„Die Kunst des Sterbens kann man nie zu viel studieren!“
(Schwedisches Sprichwort)
Machen wir eine kleine Zeitreise in die Vor-Corona-Zeit und begeben wir uns auf Spurensuche.
Im Oktober 2019 widmete sich der Blog „finanz-szene“ u.a. der Entwicklung der Norisbank. Zur Erinnerung: Die Norisbank ging aus der ehemaligen Noris Kreditbank des Versandhauses Quelle hervor und entwickelte sich zu einem bedeutenden Anbieter von Konsumen-tenkrediten. Nach einigen Fusionen wurde sie 1997 an die damals noch existierende Bayerische Vereinsbank verkauft, wo bis 2002 versucht wurde, diese irgendwie mit deren Filialsystem sinnvoll zu integrieren. Als dieser Versuch gescheitert war, trat die Genossenschaftsorganisation in Gestalt der DZ Bank auf den Plan und erwarb die Norisbank, wie Wikipedia zu berichten weiß, für 180 Mio. Euro. Die Idee war, dem genossenschaftlichen Finanzverbund eine „Direktbank mit Filialen“ zur Verfügung zu stellen, um auch im wachsenden Markt des Online-Bankings mit Kunden und Erfahrung präsent zu sein. Während dieser Zeit wurde in der Norisbank auch das Produkt „easy credit“ für die Geno-Organisation entwickelt und vermarktet, bis heute ein Vorreiter im Prozess-getriebenen Konsumen-tenkreditgeschäft. Ob es schließlich das anhaltende Fremdeln der Filial-gestützten Volks- und Raiffeisenbanken mit der „Direktbank mit Filialen“ oder aber das lukrative Angebot war, das die DZ Bank erhielt, kann ich nicht abschließend beurteilen. Fakt ist aber, auch hier zitiere ich Wikipedia, dass die Deutsche Bank 2006 die Norisbank samt Kunden und Filialen für 420 Mio. Euro übernahm. Die Genossen waren aber so clever, dass sie das Know-how bezüglich „easy credit“ behielten und in der TeamBank seither erfolgreich weiter nutzten.
Soweit Teil 1 der Vergangenheit. In 2019 wusste „finanz-szene“ zu berichten, dass sich die Deutsche Bank mit ihrer Tochtergesellschaft sehr schwer tat, denn die Bank verdiente wohl zu diesem Zeitpunkt bereits seit über 5-6 Jahren mehr oder weniger kein Geld.
Bereits seit 2006 wirkt also das gesamte strategische Know-how des DB-Konzerns auf eine Bank ein, die mit dem Konzept „Direktbank mit Filialen“ zuvor als strategischer Vorreiter für Sparda-Banken, PSD-Banken und die Targobank diente. Insofern war der Kauf der Norisbank durch die Deutsche Bank durchaus ein geschickter Schachzug, um Know-how in einem anerkannten Zukunftsfeld zu erwerben.
Die Zusammenarbeit zwischen Norisbank und Deutscher Bank hat, so berichtete „finanz-szene“ 2019, „durchschlagende“ betriebswirtschaftliche Erfolge gebracht. Der Verwaltungs-aufwand sank demnach in den 5 Jahren zuvor um 71%, die Anzahl der Mitarbeiter sogar um 84%, was vor allem dadurch erreicht wurde, dass man die Filialen um 100% reduzierte.
Leider gingen im gleichen Zeitraum auch die Erträge um über 90% zurück, so dass die Norisbank Ende 2018 angabegemäß eine Cost-Income-Ratio von ca. 103% aufwies, was hinsichtlich der strategischen Überlebensfähigkeit nicht unbedingt zielführend ist.
Schadenfreude ist fehl am Platz, aber gemäß dem oben zitierten Sprichwort kann man vielleicht lernen, wie man es nicht machen sollte.
Da ist zunächst einmal die Erkenntnis, dass Konzerne sicher viele Fähigkeiten haben, aber nicht, wahrhaft unternehmerisch tätig zu sein. Konzerne können auf Dauer nur eine Sache wirklich gut: Economics of Scale realisieren, d.h. Kosten sparen. Konzerne kaufen Marktanteile und Innovationen, um mit Hilfe ihrer Skalenvorteile daraus Erträge zu erwirtschaften. Viele Konzernmitarbeiter, vor allem, wenn sie in den umfangreichen Stabsabteilungen sitzen, sind daher auch Kennzahlen-gläubig und verstehen sehr viel von Prozess-Optimierungen, die aber fast immer überwiegend dem Kostensparen dienen.
