#85 – Credit Suisse – oder: Scheitern mit Ansage

„Wir haben einen Zombie beseitigt, aber ein Monster geschaffen!“

(Züricher Tageszeitung 22.3.23)

Die Bankenbranche hat – mal wieder – einen schwarzen Tag erwischt. Das Vertrauen der Märkte und der Kunden in die Banken ist – wieder einmal – ins Wanken gekommen; die Aktienkurse der Großbanken sind vorübergehend deutlich gefallen.

Schuld ist – mal wieder – die Zockermentalität des Top-Managements einer von Rendite-Orientierung getriebenen Großaktionären beherrschten Bank. Das „vagabundierende Kapital“ hat – mal wieder – zugeschlagen.

Natürlich bemüht man sich jetzt in Deutschland, zu versichern, dass es sich um ein singuläres Problem handelt, das vor allem ein kleines Netzwerk von amerikanischen und wenigen europäischen Banken betrifft, die sich mit der im Cybermoney besonders engagierten Silicon Valley Bank eingelassen hatten. Deshalb steht zu vermuten, dass es sich tatsächlich eher um eine begrenzte Katastrophe handelt, auch wenn abzuwarten bleibt, wie die UBS mit dem aufgezwungenen Einverleiben der toxischen Konkurrenz umgehen wird.

Mindestens wird das Verdauen dieser Operation dazu führen, dass sich das Management der UBS für längere Zeit nicht mehr auf die Bearbeitung ihrer Märkte wird konzentrieren können, um zu verhindern, dass wirklich ein „Monster“ entsteht.

Für die etablierten und seriösen Banken in Deutschland und Österreich stellt sich die Frage, was daraus zu lernen ist.

Zunächst einmal ist festzustellen, dass die seit 2008 etablierten, verschärften aufsichtsrechtlichen Instrumente und Prozesse in den USA und in der Schweiz nicht in der erforderlichen Konsequenz angewandt wurden, wie das in Deutschland und Österreich der Fall ist, wenn man vielleicht einmal von Wirecard absieht. Manch ein von eifrigen Aufsehern gequälter Manager einer Sparkasse oder Genossenschaftsbank wird jetzt fluchen, weil er/sie das starke Gefühl hat, selbst durch die Mangel gedreht worden zu sein, während andere, vor allem größere Banken, nur unzureichend kontrolliert wurden.

Es deutet vieles darauf hin, dass dem tatsächlich so ist, aber es ist eben auch richtig, dass eine strenge bzw. konsequentere Anwendung der Regulatorik offensichtlich dazu beigetragen hätte, das jetzt eingetretene Risiko zu vermeiden, was wiederum bedeutet, dass die regulatorischen Instrumente prinzipiell tauglich sind.

Es ist ja ein wenig so wie bei der Diskussion um Waffengesetze. Die in hiesigen Regionen üblichen Waffengesetze können schwere Straftaten, bei denen solche Waffen zum Einsatz kommen, nicht gänzlich verhindern, aber die Statistiken im Vergleich zu den USA belegen die deutlich geringere Häufigkeit und somit auch die präventive Wirkung.

Oder nehmen wir als weiteres Beispiel die Diskussion um die Nutzung der Kernenergie. Deutschland hat seinerzeit unter dem Eindruck der Fukushima-Katastrophe den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Heute wird an vielen Stellen darüber diskutiert, ob man Atomkraftwerke nicht länger oder sogar auf Dauer nutzen sollte, zumal unser Nachbar Frankreich ganz zentral auf Atomenergie als „grüne“ Energiequelle setzt.

Man stelle sich nur einmal vor, ein Atomkraftwerk im Elsass würde eine vergleichbare Katastrophe wie in Fukushima erleiden, etwa durch einen terroristischen Anschlag. Welche Argumente hätten Atomkraft-Befürworter dann noch?

Ein weiteres aktuelles Beispiel ist die Energiedebatte. Über viele Jahre hat sich die deutsche Industrie an vergleichsweise billiger Energie aus Russland erfreut, bis eines Tages allen klar wurde, dass Russland eine Diktatur ist und seine Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit daher überschaubar ist. Und wer weiß, welche Erfahrungen die deutsche Automobilindustrie noch in China machen wird.

