Was zeichnet eine „gute“ Führungskraft aus? Ist sie der „Kumpel“, der auf Augenhöhe mit den Mitarbeitern arbeitet, oder ist sie der „General“, dessen Wort uneingeschränkte Autorität bedeutet? Was erfordern moderne Organisationsstrukturen, die vernetzt statt hierarchisch arbeiten?
Fragt man die Experten und die Betroffenen, bekommt man meistens die eher ausweichende Antwort: „Das kommt darauf an“. Worauf?
Wenn man im Management nicht mehr weiter weiß, sollte man beim Fußball nachschauen.
Auch dort gibt es die kumpelhaften Trainer nach dem Schlage Klopp, Tuchel oder Skibbe, und die Generalstypen wie van Gaal oder Magath. Empirisch kann auch im Fußball nicht festgestellt werden, welcher Typ dauerhaft erfolgreicher ist. Nach Meinung vieler Experten ist der Portugiese Mourinho der derzeit beste Trainer der Welt, aber welcher Typ ist er?
Wer näher dran ist, weiß darüber hinaus zu berichten, dass auch die Kumpel mitunter sehr autoritäre Züge an den Tag legen, und dass andersherum auch die Generäle im Tagesgeschäft nicht immer so dominant agieren, wie sie erscheinen.
Dabei haben die Trainer im Fußball gegenüber ihren „Kollegen“ im Top-Management noch den nachweislichen Vorteil, mit einer überschaubaren Gruppe von Individuen zu tun zu haben, die sie über die Zeit auch in ihren Besonderheiten kennenlernen können. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem damaligen Mainzer Trainer Klopp, der mir erzählte, dass er alle Spieler genauestens kenne und wisse, wie er sie anzusprechen habe, denn der eine strebe nach Schlagzeilen, der andere nach Geld, andere nach anderem.
Er sagte aber auch, dass er allen Spielern, mit denen er in die Saison starte, uneingeschränktes Vertrauen entgegenbringe. Dazu komme ich später.
Was aber hilft das dem Manager, der so viele Mitarbeiter zu führen hat, dass es wirklich unmöglich ist, jeden Einzelnen gut genug zu kennen. Überhaupt: Wann kennt man einen Mitarbeiter überhaupt gut genug?
Man könnte es bei der Feststellung bewenden lassen, dass es einfach darauf ankommt, dass eben die Führungskraft zur Organisation passen muss (oder sie sich passend machen muss). Und tatsächlich verhalten sich ja auch viele Trainer so, dass sie sich erst einmal ihre Mannschaft zusammenstellen, bevor sich die Erfolge einstellen. Dieses Verfahren ist für hinreichend große Organisationen schon aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht geeignet.
Viele Manager verfahren deshalb auch nach dem Prinzip der Prozess-gesteuerten Organisation, d.h. sie legen fest, wie die Dinge zu funktionieren haben und überlassen es den Führungskräften, dies auch umzusetzen. Aber wie im Fußball auch klappt das nicht immer, eigentlich sogar ziemlich selten.
Wenn man mit Mitarbeitern und Führungskräften in erfolgreichen Unternehmen spricht, kommen immer wieder ähnliche Feststellungen.
Da ist zum einen die uneingeschränkte Akzeptanz der Person des Top-Managers, ohne die keine Organisation auf Dauer erfolgreich geführt werden kann. Manchmal wird diese Akzeptanz mit der eher kumpelhaften Verhaltensweise begründet, manchmal mit der Kraft der Leadership des Generals. Dies ist besonders bei neuen Führungskräften im Top-Management der Fall, wenn sie sich anders verhalten als die oder der Vorgänger. So können „Nähe“ oder auch „Distanz“ jeweils ganz unterschiedlich bewertet werden.
Sieht man sich die Risikoprofile der beiden Extrem-Typen an, so ist klar, dass der General dann seine Autorität verliert, wenn er den Kontakt, das Gefühl für die Organisation verloren hat. Dies ist keine Frage der Unternehmensgröße, sondern nur der Führungs-Philosophie. Insbesondere, wenn sich autoritär agierende Führungskräfte gegen Ende ihrer Karriere Gedanken um ihr Erbe machen, wenn sie danach streben, sich ein Denkmal zu setzen, kommt es zu diesen Phänomenen. Die Akzeptanz ist immer noch hoch, sie wird aber sukzessive durch Machtstrukturen aufrechterhalten. Dann kommt der Moment, wo sich die Organisation danach sehnt, dass eine Veränderung eintritt, weil sich die Dinge verkrusten und Rituale die Auseinandersetzung ersetzen.
Umgekehrt kämpft der Kumpel-Typ immer mit dem Risiko, seine Autorität zu verlieren, weil er natürlich auch schwierige Entscheidungen zu treffen hat, die nicht jedem Mitarbeiter gefallen. Insbesondere, wenn der Kumpel neue Aufgaben übernimmt und diejenigen, die ihm sehr nahe standen, jetzt mit größerer Distanz umgehen müssen, droht die Gefahr des „Liebesentzuges“, die zu irrationalen Verhaltensmustern führen kann. Dies geschieht sehr häufig dann, wenn der Vorstand zum Vorstandsvorsitzenden wird und nun nicht mehr nur ein Teil-Interesse eines Segmentes oder einer Funktion berücksichtigen, sondern das Gesamtinteresse des Unternehmens im Auge haben muss. Dann wird große Nähe zu den Ex-Mitarbeitern plötzlich zum Problem.
