„Man hat nur Angst, wenn man mit sich nicht einig ist“
(Hermann Hesse)
Gerade während der Hoch-Zeit der Corona-Krise publizierte die Sparkassen-Finanzgruppe (SFG) ein Werbevideo, in dem verschiedene Sparkassen-Mitarbeiter selbstgedrehte Botschaften an die Öffentlichkeit und an ihre Kunden schickten, die allesamt zum Inhalt hatten, dass man gewillt sei, gemeinsam diese Krise durchzustehen. Der Spot nahm sogar Anleihen an Angela Merkels berühmter Aussage „Wir schaffen das“.
Ich finde dieses Video noch immer sehr gut gelungen, weil es zum einen eine persönliche, Nähe-erzeugende Atmosphäre vermittelte, zum anderen, weil eine starke Botschaft gesendet wurde, nämlich das der Kundenbedarfsorientierung jenseits der Risikovermeidung und des Gewinnstrebens.
Man darf sich in diesen Zeiten durchaus auch des Gründungsgedankens der Sparkassen erinnern, der ja besagt, dass in einzelnen Regionen tätige Sparkassen von der dortigen Gemeinschaft mit Kapital ausgestattet wurden, um mit wirtschaftlicher und, vor allem, unternehmerischer Kompetenz zum wirtschaftlichen und sozialen Wohl der Region zu agieren. Insofern bediente der erwähnte Spot durchaus fundamentale Wurzeln der Sparkassen-Idee, nämlich Nähe und Dezentralität.
Es hat sich seit nunmehr fast zweihundert Jahren (zum Teil schon darüber) bestätigt, dass die Kombination von Unternehmertum und wirtschaftlicher Fürsorge nicht nur kein Gegensatz ist, sondern sich geradezu bedingt.
Es ist für Außenstehende, z.B. in Brüssel oder bei Wettbewerbern, mitunter schwer zu verstehen, dass ein Wirtschaftsunternehmen nicht mit dem Ziel der Renditemaximierung eine Kapitalausstattung erhält und entsprechend agiert.
In der Corona-Krise erfuhr, wenn man den Botschaften glauben darf, das Hausbank-Konzept eine Renaissance. Man wurde sich wieder der Tatsache bewusst, dass das persönliche Schicksal einen regionalen Charakter hat und dass es etwas wert ist, wenn ein Finanzpartner eine besondere Verpflichtung für das Wohl der Menschen in einer Region hat.
Besonders eindrucksvoll geschah das, wenn das örtliche Kreditinstitut nicht nur bemüht war, möglichst reibungslos KfW-Darlehen auszuzahlen, sondern wenn darüber hinaus, ich hatte dazu schon einen Standpunkt verfasst, das Bemühen der Sparkasse erkennbar wurde, auch mit eigenen Mitteln ins Risiko zu gehen bzw. sich auch ansonsten aktiv für die Kunden zu engagieren.
Es liegt eine ungewöhnliche Weisheit in dem Gründungsgedanken der Sparkassen, als dezentrale Unternehmer konzipiert worden zu sein, denn man hätte ja durchaus auch regionale Behörden schaffen können, die Hilfsgelder auszahlen und Ähnliches.
Nein, man wollte „Unternehmer“, denn dem Unternehmerischen ist ja das „immer wieder Beurteilende,“ das „ständig Abwägende“, eigen. Das führt dazu, dass man nicht nur Mittelverwendung, sondern auch die Mittelerzeugung in Form von Gewinnen im Auge behält. Mehr noch: Man sichert den sorgfältigen Umgang mit dem Unterschied zwischen Bedürftigkeit und Schmarotzertum, denn der Unternehmer will nicht nur helfen, sondern auch zur Eigenverantwortung motivieren, um am gesunden Wirtschaftsprozess auch selbst partizipieren zu können.
Ein Unternehmer handelt nicht nach Anweisungen, sondern nach Gegebenheiten. Diese können in der Sache oder in der Region unterschiedlich sein. Und auf diese Unterschiede reagieren zu können, ohne sich an verpflichtende, überregionale Anweisungen halten zu müssen, ist ein nachweisbarer Wettbewerbsvorteil, nämlich Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit.
