„Peanuts“
(Ex-Vorstand einer deutschen Großbank)
Seit vielen Jahren führe ich eine geheime und private Statistik, die sich mit dem Verhalten von Assistenzen befasst. „Von Berufs wegen“ bin ich ja sehr häufig im Kontakt mit diesen Damen (mitunter auch Herren) und ich muss an dieser Stelle betonen, dass die weitaus meisten Assistenzen außerordentlich hilfsbereit und freundlich sind (damit an dieser Stelle kein falscher Zungenschlag hereinkommt).
Allerdings bedeutet das nicht, dass man nicht trotzdem auf gewisse Unterschiede aufmerksam wird, die es wert sind, einmal beleuchtet zu werden.
Nehmen wir ein typisches Beispiel: Es wurde bereits vor einigen Wochen ein Telefontermin mit dem Vorstand einer Bank vereinbart, weil man ein Thema oder eine Idee austauschen, oder weil man eine Information hat, die man gerne weitergeben möchte. Tag und Uhrzeit sind fixiert, d.h. man stellt seinen persönlichen Tagesplan in Teilen auf dieses Telefonat ab, um erreichbar und vorbereitet zu sein. Wie vereinbart, will sich die Assistenz melden, um mit dem Vorstand zu verbinden.
Nun beginnt mitunter der für meine Statistik relevante Teil, nämlich immer dann, wenn der geplante Termin aus irgendeinem Grund nicht (!) wie vorgesehen stattfinden kann.
Fallunterscheidung a): Es passiert zum vereinbarten Termin und zur vereinbarten Uhrzeit (und auch in den folgenden Stunden) nichts.
Fallunterscheidung b): Die Assistenz meldet sich deutlich später, entschuldigt sich für die Verspätung und verbindet. Natürlich ist der Spannungsbogen des Telefonats zerstört, weil der nächste Termin schon drängt und man zu wenig Zeit hat, das geplante Thema angemessen darzustellen. Das kann passieren, selbstverständlich.
Fallunterscheidung c): Die Assistenz meldet sich zur vereinbarten Zeit, um mitzuteilen, dass der Vorstand sich verspätet hat, einen anderen Termin dazwischen bekommen hat und sich daher erst später melden kann oder man leider einen neuen Telefontermin vereinbaren muss.
Möchten Sie wissen, wie in meiner Statistik die Verteilung zwischen den drei Fallunterscheidungen aussieht?
Das möchten Sie nicht wissen, weshalb ich mich darauf beschränke, die Analyse der Beobachtungen etwas zu vertiefen, um meinen Punkt zu verdeutlichen.
Wir reden in der Finanzdienstleistungsbranche gerne von der „Kundenorientierung“. Damit ist vor allem auch ein auf gegenseitigem Respekt basierendes Kommunikationsverhalten gemeint, das nicht nur den Kunden selbst, sondern auch die MitarbeiterInnen und die LieferantInnen einschließt.
Ein anderer Begriff für „Kundenorientierung“ ist „Serviceorientierung“. „Service“ bedeutet, einem Dritten, sei es auf der Kunden-, der Lieferanten- oder der Mitarbeiterseite „zu Diensten“ zu sein, ihm also zu helfen, seinen Wunsch zu realisieren, sein Bedürfnis befriedigt zu bekommen.
Dieses „Service“-Verhalten zeigt die Assistenz einzig in Fallunterscheidung c), denn obwohl der geplante Telefontermin nicht wie geplant stattfinden kann, verhält sich die Assistenz gegenüber dem Dritten (in diesem Fall ich) so, als ob der Termin auch hätte stattfinden können. Mit anderen Worten: Für den Dritten entsteht somit keine unklare Situation, weil proaktiv und Service-orientiert zum vereinbarten Zeitpunkt die bestmögliche Befriedigung des Bedürfnisses des Dritten im Mittelpunkt des Verhaltens der Assistenz steht, und das, obwohl der eigentliche Wunsch, das Gespräch mit dem Vorstand, nicht möglich ist.
