„Krisenbewältigung ist eine Frage des Charakters“
(Helmut Schmidt)
Da ist sie nun, die eigentlich niemals so vorstellbare Total-Krise, ausgelöst durch eine Pandemie. Auch die Älteren unter uns, die jetzt zur besonderen Risikogruppe zählen, haben Vergleichbares seit dem Krieg noch nicht erlebt. Viele Menschen haben Angst, und man kann mit dieser Angst umgehen wie „der größte aller amerikanischen Präsidenten“ und den Reporter, der diese Angst ansprach, als „unfähig“ beschimpfen.
Man kann auch Vermutungen darüber anstellen, wie lange es sich noch hinziehen wird mit den Ausgangsbeschränkungen und dem wirtschaftlichen Stillstand, aber es steht zu vermuten, dass sich das Virus nur bedingt an Vermutungen halten wird. Und natürlich versucht jeder Unternehmer, jeder Selbständige und Freiberufler sowie jeder Manager eines Unternehmens, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wann wieder „normale“ Verhältnisse herrschen werden, weil die „normalen Verhältnisse“ ja suggerieren, dass man dann die Krise (wirtschaftlich) überlebt haben wird. Das führt ja auch dazu, dass die Stimmen immer lauter werden, die fordern, die Bundesregierung möge doch einen „Fahrplan zurück zur Normalität“ vorlegen, mit dem nachvollziehbaren Hintergedanken, man könne sich dann darauf verlassen und mit den Mut machenden Planungen beginnen.
Da wir aber dankenswerterweise nicht in China oder einer anderen Diktatur leben, in der die Parteiführung die Corona-Krise für beendet erklären kann (nachdem sie sie viel zu lange verschwiegen hat), erwarte ich, dass sich die Bundesregierung an den wahren Krankheitsverlauf halten muss und halten wird. Damit verbietet sich auch, jetzt eine wie auch immer geartete Abschätzung zu veröffentlichen, gerade weil diese, auch wenn sie mit vielen „Wenns“ und „Abers“ ausgestattet wäre, als verlässliche Planungsgrundlage missbraucht würde.
Und hier, genau an dieser Stelle, haben wir wieder einmal die Unterscheidung zwischen „Leadership“ und „Funktionär“ zu beobachten, die ich schon häufig thematisiert habe.
„Funktionäre“ sind, wie der Name schon sagt, Funktionsträger, d.h. aber nicht, dass sie auch „Leader“ sind (das mit dem „Führer“ geht uns im Deutschen noch immer schwer von der Feder). Daher erleben wir jetzt viele Funktionsträger, in der Politik und in der Wirtschaft, die sich klar und deutlich als „Funktionäre“ outen, in dem sie offen oder versteckt anderen Funktionsträgern die Verantwortung zuschieben. Das beobachten wir in der Politik, indem auch hochrangige Ministerpräsidenten zuallererst gemeinsame Beschlüsse einklagen (hinter denen man sich dann verstecken kann, wenn es problematisch wird), bevor sie sich mit den notwendigen Handlungen selbst auseinandersetzen.
Währenddessen zeigen andere Funktionsträger, denen man das in dieser Form womöglich nicht zugetraut hätte, bemerkenswert klare Führungskante und vermitteln daher glaubhaft, Verantwortung übernehmen zu wollen und auch zu können. Das kann auch erheblichen Einfluss auf die Wählerstimmen nach der Krise haben, denn Menschen schätzen „Leader“ gerade deshalb, weil sie Verantwortung übernehmen.
Das gilt natürlich auch und gerade für den wirtschaftlichen Bereich, für das Management.
„Große Führer („Great Leaders“) vermitteln den Mitarbeitern Sicherheit“ hat Simon Sinek einmal gesagt. Dabei stellt sich die Frage, wie das angesichts fundamentaler Unsicherheit wie in der gegenwärtigen Pandemie überhaupt möglich sein kann.
Ich denke, es beginnt mit der Einstellung zur Krise. Noch immer ist jede Krise irgendwann vorüber gegangen; das ist ein Fakt.
