„In the middle of every difficulty lies opportunity“
(Albert Einstein)
Als wir vor einem Jahr vor dem Weihnachtsbaum saßen und auf das kommende Jahr blickten, hätte wohl kaum einer von uns geglaubt, dass schon zwölf Monate später von einer „Zeitenwende“ auch im Finanzdienstleistungs-Sektor gesprochen werden könnte: Die Zinsen steigen und damit tendenziell auch die Betriebsergebnisse der Banken.
Natürlich hören wir jetzt schon wieder die „Experten“, die ihre lausigen Ergebnisse der letzten Jahre damit erklären, für den jetzt eingetretenen Fall schon „vorgesorgt“ zu haben.
Das erinnert mich an Helmut Kohl, der, wie seine Partei, aus reiner konservativer Ideologie immer von der deutschen Wiedervereinigung als historischem Entwicklungsziel gesprochen hatte, bis durch einen geschichtlichen Zufall, auf den er keinerlei Einfluss hatte, die Chance der Wiedervereinigung durch die Perestrojika in der damaligen Sowjetunion entstand, und er dann behaupten konnte, er habe das schon immer kommen sehen.
Blicken wir noch einmal zurück: In den Jahren der politisch motivierten Niedrigzinsphase haben sich viele Banken mühsam, aber stetig, mit ihren Geschäftsmodellen umgestellt, wie kürzlich sogar der Chef der Deutschen Bank, Christian Sewing, in einer Talkshow erklärte. Man habe sich sehr stark dem Geschäft mit Kunden zugewandt, was sich besonders in deutlich gestiegenen Provisionsergebnissen niedergeschlagen habe.
Für eine Bank, die über Jahrzehnte systematisch versucht hat, sich ihrer (Mengen-)Kunden zu entledigen, um sich auf hochprofitable und spekulative Geschäfte zu konzentrieren, ist zum einen diese Erkenntnis bemerkenswert, zum anderen aber auch der Weg der Veränderung offensichtlich besonders weit.
Viele Regionalbanken, vor allem die Genossenschaftsbanken, haben diesen notwendigen Anpassungsprozess schneller und konsequenter, und damit auch erfolgreicher vollzogen als andere Banken, weil sie schon immer „das Ohr auf der Straße“ hatten, d.h. mit ihren Kunden in intensivem Kontakt gestanden haben.
Man darf aber auch nicht verschweigen, dass die gestiegenen Provisionsergebnisse auch zum Teil über Preiserhöhungen realisiert wurden, aber die Erkenntnis, dass das z.T. mühsame Kundengeschäft prinzipiell etwas Positives und Förderungswürdiges ist, hat sich wohl dennoch breitflächig in den vergangenen Jahren durchgesetzt.
Warum ist diese Erkenntnis so wichtig und bemerkenswert? Vor allem deshalb, weil sich viele Top-Manager in Banken sehr schwergetan haben, diese Veränderung auch in ihrem Kopf zu vollziehen, denn anstatt mit aller Kraft in die Intensivierung der Vertriebsarbeit zu investieren, um gegen die Niedrigzinsphase anzukämpfen, wurde lange über die Schuld der Politik lamentiert, diese „irreguläre“ Situation herbeigeführt zu haben und es wurden insbesondere die Verbände dafür beschuldigt, dies nicht verhindert zu haben.
Gott sei Dank haben dann doch die meisten der Top-Manager diesen Schwenk im Kopf mittlerweile vollzogen und ihren Instituten den verstärkten Fokus auf das Geschäft mit lebenden Kunden und Unternehmen verordnet.
Man darf den Wert dieser Erkenntnis und dieser Veränderung nicht unterschätzen, denn schließlich hat sich das Bankgeschäft damit (endlich) eingereiht in die Reihe „normaler“ industrieller Branchen auch, wo es schon immer notwendig war, Tag für Tag mit Top-Leistungen um Kunden zu werben, um über die Runden zu kommen.