Man kann sich also gut vorstellen, was passierte, nachdem die kleine, aber innovative Norisbank Teil des Deutsche Bank-Konzerns geworden war. Die Controlling-Abteilungen der Konzernmutter erstellten Gutachten, die zeigten, welche Rendite die Norisbank aktuell erwirtschaftete und welche dagegen möglich sein müsste. Die Strategieabteilungen des Konzerns erstellten Pläne, welche Einsparungen durch welche Schritte möglich sein könnten und erörterten die Frage, ob man die Bank nicht als reine Direktbank ohne Filialen führen sollte, denn Filialen betrieb der Konzern ja nun selbst schon, und die Kunden könnten ja genauso gut auch eine DB-Filiale besuchen.
Nachdem die ersten Schritte gegangen und die ersten Maßnahmen umgesetzt worden waren, stellten sich wahrscheinlich die prognostizierten Einsparungen auch tatsächlich ein, allerdings mit dem Nachteil, dass die Erträge in einem nicht-prognostizierten Umfang wegbrachen.
Dies wiederum führte sicherlich zu weiteren „Eingriffen“ seitens der Konzernmutter, was personelle Konsequenzen im Management sowie weitere Effizienzsteigerungs-Programme anging. Gerne ersetzen Konzernzentralen dabei mit dem betroffenen Unternehmen vertraute Manager durch „Konzern-Entsandte“, d.h. Manager, auf die man zum einen in der Konzernzentrale verzichten kann, die aber zum anderen loyal zu deren Interessen und Maßnahmen stehen.
Es ist absehbar, dass eine solche Reihe von „Eingriffen“ dazu führt, dass unternehmerische Identität innerhalb der Tochtergesellschaft weiter schwindet, dass Innovationskraft und Kreativität gänzlich verschwinden und die verbliebenen Mitarbeiter tendenziell „Dienst nach Vorschrift“ machen, wobei „Vorschrift“ in diesem Fall meint, die formellen Konzernvorgaben so gut es geht zu erfüllen, ohne Fehler zu machen.
Man könnte nun meinen, dass eine Konzernmutter auch dazu lernt und merkt, dass die in den Stabsabteilungen ausgedachten Strategiekonzepte und Business Pläne doch nicht so perfekt waren, wie man eigentlich dachte, doch dabei übersieht man, dass „Konzernmutter“ ja keinesfalls eine Konstante ist, sondern dass auch dort idR. ein beständiger Wechsel von Zuständigkeiten herrscht. Hat sich also einmal ein Stabsmitarbeiter mit der betreffenden Tochtergesellschaft „angefreundet“, sie also in ihrem Geschäftsmodell und ihren Eigenheiten verstanden, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er/sie eine andere Aufgabe übernimmt, mitunter auch, weil andere Stabsabteilungen zwischenzeitlich zu der Erkenntnis gelangt sind, dass man eigentlich bessere Ergebnisse mit der Tochtergesellschaft erreichen können müsste.
Irgendwann, und dieser Zeitpunkt schien 2019 auch in diesem Fall eingetreten zu sein, ist die Konzernmutter mit ihrem sprichwörtlichen Latein am Ende, weil man alle theoretisch denkbaren strategischen, personellen und operativen Optionen schon ausprobiert hatte, ohne dass sich die Situation grundlegend geändert hätte.
Die einst mit großen Erwartungen übernommene Tochtergesellschaft wird nunmehr wie eine heiße Kartoffel hin und her geschoben, und niemand will eigentlich mit ihr etwas zu tun haben, bis man sie dann eines Tages still und heimlich beerdigt. So wird wohl auch das Schicksal der Norisbank aussehen.
Das Beispiel der Norisbank kann und soll dazu dienen, zu veranschaulichen, was vielen Managern, Beratern und Funktionären (und Politikern) offensichtlich nicht immer transparent ist, nämlich, dass dauerhafter unternehmerischer Erfolg praktisch immer die Folge von unternehmerischer Freiheit und Verantwortung ist, und, dass gerade dies in Konzernstrukturen ungemein schwierig zu gewährleisten ist. Es ist keine spezifische Schwäche der Deutschen Bank, die Norisbank nicht erfolgreich weiterentwickelt zu haben, sondern es ist die prinzipielle Wirkung großer Organisationen auf kleine, aber anders denkende und handelnde Einheiten. Das Traurige und Fatale an dieser Erkenntnis ist, dass idR. keiner der beteiligten Bereiche/Menschen mit böser Absicht unterwegs wäre, sondern es treffen so unterschiedliche Kulturen aufeinander, dass es außerordentlich schwierig ist, positiv empfundene „Sub-Kulturen“ auch wirklich dauerhaft zu schützen.