Man konnte das während der Hoch-Zeit der Corona-Pandemie gut in der bundesweiten Politik beobachten. Da waren die Zauderer, die Nicht-„Führer“ und Nicht-Unternehmer, die ständig nach „gemeinsamen Beschlüssen“ und „gemeinsamer Vorgehensweise“ riefen, und dann waren da die „Agierer“, die Unternehmer, die sich von den regionalen Gegebenheiten in ihrer Region (Bundesland) leiten ließen. Und da diese Gegebenheiten objektiv von Region zu Region unterschiedlich waren, konnten und mussten auch regional unterschiedliche Vorgehensweisen greifen.
Wir erkennen die Führungs-Unfähigen an ihrem ständigen Mahnen, „einheitlich“ und „gemeinsam“ vorzugehen. Dahinter versteckt sich aber auch in den meisten Fällen die Angst vor der Verantwortung, Angst, voran zu gehen und sich ggf. zu irren.
Im Wirtschaftsleben nennt man dies das „unternehmerische Risiko“, weil der Unternehmer beständig Entscheidungen unter Unsicherheit treffen muss, die daher auch das Risiko des Scheiterns in sich bergen.
Wer Angst vor dem Fehler oder dem Scheitern hat, kann kein „Führer“ und kein Unternehmer sein.
Es war während der heißen Corona-Phase ein großer Spaß für alle Journalisten, Politiker mit diesem Konflikt zu konfrontieren, nämlich auf die prinzipielle Sinnhaftigkeit gemeinsamen Vorgehens hinzuweisen und gleichzeitig zu fragen, warum man denn z.T. regional unterschiedlich agiere.
Und auch dabei war zu beobachten, dass es hochrangige Politiker gab, die sich wirklich schwer taten mit einer klaren und nachvollziehbaren Position und solche, die klare und nachvollziehbare Argumente hatten und diese auch konsequent verfolgten.
Und wenn ich mich nicht sehr täusche, zeigten die Umfragen, dass die Menschen ein gutes Gefühl dafür hatten, in wessen Händen sie sich wohler fühlten, nämlich bei den „Machern“.
Wir beobachten aber auch bei den Verantwortlichen in der SFG, dass sich in dieser Krise die unternehmerische „Spreu“ vom „Weizen“ getrennt hat.
Verbundorganisationen haben ja gewissermaßen konstitutiv und provokant formuliert das Problem, dass man sich recht gut seiner Verantwortung entziehen kann, indem man in allen unangenehmen Fällen auf „den Verbund“ als geforderten Problemlöser verweisen kann. Ob das der Umgang mit der Niedrigzinsphase oder die Herausforderungen der Digitalisierung betrifft; an vielen Stellen kann man mit guten Argumenten auf die Unterstützung durch „den Verbund“, also vor allem durch Andere, pochen, und sich damit zunächst einmal mit der Wahrnehmung seiner eigenen Verantwortung Zeit lassen.
Angst hat nur der, sagt Hermann Hesse, der mit sich nicht einig ist, d.h. wer keinen Plan hat, wer keinen Mut hat und wer keine Konsequenz kennt.
Ich habe mir erzählen lassen, dass es Vorstandsvorsitzende von Sparkassen gibt, die sich in aller Tiefe in die Modalitäten der KfW-Darlehen hineingearbeitet haben, um im Kollegenkreis mit diesem Know-how zu glänzen. Arme Sparkasse, die einen solchen Chef hat!
Es ist die Angst, keinen Fehler zu machen, die den „Funktionär“ lähmt und den Unternehmer beflügelt, sie zu besiegen.
Der „Funktionär“ sucht in den Tiefen der Details die Sicherheit, die er braucht, um zu agieren. Was er aber dort findet, ist eine trügerische Sicherheit, denn ein Detail genauestens zu kennen, führt nicht dazu, das gesamte Bild zu erfassen.