Man mag das gegebenenfalls für eine übertriebene Anforderung halten; ich sehe das nicht so und ich will es begründen.
Vor einigen Jahren schrieb ich einen Standpunkt mit dem Titel „Die kleinen Dinge“ (und mit einem Bezug zu Joe Cockers „Simple things“), in dem ich darauf verwies, dass die meisten MitarbeiterInnen nach meiner Erfahrung bei Ansprachen des Managements weniger auf die Worte als vielmehr auf das Auftreten und die vielen kleine Signale achten, die man unbewusst aussendet, was Herrhausen ja auch meinte, wenn er sagte, dass man „das sein müsse, was man tue“. Das hat sehr viel mit Authentizität zu tun.
Wenn eine Assistenz das Selbstverständnis hat, dass man sich bei Dritten nicht melden muss, wenn sich ein vereinbarter Termin nicht oder nicht pünktlich durchführen lässt, dann sagt das sehr viel über die Service-Philosophie aus, die ein Manager seiner Assistenz vermittelt bzw. möglicherweise auch unbewusst vorlebt.
Wenn es dem Manager wirklich wichtig wäre, wie mit Dritten umgegangen wird, wie viel Respekt ihnen entgegengebracht wird, dann würde er/sie bei der ersten Rückmeldung eines Dritten, nicht angemessen, d.h. pünktlich, über die Verzögerung oder Verschiebung informiert worden zu sein, energisch einschreiten und eine andere Verfahrensweise einfordern. Wenn es ihm/ihr aber in Wirklichkeit nicht wichtig ist, wie mit Dritten verfahren wird, dann wird die Assistenz über kurz oder lang dieses Werteverständnis übernehmen, vor allem, weil es bequemer ist, keinen Service zu leisten als ihn zu leisten. Es ist also durchaus legitim, aus dem beobachteten Verhalten der Assistenz auf das Werteverständnis des Managers zu schließen.
Ein Verhalten, das die Bedürfnisse eines Dritten missachtet, basiert auf der antiquierten Sicht, das Machtzentrum (das Management) sei der Mittelpunkt der Welt, um den sich alles zu drehen habe. In einer Monarchie (jedenfalls bis zur weitreichenden Umsetzung der Ideen der Aufklärung) näherte man sich dem Monarchen/der Monarchin als devoter Bittsteller, und wenn man Glück hatte, wurde man gehört. Es gab eine große Schar Höflinge, deren einzige Aufgabe es war, den Monarch/die Monarchin vor lästigen Störungen zu schützen. Man konnte von diesen Höflingen nicht erwarten, dass sie Dritten gegenüber einen Service-Gedanken entwickelten; das wäre widersinnig gewesen.
Überreste dieses Rollenverständnisses finden wir heute in den Assistenzbereichen des Top-Managements vieler Unternehmen. Die wahre Wurzel eines solchen Hierarchie-orientierten Assistenzverhaltens liegt im Selbstverständnis des Managements begründet.
Wer tief in seinem Inneren davon überzeugt ist, etwas „Besseres“ zu sein, weil man Entscheidungsgewalt über eine Organisation hat, der kann Dritten gegenüber nicht auf Augenhöhe begegnen oder ihnen sogar „zu Diensten“ sein.
Ein ausgeprägtes Hierarchieverständnis steht einem ausgeprägten Serviceverständnis vollständig im Weg.
Es ist gut, dass wir in den Führungsetagen lockerer geworden sind und dass die Hierarchiegrenzen aufgeweicht wurden.
Aber es ist nicht damit getan, die Krawatten abzulegen, wenn tief in der eigenen Seele noch der Monarch regiert.
Wenn Sie also selbst in einer Management-Funktion tätig sind und das Privileg einer Assistenz genießen, dann prüfen Sie doch einmal selbst, welches Verhalten gegenüber Dritten ihre Assistenz an den Tag legt. Man kann zunächst fragen, wie mit Rückmeldungen bei Nicht-Einhaltung von vereinbarten Terminen umgegangen wird, und man kann Dritte fragen, welche Erfahrungen gemacht wurden.