Daraus folgt logisch zwingend, dass es zwei Aufgaben zu erledigen gilt. Erstens das eigene Unternehmen so gut wie möglich auf das Überstehen der Krise vorzubereiten, was Sicherstellung der Liquidität, Bemühung um externe Hilfen und den eigenen Beitrag aller Führungskräfte und Mitarbeiter angeht.
Wenn dies getan ist, gilt es, alle Kräfte auf den möglichst baldigen Wiederanlauf vorzubereiten, d.h. liegengebliebene Themen abzuarbeiten, Innovationen anzugehen, Schwachstellen im Betriebsablauf zu beseitigen, denn, auch das ist ein Fakt, in jeder Krise steckt auch eine Chance.
Der „Krisen-Mode“ hat aber auch eine empathische Seite, auf die Sinek mit seinem Zitat anspielt. Es kann (und wird) Unternehmen geben, die trotz aller Hilfen und aller gebrachten Opfer die Krise nicht überstehen werden, aber in den meisten Unternehmen werden Opfer von allen Mitarbeitern gefordert (Kurzarbeit, Lohnverzicht etc.), um das Unternehmen zu retten bzw. um sich bestmöglich auf die Krisenauswirkungen vorzubereiten. Mitarbeiter müssen aber die Sicherheit haben, dass das Management bzw. die Eigentümer nach dem Grundsatz verfahren, dass es besser ist, wenn alle ein bisschen leiden, bevor wenige besonders schwer leiden. Diese Sicherheit der gegenseitigen Unterstützung ist es, die Menschen dazu veranlasst, Verständnis für Opfer zu entwickeln und sogar noch mehr für die Gemeinschaft zu tun als unbedingt nötig, indem sie zusätzliche Lasten übernehmen oder noch höhere Opfer bringen.
Zur Empathie gehört auch, nicht nur das eigene Unternehmen im Blick zu haben, sondern auch seine Kunden und Lieferanten. Wer in diesen Zeiten das Erlebnis gegenseitiger Hilfe macht, wird dies wahrscheinlich in den kommenden Jahren nicht vergessen.
Das trifft in besonderem Maß für die Banken zu. Ihnen kommt die z.T. überlebenswichtige Aufgabe zu, Hilfsgelder auszuzahlen und Kreditanträge zu bearbeiten. Ich spreche derzeit mit vielen Bankmanagern, und der größte Teil meiner Gesprächspartner schildert mir die organisatorischen Herausforderungen, die zu bewältigen sind.
Und diese Herausforderungen sind gewaltig. Krankheits- oder Quarantäne-bedingte Schließung von Filialen führt zu Betreuungs- und Bearbeitungsengpässen und die Kreditabteilungen drohen, unter der Last der Anträge zusammenzubrechen, während in anderen Teilen der Bank lähmende Unterbeschäftigung droht.
Nur sehr wenige meiner Gesprächspartner sehen trotz der großen organisatorischen Belastungen die Chance, Kunden an sich zu binden. Noch weniger Manager sehen die Aufgabe, die Mission, die jetzt zu erfüllen ist, nämlich Kunden, die Angst um ihre Existenz haben, Sicherheit zu vermitteln.
Auch der Schwerkranke, der in die Intensivstation eingeliefert wird, kann vom behandelnden Arzt keine Garantie einfordern, geheilt zu werden. Aber es ist die ärztliche „Mission“, alles zu tun, um dem Betroffenen zu helfen, damit er es schaffen kann. Denken Sie daran, wie zynisch es wäre (und leider ist es in einigen Corona-Krisenzentren der Fall), Menschen nach ihrem Risikoprofil zu selektieren und ggf. abzuweisen und dem Tod zu überantworten.
Genau so empfinden aber viele Unternehmer, die jetzt bei den Banken Schlange stehen. Wie wichtig wäre es, dass die Banken, die in den vergangenen 10 Jahren von der guten Konjunktur in Deutschland und Österreich profitiert haben und insgesamt stabil aufgestellt sind, jetzt einen Teil dessen als unternehmerisches Wagnis ins Risiko zu stellen, um Kunden die Sicherheit zu geben, dass wirklich alles versucht wird, ihnen zu helfen. Das hat viel mit Einstellung und Charakter zu tun. Da ist es ein erster, allerdings durch den Gesetzgeber motivierter Schritt, dass die Banken ihren Kunden eine dreimonatige Tilgungsaussetzung anbieten.
