgesetzt wird, ist ungewöhnlich, weil die Statistiken eine ganz andere Mannschaft zeigen (Laufleistung, Zweikämpfe) als noch vor zwei Jahren.
Aus dieser strengen Ordnung heraus, die von einem Plan und großem Fleiß unterlegt wird, entstand ein Team mit ausgeprägter Mentalität, das sich, wie die Frankfurter Rundschau schrieb, „weigert, zu verlieren“. Und das, obwohl die Mehrzahl der aus 17 Nationen stammenden Spieler erst seit diesem Jahr zusammenspielt.
Mir erscheint die Erkenntnis wichtig, dass dieses Erfolgsrezept kopierbar und auch immer wieder bei nachhaltig erfolgreichen Organisationen zu beobachten ist. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Ordnung und Erfolg. Fast immer, wenn man sich fragt, wie eine bestimmte außergewöhnliche Leistung möglich ist, steht eine strenge Ordnung dahinter, die zu Fleiß und Leidenschaft führt, nicht umgekehrt.
Organisationen, die eine strenge Ordnung besitzen, müssen nicht immer erfolgreich sein; Organisationen, die keine strenge Ordnung haben, können dauerhaft nicht erfolgreich sein.
Was bedeutet „strenge Ordnung“ im Unternehmens-Kontext? Es bedeutet zunächst einmal, dass klar und eindeutig beschrieben ist, wohin man will und wie man das erreichen möchte. Das wiederum bedeutet, dass jeder Verantwortliche weiß, was seine Aufgabe und was sein Ziel ist und vor allem, wie es erreicht werden soll.
In allen Organisationen gibt es Pläne, in vielen Organisationen werden die Pläne regelmäßig überprüft, aber nur in wenigen Fällen wird an der Erreichung der Ziele auch mit grimmiger Entschlossenheit gearbeitet. Viel verbreiterter ist die „Erklärungs-Ausrede“, d.h. die Geschäftsführung setzt viel Engagement ein, um die Zielverfehlung zu erklären und Schuld abzuweisen.
„Strenge Ordnung“ bedeutet nicht „hire and fire“, Sklaven-Kultur oder „Befehl und Gehorsam“. So wenig, wie auch der engagierteste Trainer nicht hinter jedem Spieler herlaufen kann, um ihm zuzurufen, was er jetzt gerade machen soll, kann das Management jeden einzelnen Arbeitsschritt jedes Mitarbeiters kontrollieren.
„Ordnung“ bedeutet in diesem Zusammenhang daher, dass sich alle Mitarbeiter einem erlebbaren, fairen und transparenten Spielsystem unterordnen, vom Chef bis zum jüngsten Mitarbeiter, und dass Verstöße gegen dieses Prinzip oder auch nur der Versuch seiner Aufweichung nicht geduldet werden.
Der Zusammenhang dieser Art von organisatorischer Disziplin mit dem Erfolg der Organisation liegt nun darin begründet, dass die Energiepotenziale der Mitarbeiter nicht auf irrelevanten oder Neben-Kriegsschauplätzen verschwendet werden, sondern voll und ganz auf das Erreichen der gemeinsamen Ziele konzentriert werden können.
Derjenige Spieler, der sich nicht ständig darüber Gedanken machen muss, ob er fair behandelt wird oder die Ideen des Trainers richtig verstanden hat, kann sich besser entfalten und wird tendenziell auch besser spielen, auch, weil er weiß, dass eine Minderleistung nicht toleriert wird.
Wer Organisationen erlebt, in denen Führungskräfte und Mitarbeiter über interne Probleme und Fehler diskutieren, ohne erkennbar an deren Lösung zu arbeiten, kann ermessen, wie viel Energie dabei vergeudet wird. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die oft angenommenen Economies of Scale größerer Organisationseinheiten dadurch überkompensiert werden, dass Energie in unproduktive interne Diskussionsschleifen und Abstimmorgien gesteckt wird, was durch klare und strenge organisatorische Ordnung vermeidbar wäre.
Die positive Überraschung durch Eintracht Frankfurt ist also insofern eigentlich keine, weil die Kraft der Ordnung, die durch das Management (Trainer, Sportdirektor, Vorstand) vorgedacht, vorgelebt und konsequent eingefordert wird, keine neue Dimension unter den Erfolgsfaktoren darstellt.
Es ist nur immer wieder überraschend, wie wenig operative Aufmerksamkeit das beständige Arbeiten mit der Ordnung bei vielen Top-Managern hat. Es mag daran liegen, dass man sich mit der Einhaltung eines Ordnungsrahmens nicht immer beliebt macht, und dass daher die Neigung groß ist, sich nicht „die Hände schmutzig machen zu wollen“, d.h. solche Aufgaben an die Organisationsabteilung, die Revision oder das Controlling zu delegieren.
Es ist aber umgekehrt richtig, dass die Management-Aufgabe gerade darin besteht, die Einhaltung der Ordnung vorzuleben, ihr immer wieder neue Energie zu verleihen, indem man erläutert, warum es wichtig ist, sich gemäß der Ordnung und nicht anders zu verhalten, und vor allem, sie gemeinsam mit den Mitarbeitern zu leben, um gemeinsam zu erkennen, wie man erfolgreich wird.
Moderne Trainer (und Manager) arbeiten intensiv mit ihren Spielern, um sie besser zu machen, individuell und im Team. Für diese Trainer/Manager ist Kontrolle nicht das wichtigste Führungsinstrument, sondern Kommunikation, und zwar nicht über (!) die Ordnung/das Spielsystem, sondern innerhalb (!) dieser Ordnung.
So kann es gelingen, aus einer Truppe von Nobodys eine verschworene Kämpfertruppe zu machen, die andere das Fürchten lehrt. Und mitunter entdeckt man dann auch das ein oder andere Juwel, das man nicht erkannt hätte, wenn man nicht intensiv genug mit den Menschen gearbeitet hätte.
Wie auch immer es mit Eintracht Frankfurt weitergeht, es ist ein weiteres exzellentes Beispiel für die Kraft von motivierten Teams, die sich einem gemeinsamen Ziel verschworen haben. Wir nennen das „Mobilisierung“.
Herzliche Grüße aus Brand
Hans-Dieter Krönung