Kein „normaler“ Industriebetrieb kann, wie bei Banken früher üblich, schon zu Jahresbeginn sein Jahresergebnis gedanklich abhaken, weil man aus dem Bestand lebt und allenfalls am Jahresende noch ein wenig Bilanzkosmetik betreiben muss.
Es ist eben „normal“, dass ein Unternehmen um Kunden kämpfen muss und dass es auch mühsam ist, sich wie das sprichwörtliche Eichhörnchen zu ernähren. Wie viel einfacher und daher verführerischer ist es demgegenüber doch, mit geschickten Anlagestrategien am Kapitalmarkt oder mit wenigen lukrativen Groß-Krediten seinen Ertrag zu sichern.
Das erklärt auch, warum in vielen Banken das normale Privatkundengeschäft noch immer keine hohe Reputation genießt, eben weil man es bis zur Niedrigzinsphase vielerorts nicht wirklich zu brauchen glaubte.
Ich möchte daher bekennen, dass ich, obwohl auch ich die politisch initiierte Niedrigzinsphase als eine nicht-normale Zeit betrachte, der jetzt zu Ende gehenden Ära doch ein wenig nachtrauere. Ich höre schon jetzt buchstäblich das zufriedene Zurück-Lehnen bei vielen Bank-Managern und spüre bereits das Nachlassen der Bemühungen im Kundengeschäft.
Allen denen, die so denken und handeln, sei folgender Hinweis gegeben: Welchen Umständen verdanken wir denn eigentlich die Rückkehr zur „Normalität“?
Es sind genau zwei Faktoren, für die die Bankenwelt, es sei an Helmut Kohl erinnert, keinerlei konstruktiven Beitrag geleistet hat: Die Corona-Pandemie hat zu einer weltweiten Wirtschaftskrise und der Überfall Russlands auf die Ukraine hat zu einer Energiekrise geführt, in deren Folge die Notenbanken gezwungen waren, der Inflations- und Rezessionsgefahr mithilfe steigender Zinsen entgegenzuwirken, wenn ich es mal sehr vereinfacht so zusammenfassen darf.
Es sind also vor allem zwei Katastrophen gewesen, die die „Zeitenwende“ herbeigeführt haben, nicht etwa strukturelle Weiterentwicklungen der Märkte oder die Normalisierung wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen; ganz im Gegenteil.
Man könnte jetzt leicht argumentieren, dass schließlich auch eine Katastrophe die Niedrigzinsphase ausgelöst hat, nämlich die Finanzkrise von 2008, so dass jetzt eigentlich nur das „Pay Back“ erfolgen würde.
Das stimmt sogar in gewissem Sinn, übersieht aber, dass die allermeisten Katastrophen, Gott sei Dank, temporärer Natur sind und man deshalb durchaus die Frage stellen kann, was wohl passieren wird, wenn die Corona-Pandemie überwunden und der Ukraine-Krieg beendet sein werden.
Werden sich die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen wie die Ungleichverteilung der Vermögen (national und international) bzw. die Expansionsbestrebungen der USA und Chinas dann verändert haben?
Wird sich die Moral des „vagabundierenden Kapitals“, Rendite um jeden Preis zu erzielen, zugunsten von Gemeinwohl und Nutzenstiftung verändert haben?
Wohl kaum, was aber auch bedeuten könnte, dass sich perspektivisch durchaus wieder Zustände einstellen könnten, die der Zeit vor Corona und Ukraine-Krieg ähneln.
Bekommen wir dann wieder eine neue Niedrigzinsphase?
Es macht derzeit wenig Sinn, darüber zu spekulieren, was wohl in ein oder zwei Jahren sein wird, weil die Rahmenbedingungen so unsicher sind, dass seriöse Unternehmensstrategie derzeit nur darin bestehen kann, sich bestmöglich auf alle Eventualitäten einzurichten.
Was aber als Erkenntnis der letzten Jahre bleibt, ist die Resilienz des Kundengeschäfts gegenüber Katastrophen aller Art.