Es kann also kein Erfolgsmuster geben. Wahrhaft große Führungspersönlichkeiten zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr konsequent ihren eigenen Weg gehen und dabei stets authentisch bleiben. Die Führungskraft, die sich einen anderen Anstrich gibt als das, was sie ist, muss scheitern, weil sie überall ihre Glaubwürdigkeit verliert. Herrhausen hat vor langer Zeit in seinem berühmten Zitat schon betont, dass man „das sein muss, was man tut“.
„Eigener Weg“ ist aber nicht gleichbedeutend mit „Ignoranz“. Authentizität entsteht nicht durch das Beschäftigen mit sich selbst, sondern durch die permanente Auseinandersetzung mit der Organisation. Authentisch ist diejenige Führungskraft, die in den Augen der Mehrzahl der Mitarbeiter das ist, was sie tut.
Dabei werden Distanz und Nähe zu Variablen des Führungs-Verhaltens. Auch wenn in der Wahrnehmung der Organisation das ein oder andere Merkmal besonders häufig wahrgenommen wird, bedeutet dies noch lange nicht, dass dies auch das tatsächliche Erfolgsrezept der Führungskraft ist, weil verschiedene Mitarbeiter auch verschiedene Merkmale individuell unterschiedlich wahrnehmen.
So sind viele Mitarbeiter überrascht, wenn der als kumpelhaft wahrgenommene Manager Durchsetzungskraft beweist oder der autoritäre General „Volksnähe“ zeigt. Entscheidend ist, dass er authentisch bleibt.
Nach meiner Beobachtung hat Authentizität vor allem mit Respekt zu tun, mit Respekt vor jedem einzelnen Mitarbeiter. Wenn es bei aller Unterschiedlichkeit von Führungs-Typen eine Gemeinsamkeit gibt, dann ist es der Respekt im Umgang mit der Organisation. Mitarbeiter akzeptieren ohne weiteres, nicht in alle Entscheidungen eingebunden sein zu können oder schmerzhafte Entscheidungen verarbeiten zu müssen, wenn das Grundvertrauen vorhanden ist, dass die Interessen der Organisation bestmöglich berücksichtigt werden. Dieses Grundvertrauen muss erarbeitet werden, es muss wachsen und kann daher auch nicht verordnet werden.
Dazu muss der Manager auch die Bereitschaft in sich tragen, sich selbst gegenüber der Organisation zu öffnen, zu kommunizieren, und seine Gedanken transparent zu machen. Wer sich durch Isolation zu glorifizieren sucht, indem er sich den Anschein des unangreifbaren Orakels gibt, wird dieses Grundvertrauen niemals aufbauen können. Die Menschen, das stelle ich immer wieder fest, haben ein untrügliches Gefühl dafür, wer es ernst mit ihnen meint.
Ich habe lange mit einem sehr intelligenten und fachlich versierten Top-Manager zusammen gearbeitet, der allerdings in seinem tiefen Inneren den Menschen misstraute. Allen Bemühungen zum Trotz, bei seinen Mitarbeitern ein Grundvertrauen aufzubauen, gelang ihm das nicht. Er wurde respektiert, aber ihm wurde nicht vertraut. Als das Unternehmen in „schwieriges Fahrwasser“ kam, versagten ihm die Mitarbeiter die dringend benötigte Unterstützung und die Eigentümer mussten sich wegen vergleichsweise geringer Vergehen von ihm trennen, weil die Mitarbeiter fundamentale Opposition betrieben. Er hat auch später nie verstanden, warum ihm dies passiert war.
Es wäre falsch, seinen eher autoritären Führungsstil für sein Schicksal verantwortlich zu machen, was leider häufig so interpretiert wurde. Der wahre Grund war also nicht zu viel Distanz oder zu viel Nähe, sondern fehlende Authentizität.
Authentizität ist kein Erfolgsgarant, aber ohne Authentizität kann es keinen Erfolg geben. Die Diskussion über kumpelhafte oder autoritäre Führungsstile ist eine Scheindiskussion, denn jeder Typ, und vor allem jede Mischung zwischen ihnen, kann erfolgreich sein, wenn er/sie authentisch ist.
Verantwortung zu tragen für ein Unternehmen, sei es noch so klein, erfordert neben dem Interagieren mit Menschen auch die Kraft, schwere Entscheidungen konsequent zu treffen. Auch hier greift wieder eine alte Weisheit aus dem Fußball: Wer nachhaltig Erfolg hat, kann so viel nicht falsch gemacht haben.
Ich wünsche Ihnen ein glückliches Händchen bei der Balance zwischen Distanz und Nähe!
Herzliche Grüße aus Brand
Ihr
Hans-Dieter Krönung