Wer aber für sich kein Gesamtbild hat, kann auch keinen Plan entwerfen und an dessen Umsetzung arbeiten. Wer kein Gesamtbild hat, kann auch das Wesentliche nicht vom Unwesentlichen unterscheiden und erhöht damit die Wahrscheinlichkeit für Fehlentscheidungen. Das führt zu der Angst, die Hesse meint.
Ja, es ist ein Spagat zwischen der Entscheidung, auch mit eigenen Mitteln Kunden, die unverschuldet in wirtschaftliche Not geraten sind, zu unterstützen und dem möglichen Vorwurf, zu leichtfertig Mittel herausgegeben zu haben, die nicht mehr einzubringen sind. Und ja, die Aufsicht wird später trotz Corona genau hinsehen, wie und nach welchen Grundsätzen Kredite vergeben wurden.
Aber für genau diese Aufgabe sind Sparkassen einst als Unternehmen gegründet worden, weil es eben immer auf den Fall ankommt, auf Erfahrung, Menschenkenntnis und fachliches Know- how, aber eben auch immer auf das unternehmerische Gefühl.
Es gibt keinen Algorithmus für Kunden-individuelle Kreditbeurteilungen.
Auch dafür sind Sparkassen gegründet worden, nämlich Regionen und Menschen, die dort leben, wirtschaftlich zu unterstützen, unter der Nebenbedingung (!), Gewinne zu erwirtschaften, um genau das tun zu können, nicht umgekehrt.
Eine Privatbank mag es sich leisten können, zuerst auf den eigenen Vorteil und dann erst auf ethisch-moralische Maßstäbe zu schauen; sie hat keinen öffentlichen Auftrag.
Eine Sparkasse sollte dagegen eigentlich eher daran gemessen werden, welchen Beitrag sie zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ihrer Region leistet und nicht, welchen Return on Assets sie erzielt.
Es gibt einige tolle Unternehmer unter den Sparkassen-Vorständen, Männer und Frauen, die ihre unternehmerische Aufgabe angenommen haben und die in dieser Krise ihre Chance erkannt haben, Menschen zu helfen und damit Kunden an sich zu binden. Aber es sind leider noch immer zu wenige, um einen ganz großen Wurf zu landen.
Es gibt immer noch zu viele „Funktionäre“, die eigentlich immer Sachbearbeiter geblieben sind, für die jetzt gilt: Schotten dicht, keine Risiken, Kosten sparen.
Das sind diejenigen „Manager“, die jetzt die KfW-Verordnungen studieren, nach Verbund-Unterstützung rufen und nebenbei die Gunst der Stunde nutzen, Corona-bedingt geschlossene Filialen gar nicht mehr zu öffnen, wenn die Krise vorbei ist, um Kosten zu sparen, weil das andere auch so machen.
Verbundorganisationen sind aber eigentlich für Unternehmer geschaffen worden, weil sowohl im Verbund-internen Zusammenspiel („Subsidiarität“) als auch in der Marktbearbeitung ständig wieder adaptiert, neu ausgerichtet und bewahrt werden muss. Diese Fähigkeit geschieht unter Unsicherheit, mitunter, wie bei Corona, unter sehr großer Unsicherheit.
Ich wünsche mir, dass man in den Verbundorganisationen, vor allem in der Sparkassen-Organisation durch Corona erkennt, wie wichtig unternehmerische Ausbildung und Unterstützung für die Bewältigung der künftigen Herausforderungen ist. Verbund-Institutionen neigen immer dazu, Einheitlichkeit und Geschlossenheit anzumahnen; das ist in Ordnung, darf aber ebenso wenig Gesetz sein wie die Anarchie, in der jedes Institut aus Prinzip anders agiert als andere Institute.
Verbund bedeutet, beständig um die beste Lösung zu ringen und diese dann ggf. auf die regionalen Besonderheiten anzupassen. Das ist unternehmerische Verantwortung. Diese ist zu rar gesät und ist ein Entwicklungsrisiko für die gesamte Verbundidee.
Ich wünsche Ihnen Mut, mit sich einig zu sein.
Herzliche Grüße aus Brand
Hans-Dieter Krönung