Wenn also Bankenmanager darüber nachdenken, wie sie ihr Institut möglichst krisenfest aufstellen und welche Erkenntnisse aus den letzten 10-20 Jahren zu ziehen sind, dann sind sie gut beraten, den Fokus auf den weiteren Ausbau des Kundengeschäfts zu lenken.
Zwar ist die Aufmerksamkeit derzeit sehr auf die technologische Entwicklung gerichtet, wo Digitalisierung und IT-Compliance bzw. -Regulatorik starken Handlungsdruck aufgebaut haben, aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die effizientesten Prozesse keinen Wert haben, wenn sie nicht der Verbesserung der Marktbearbeitung dienen.
Ich habe ab und an den Eindruck, dass sich diese argumentative Kausalkette umgekehrt hat, also dass man mitunter glaubt, effiziente und digitale Prozesse befreiten von der „Qual“ der strukturierten und motivierten Marktbearbeitung.
Es wäre also geschickt, den (erzwungenen) Schwung der Intensivierung des Kundengeschäfts aus der Niedrigzinsphase weiter zu nutzen, denn noch immer schöpfen Banken nur einen Bruchteil ihrer Marktpotenziale aus.
Gerade die Bedeutung des klassischen Mengenkundengeschäfts als Basis für eine stabile Geschäftsstrategie darf jetzt nicht verloren gehen. Es hat in der Vergangenheit immer wieder „Analysen“ gegeben, die scheinbar nachgewiesen haben, dass im Geschäft mit den „einfachen“ Kunden kein Geld zu verdienen sei. Die nachweislichen Erfolge der Genossenschaftsbanken in Deutschland, aber auch in Österreich, sprechen eine andere Sprache, denn ich denke, dass ich keinem Verantwortlichen in einer dieser Bankengruppen zu nahetrete, wenn ich behaupte, dass dieser Erfolg, der ja schon viele Jahre anhält, nicht in erster Linie durch herausragende digitale Angebote oder durch hocheffiziente Prozesse begründet werden kann.
Es sollte vielleicht möglich sein, in der jetzt da und dort aufkommenden Entspannung hinsichtlich der Betriebsergebnisse dennoch den Blick für die wesentlichen Erfolgsfaktoren nicht zu verlieren, sondern gewissermaßen antizyklisch so zu tun, als wäre die Welt noch wie zu Zeiten der Niedrigzinsphase, was bedeuten würde, weiter an der Intensivierung der Kundenkontakte, an der Verbesserung der Qualität der Kundenberatung sowie an der Weiterentwicklung der Motivation der Mitarbeitenden zu arbeiten.
Es heißt nicht umsonst: „Wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen“.
Die Zeit des Jahreswechsels ist traditionell eine Zeit zum Innehalten, zum Reflektieren und zur Überprüfung des eigenen Koordinatensystems.
Gerade das vergangene Jahr hat wieder einmal gezeigt, wie schnell die Dinge anders werden können, bspw. nur allein deshalb, weil sich ein Despot bemüßigt fühlt, einen Krieg mitten in Europa zu beginnen.
Die Niedrigzinsphase mit ihren „irregulären“ Rahmenbedingungen hat uns dennoch gezeigt, dass insbesondere das Bankensystem, wenn auch an vielen Stellen schmerzhaft und mühsam, den Schwierigkeiten getrotzt hat und robust genug zu sein scheint, auch die künftigen Herausforderungen zu meistern, und zwar nicht durch Jammern, sondern durch Handeln.
Diese große Krise der letzten Jahre hat aus vielen Bankern Unternehmer gemacht, was ich für einen großen Fortschritt halte. Der Unternehmer unterscheidet sich vom Verwalter vor allem dadurch, dass er immer nur nach vorne schaut, niemals mit dem Erreichten zufrieden ist und beständig Chancen sucht, um Risiken zu kompensieren.
Ich hoffe sehr, dass diese Entwicklung jetzt nicht wieder umgekehrt wird.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben ein frohes Fest, Gesundheit und Schaffenskraft für das kommende Jahr, denn es wird wieder gelten: Das leichteste war das vergangene Jahr!
Herzliche Grüße aus Brand
Hans-Dieter Krönung