#84 – Fusionitis – oder: Wenn man vom Virus gepackt ist

„Was ein einzelner Schwacher nicht schafft, schaffen mehrere Schwache auch nicht!“

(Abgewandelter Werbeslogan)

In den Verbundorganisationen grassiert das Fusions-Fieber. Endlich ist es der gebündelten Energie der Verbände, Aufsichtsbehörden und Unternehmensberater gelungen, Größe durch Fusion zum beherrschenden Erfolgsfaktor für Regionalbanken zu machen.

Verbände proklamieren zwar immer wieder die Kraft der regionalen Nähe zu den Kunden, praktisch arbeiten sie aber mit großer Kraft und Unterstützung der Rechenzentralen daran, Economies of Scale durch Bündelung von Prozessen und Strukturen zu realisieren, die selbstverständlich in großen Banken leichter zu realisieren sind als in kleinen Banken.

Den Aufsichtsbehörden ist das Gewimmel vieler kleiner Institute ohnehin schon seit vielen Jahren ein Dorn im Auge, denn zum einen ist es für das Ego eines Prüfers besser, eine Großbank zu prüfen als eine kleine Volksbank, zum anderen sind die Führungskräfte kleiner Banken zumeist auch weniger fügsam, was die Erfüllung regulatorischer Anforderungen angeht, weil sie noch tief im Kundengeschäft stecken, daher sehr marktorientiert arbeiten und wissen, worauf es wirklich ankommt.

Und schließlich leben auch die Unternehmensberater besser, wenn viel fusioniert wird, weshalb sie nicht müde werden, immer größere „Mindestgrößen“ für Regionalbanken zu „empfehlen“, weil angeblich viele Studien beweisen, dass kleine Institute unter der sich immer weiter nach oben schiebenden Mindestgröße keine Überlebenschance haben.

Vor etwa 20 Jahren ermittelte eine namhafte Beratungsgesellschaft im Dienst des Deutschen Sparkassen- und Giro-Verbandes eine Mindestgröße für Sparkassen von ca. 3 Mrd. Euro.

Heute liest man davon, dass unter 10 Mrd. Euro keine Bank dauerhaft überleben könne.

Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass mittlerweile die meisten Institute, selbst im Genossenschaftssektor, deutlich größer geworden sind.

Es ist jedenfalls gelungen, dass sich bei sehr vielen Vorstandsvorsitzenden die Überzeugung durchgesetzt hat, man müsse jetzt schnellstens Größe gewinnen. Die Jagd nach der nächsten Milliarde Bilanzsumme dominiert bei vielen Top-Managern in Sparkassen und Genossenschaftsbanken das Denken und Handeln. Dabei sind es schon längst nicht mehr die Ballungsräume, die die ganz großen Regionalinstitute hervorbringen. Auch in den vielen Provinzen entstehen wahre Giganten durch großflächige Zusammenschlüsse.

Wen wundert es da, wenn sich ein Vorstandsvorsitzender/eine Vorstandsvorsitzende, der/die seit zwei Jahren nicht fusioniert hat, fragt (oder schlimmer: gefragt wird), ob er/sie den Zug der Zeit verpasst habe.

Hinzu kommt, dass ja in allen Verbundorganisationen vor vielen Jahren schon elitäre Kreise von Groß-Instituten gegründet wurden, weil man sich schließlich „unter Gleichen“ und nicht mit den „Gewöhnlichen“ austauschen wollte. So manche Stilblüte an Initiativen, die aus dem Selbstverständnis heraus geboren wurde, „ganz andere“ Anforderungen zu haben, ist ja dann auch aus diesen Kreisen, zumeist erfolglos, gestartet worden.

Diese schon lange etablierten Strukturen geraten nun unter Druck, weil durch die vielen Fusionen plötzlich Groß-Institute entstehen, die den Anspruch erheben, ebenfalls bei den „Großen“ mitwirken zu wollen.

Es kommt also mittlerweile auf die Größe an, weil sich das Selbstwertgefühl vieler Vorstandsvorsitzender an der Bilanzsumme und der entsprechenden Ranking-Position unter den Regionalbanken orientiert.

Fakt ist und bleibt jedoch, dass Größe kein Garant für Qualität und auch kein Garant für wirtschaftlichen Erfolg ist. Es gibt nach wie vor trotz Corona und anderer exogener Faktoren keinerlei Beleg dafür, dass Größe und wirtschaftlicher Erfolg positiv miteinander korrelieren.

Es ist vielmehr zu beobachten, dass sich fusionierende Institute für eine lange Zeit von der aktiven Marktbearbeitung verabschieden und stattdessen alle Energie in die Bewältigung der Fusionsprobleme, die übrigens meistens kultureller Natur sind, stecken (müssen).

Mehr noch: Um die in der Fusion versprochenen und von ambitionierten Externen ermittelten Skalenerträge zu realisieren, werden Filialen geschlossen und damit die Nähe zu den Kunden vergrößert. Damit einher geht der Ausbau der Stäbe und die Entfremdung des Top-Managements von den Bedürfnissen der Menschen im Unternehmen. Und mit der Macht der Stäbe steigt auch die Technisierung und Mechanisierung der Führung, weil man ja der vielen Menschen in einer großen Organisation nur durch verstärktes Messen, Zählen und Wiegen glaubt, Herr werden zu können.