Es wäre aber vollkommen falsch, bei kritischen Beobachtungen oder Rückmeldungen die Schuld bei der Assistenz zu suchen, denn wenn sich Fehlverhalten eingeschlichen hat oder es niemals als solches registriert wurde, dann sollten Sie sich an die eigene Nase fassen und Ihr Service-Verständnis kritisch hinterfragen.
Man kann es auch „betriebswirtschaftlicher“ oder „Risiko-orientierter“ ausdrücken, wenn es bislang zu esoterisch klang.
Eine möglichst reibungslose Informationsgewinnung und -verarbeitung wird in einer sich immer schneller verändernden Welt immer erfolgskritischer. Kommunikatives Fehlverhalten, wie beschrieben, birgt die Gefahr, relevante Informationen nicht oder verspätet zu erhalten und somit falsche Entscheidungen zu treffen bzw. wichtige Entscheidungen nicht oder nicht
rechtzeitig zu treffen. Assistenzen sind Informations-„Gate Keeper“, d.h. sie müssen effektives Informationsmanagement betreiben.
Die aufmerksame und wertschätzende Rückmeldung an Dritte sichert eine lebendige Informationskultur, sei es, weil Kunden sich melden, MitarbeiterInnen Anliegen haben oder Lieferanten anfragen; in jedem persönlichen Kontakt kann eine wichtige Botschaft stecken.
Das fordert von der Assistenz eine besondere Fähigkeit, nämlich ein lebendiges Informationsnetzwerk zu pflegen und zu entwickeln. Und natürlich wird der wertschätzend Behandelte tendenziell mehr Vertrauen geben und sich weiter öffnen, was ebenfalls nur von Vorteil sein kann. Wertschätzung beginnt jedoch mit der Anerkennung berechtigter Interessen Dritter, wozu (so banal wie wahr) auch die pünktliche Rückmeldung bei drohenden Verzögerungen zählt.
Es wäre zu weit hergeholt, einen Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Assistenz und dem Erfolg eines Unternehmens konstruieren zu wollen, aber dass sich eine bestimmte Wertekultur bis in die Feinwurzeln einer Organisation durchziehen sollte, daran besteht kein Zweifel. Einen direkten Zusammenhang kann es schon allein deshalb nicht geben, weil es durchaus Assistenzen gibt, die trotz eines „monarchistischen“ Selbstverständnisses des Managers ein wertschätzendes Verhalten Dritten gegenüber an den Tag legen. Nur handelt es sich dabei leider nicht um die „Feinwurzel“ eines übergreifenden Selbstverständnisses, sondern um ein individuelles Werteverständnis. Man kann also bedauerlicherweise nicht aus dem positiven Verhaltensmuster der Assistenz auf den Wertekodex des Managers schließen.
Ich würde mich sehr freuen, wenn sich meine Statistik in den nächsten Jahren in die richtige Richtung verbessert, d.h. wenn man davon ausgehen kann, dass sich zu einem vereinbarten Termin entweder der gewünschte Gesprächspartner oder aber die Assistenz meldet, damit ich weiß, was Sache ist.
Es tut nämlich gut, wenn man sich richtig behandelt fühlt, ob als Kunde, als MitarbeiterIn oder als Lieferant, Authentizität beginnt bei den „kleinen Dingen“, die man leicht als unbedeutend abtut.
Wer aber immer noch glaubt, die kleinen Dinge dieser Art seien unbedeutend, dem sei die Erinnerung an den Deutsche Bank-Top-Manager anempfohlen, der seinen Ruf durch den Hinweis auf ein bestimmtes, „kleines“ Nahrungsmittel ruiniert hat. Kleine Dinge sind keine „Peanuts“.
Herzliche Grüße aus Brand
Hans-Dieter Krönung