Was können wir lernen? Zum einen müssen wir verstehen, dass gerade in schwierigen Zeiten der Ruf nach „Konsolidierungen“ naheliegend, aber auch falsch sein kann. Gerade in der Finanzwirtschaft wird der „zerstückelte“ deutsche Bankenmarkt oft als wenig zukunftssicher und ineffizient bezeichnet, weil zu viele kleine Unternehmen (Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken) zu große Marktanteile haben, um den Finanzkonzernen (Deutsche Bank, Commerzbank) die ihnen angemessen erscheinenden Anteile zu ermöglichen. Dies wiederum führt zu wenig auskömmlichen Margen im internationalen Vergleich, woraus manch ein Schlaumeier auch gleich die große Schwäche des deutschen Marktes ableitet.
Wozu eine flächendeckende Konsolidierung auf deutlich weniger, aber deutlich größere Organisationen führen würde, kann man am Beispiel der Norisbank vorempfinden.
Auch in den Verbundorganisationen selbst, wo es bereits heute sehr große sowie mittlere und kleinere Institute gibt, kann ich die angeblich zwingende Logik des Zusammenhangs von Größe und Erfolg nicht erkennen. Die zu erwartende nächste Konsolidierungsphase in den Verbundorganisationen läuft ja bereits an, was zu größeren Instituten, aber mitnichten auch zwingend zu besseren Instituten führen wird.
Es wäre eine wichtige Aufgabe, gerade in den Verbundorganisationen die Erkenntnis zu verbreiten, dass für eine wirtschaftlich prosperierende Industrie nicht nur Skaleneffekte maßgeblich sind, sondern vor allem auch Kreativität und Innovation. Wer immer nur darauf achtet, möglichst effizient zu arbeiten und die maximale Rendite zu erzielen, übersieht, dass ohne unternehmerische Kraft, wie sie durch Produktentwicklung, Kundennähe und Verantwortungsempfinden für Mitarbeiter und Kunden gekennzeichnet wird, dauerhaft kein wirtschaftliches Überleben möglich ist. Unternehmer und unternehmerisches Denken gedeihen nun einmal deutlich schwerer in Konzernstrukturen; dort gedeiht idR. eher der „Funktionär“.
Insofern sei allen, die immer wieder von der Notwendigkeit der stärkeren Konsolidierung schwadronieren, die Norisbank als Schaustück anempfohlen. Mit der Konsolidierung von Einheiten kann man sich Zeit, aber keine Lösungen erkaufen. Die große Aufgabe besteht demgegenüber darin, die unternehmerische Kraft zu entwickeln und zu fördern. Einem fähigen Unternehmer kann man auch eine große Organisation anvertrauen, nur umgekehrt wird kein Schuh daraus, denn eine große Organisation macht aus einem „Funktionär“ noch keinen „Unternehmer“. Das ist auch der Grund dafür, dass viele große Organisationen bei weitem nicht die Ergebnisse erzielen, die ihnen möglich wären.
Es mangelt ohne Frage gerade in der Finanzindustrie an unternehmerisch denkenden und handelnden Top-Managern. Leider breitet sich, auch durch die Regulatorik befördert, der Typus „Funktionär“/Controller immer weiter aus.
Das hat zwar den kurzfristigen Vorteil, Manager in den eigenen Reihen zu wissen, die mit der komplexen Materie aus Vorschriften und Richtlinien vertraut sind und mit hoher Wahrscheinlichkeit sicherstellen können, dass keine großen Katastrophen passieren. Aber diese Menschen sind nun einmal idR. keine Unternehmer, es fehlt ihnen das Gefühl für Innovation und Marktbearbeitung. Welche Impulse zur strategischen Weiterentwicklung sollten von einer solchen Person ausgehen können? Kann ein Mensch, der seinen Daseinszweck in der Einhaltung von Vorschriften sieht, eine Organisation wirklich begeistern?
Es wäre eine dringende Kernaufgabe, gerade auch in den Verbundorganisationen, Unternehmer-Nachwuchs gezielt zu entwickeln und zu fördern, anstatt die Nachwuchs-Manager mit regulatorischem Wissen vollzupumpen und zu „Funktionären der Risikoaversion“ zu verbiegen.
Dauerhafte Existenzsicherung gelingt nur über Unternehmertum, nicht über vorbildliches Einhalten regulatorischer Vorschriften. Nur eine Marktbearbeitungs-Strategie verdient das Prädikat „Strategie“; Kosten sparen dagegen ist „Funktionärs-Arbeit“.
Ich wünsche allen Verantwortungsträgern ein glückliches und bewusst agierendes „Händchen“ bei der Auswahl ihrer Top-Manager.
Herzliche Grüße aus Brand
Hans-Dieter Krönung