Ich habe bewusst vom Selbstwertgefühl der Vorstandsvorsitzenden und nicht vom Selbstwertgefühl der Belegschaft oder der Führungskräfte gesprochen. Es ist ein Spiel zwischen den Vorstandsvorsitzenden geworden, wer die größte Bank in der ihm/ihr noch verbleibenden Zeit baut. Man kann sich leicht vorstellen, was passiert, wenn man sich untereinander trifft und jemand berichten kann, demnächst deutlich an Größe zulegen zu werden. Wahrscheinlich wird jeder Teilnehmer einer solchen Runde sofort nachsehen, was das für „sein“ Ranking bedeuten würde, ob man sich den „Konkurrenten“ noch vom Leib halten kann oder dieser vorbeizuziehen droht.

Ich hatte eigentlich einmal gehofft, dass dieses „Tonnage-Denken“ mit der Zeit aussterben würde, weil es eigentlich wichtigere Herausforderungen gibt als Größe.

Weder der normale Kunde noch der normale Mitarbeiter sind am Größen-Ranking interessiert, sondern vor allem an der Qualität der Betreuung bzw. der internen Führung.

Es müsste sich doch langsam herumgesprochen haben, dass Größe auch Komplexität mit sich bringt, denn sonst wären die Deutsche Bank und die Commerzbank unangefochten Marktführer in Deutschland.

Gerade die Genossenschaftsbanken, die im „normalen“ Bankgeschäft seit vielen Jahren die erfolgreichsten Wettbewerber stellen, sollten bedenken, dass die Jagd nach den Economies of Scale ihren Haupterfolgsfaktor, nämlich die Intensität der Marktbearbeitung, gefährden kann. Wenn die Kunden den Mehrwert einer regionalen Bank nicht mehr erkennen können, warum sollten sie dann nicht zu einer Direktbank wechseln, die ihnen auch keine Nähe, aber dafür bessere Konditionen bietet?

Es wird immer wieder fälschlicherweise das Argument angeführt, kleine Banken könnten sich schließlich die notwendigen Investitionen in die Digitalisierung nicht leisten, insbesondere was die Ausbildung der Mitarbeitenden betrifft.

Dabei wird gerne übersehen, dass die Sparkassen und Genossenschaftsbanken in Verbünden organisiert werden, die äußerst leistungsfähig sind, was technologische Investitionen und die Entwicklung marktfähiger Produkte betrifft. Die Verbundorganisationen werden immer besser darin, die Regionalbanken bei aufsichtsrechtlichen, strategischen und Prozess-Optimierungsfragen zu unterstützen. 

Es besteht daher eigentlich kein zwingender Grund, unbedingt eine Mindestgröße von 5+ Mrd. Euro erreichen oder weit überschreiten zu müssen.

Die Qualität des Managements bestimmt über die Qualität der Bank und damit auch über das Ergebnis, das erwirtschaftet wird. Ich habe bislang keinen Zusammenhang zwischen der Bilanzsumme und der Qualität des Managements erkennen können, zumal sich ja häufig die handelnden Personen an der Spitzen mit Fusions-bedingt rasant wachsender Bilanzsumme nicht ändern, man trifft schon einmal einen „Leichtmatrosen“ auf der Brücke eines Ozeandampfers.

Was also ist die Botschaft? Die Konsolidierung bei den Regionalbanken wird anhalten, weil allein schon die demographischen Strukturen unter dem Stichwort der anhaltenden Landflucht zu veränderten Marktstrukturen führen werden. Damit einher geht zwingend die Erhöhung der Durchschnitts-Bilanzsumme der Regionalbanken.

Andererseits müssen vor allem die Eigentümer der Regionalbanken bedenken, dass die Qualität der Marktbearbeitung der entscheidende Grund für die Existenz mittelständischer Strukturen auch und gerade im Finanzdienstleistungssektor ist. Wer im europäischen Ausland die Marktkonditionen mit denen in Deutschland und Österreich vergleicht, wird kaum von einem höheren Kundennutzen der dort stark konsolidierten Bankstrukturen sprechen können, zumal dies allen Unkenrufen zum Trotz bislang nicht zur Instabilität des Bankensektors in Deutschland und Österreich geführt hat.

Regionalbanken sind ein Erfolgsmodell mit Zukunft, aber die Zukunft liegt in der Regionalität, nicht in der Effizienz durch Größe. Gerade Verbundstrukturen dämpfen eigentlich den Zwang, Economies of Scale in der einzelnen Regionalbank zu maximieren, zumal sowohl Sparkassen als auch Genossenschaftsbanken an ihren Gründungszweck erinnert sein sollten, der ausdrücklich nicht in der Maximierung der Rendite lag (und liegt).

Man sollte sich auch in den Top-Etagen der Regionalbanken davon lösen, zu glauben, an diesem archaischen Spiel, wer denn der Größte sei, unbedingt teilnehmen zu müssen, zumal ja schon feststeht, wer der Größe ist: Muhammed Ali.   

Herzliche Grüße aus Brand

Hans-Dieter Krönung