Vielleicht kann man auch von einem Charaktertest für das deutsche (und österreichische) Finanzwesen sprechen. Die Politik hat nach meiner Meinung ihren ersten großen Charaktertest bestanden, indem sie einen gewaltigen Rettungsschirm aufgespannt hat. Auch die Protagonisten der Regierung machen nach meiner Beobachtung überwiegend einen sehr guten Job, indem sie klare Botschaften aussenden und immer wieder ihren unbedingten Willen glaubhaft zum Ausdruck bringen, dass sie jetzt so „unbürokratisch“, wie das in einem großen Land nun einmal möglich ist, helfen wollen.
Wenn die Finanz-„Funktionäre“ jetzt anfangen, an den Überziehungszinsen zu drehen, um zusätzliche Einnahmen zu generieren, flächendeckende Sicherheiten für die Ausweitung von Linien einzufordern und die üblichen Risikokriterien unverändert anzuwenden, um nur ja keine zusätzlichen Schäden in der GuV zu produzieren, dann wäre das ein weiterer Beleg dafür, wie weit sich der „Virus des vagabundierenden Kapitals“, also das Sinn-entleerte, technokratische Renditestreben, schon in das Selbstverständnis der Bankmanager eingenistet hat.
Es sei an dieser Stelle noch einmal betont, weil mir auch das schon entgegengehalten wurde, dass meine Aussagen nicht bedeuten, dass die Banken nunmehr einen „Harakiri“-Kurs in der Risikopolitik betreiben sollten.
Aber ist es auch wirtschaftlich vernünftig, einem Kunden, der um seine Existenz kämpft, die Überziehungszinsen zu erhöhen? Ist es wirtschaftlich relevant, ob man 8% oder 16% an Überziehungszinsen nicht einnimmt, weil der Kunde insolvent wird?
Ich kann nur darauf hinweisen, dass viele Kunden, und ich selbst bin mit unserem Unternehmen ein solcher Kunde, jetzt sehr genau registrieren, wie mit ihnen in dieser Krise umgegangen wird. Das wird man sich merken.
Und wenn, was mir immer zugetragen wurde, die abnehmende Loyalität der Kunden zu ihrer Hausbank zu beklagen ist, dann ist doch jetzt die historische Möglichkeit, einen großen Teil dieser Kunden vom Sinn und Wert einer Hausbank-Beziehung zu überzeugen.
Manch ein „Funktionär“ wird sich jetzt hinter der Arbeitsbelastung der betroffenen Abteilungen verstecken. Diese außergewöhnliche Belastung ist ein Fakt. Aber auch hier gilt, dass Empathie zusätzliche Kräfte freisetzen kann.
Man kann als Manager die Arbeitsbelastung beklagen und um Verständnis bitten, dass man nur formal abgesicherte Entscheidungen, die nun einmal Zeit brauchen, treffen darf. Man kann sich aber auch die vielen tausend Menschen vorstellen, die in Krankenhäusern und Kliniken um das Leben der Menschen kämpfen und seinen von der Last der Anträge überforderten Mitarbeitern verdeutlichen, dass sie gerade an einer ähnlich bedeutsamen Mission mitwirken. Und ich bin mir sicher, dass so mancher Manager, der das einmal versucht, überrascht sein wird, was in seinen Mitarbeitern steckt, was sie alles bewältigen können, ohne sich zu beklagen.
Wir können den Menschen, die mit uns zusammen arbeiten, die Sicherheit geben, dass wir alles, wirklich alles in unserer Macht stehende tun werden, um so viele wie möglich so gut wie möglich durch die Krise zu bringen, und dass wir selbst bereit sind, die gleichen Opfer zu bringen wie alle anderen auch.
Das ist keine organisatorische Frage, das ist ein Charaktertest. Wir werden in einigen Monaten sehen, ob er bestanden worden ist.
Herzliche Grüße aus Brand
Hans-Dieter Krönung