Das Muster ist doch immer wieder das gleiche. Solange man einen Vorteil davon hat, nicht genau hinzuschauen, schaut man auch nicht genau hin bzw. bezeichnet diejenigen, die vor den Risiken warnen, als Schwarzmaler.

Ich möchte nicht missverstanden werden. Auch ich weiß, dass man ohne Risiken nicht wirklich unternehmerisch agieren kann. Auch ich bin kein Freund des sprichwörtlichen Kreditvorstands, der auf jeden Kreditantrag schreibt: Ich warne!

Aber es ist wichtig, die strukturellen Risiken zu kennen und sie zu benennen, um Frühindikatoren nutzen zu können, damit Katastrophen vermieden werden können. Warum überziehen Forscher auch lange Zeit inaktive Vulkane mit Netzen von Sonden, obwohl schon lange kein Ausbruch mehr stattgefunden hat?

Die Credit Suisse war schon lange für alle, die sich auskannten, ein „tickender“ Vulkan.

Das strukturelle Risiko in der Finanzbranche ist der schmale Grat zwischen seriösem Bankgeschäft und „Zocken“. Wann beginnt das Glücksspiel und wo endet die Nutzung von Finanzinstrumenten für den Kunden? Im Fußball heißt das: Wann ist ein Handspiel ein strafbares Handspiel? 

Wir müssen anerkennen, dass es bei diesen Fragestellungen keine eindeutige Trennlinie gibt. Die Nutzung von Derivativen kann unbedenklich und im Kundensinne nützlich sein; sie kann aber auch Ausdruck von Zockermentalität sein.

Auch in den Verbundorganisationen in Deutschland und Österreich gibt es diese Fragestellungen. Nachdem die Niedrigzinsphase fürs Erste durch Putins Krieg beendet wurde, wenden sich viele Bankmanager in Sparkassen und Genossenschaftsbanken wieder ihrem Lieblingsspielzeug zu, nämlich der Jagd nach Größe und Rendite.

Ich habe ja bereits kürzlich zum Phänomen der „Fusionitis“ Stellung bezogen, weshalb ich dies hier nicht strapazieren möchte.

Aber ich möchte alle Manager in Regionalbanken die Frage nach ihrem Motiv stellen.

Wir ziehen jetzt und zu Recht über die Top-Manager in der Credit Suisse her, die seit 2013 lt. Fernsehbericht über 30 Milliarden Euro an Boni kassiert und dabei über 3 Milliarden Euro an Wert vernichtet haben. Wir sind uns sicher einig, dass ein solches Verhalten am ehesten damit begründet werden kann, dass es diesen Managern weniger um die Interessen ihrer Kunden und Mitarbeitenden gegangen sein dürfte als vielmehr um ihre eigenen materiellen (Geld) und immateriellen Interessen (Anerkennung).

Wie müssen wir die Motivlage bei der zu beobachtenden Fusionitis in den Verbünden beurteilen?

Ist es wirklich so, dass eine Volksbank oder eine Sparkasse nur dann überlebensfähig ist, wenn sie mindestens 10 Mrd. Euro Bilanzsumme aufweisen kann?

Wer hat denn bislang nachweisen können, dass eine kleinere Volksbank oder Sparkasse ihre Kunden schlechter bedient als ein „Metropol-Bank“, zumal doch die Idee der Verbundorganisation gerade darin besteht, potenzielle Größennachteile durch Zusammenarbeit zu reduzieren?

Manch ein Top-Manager einer Volksbank oder Sparkasse, der/die jetzt (noch einmal: zu Recht) über die Credit Suisse-Manager herzieht, möge sich fragen, ob seine/ihre Motivlage nicht grundsätzlich mit der eigenen vergleichbar ist.

Man versetze sich in die Lage des Credit Suisse-Vorstands, der aus Riad einen Telefonanruf bekommt, weshalb die Rendite des letzten Quartals unter den Erwartungen der Investoren liege und wann mit Besserung zu rechnen sei. Wie leicht erliegt man dann als gut bezahlter und renommierter Top-Manager einer Top-Bank der Versuchung, die Spielräume der Regulatorik zu überdehnen, zumal man davon ausgehen kann, dass die Regulatoren vielleicht nicht mit letzter Konsequenz einem Aushängeschild der Schweiz auf den Zahn fühlen werden?

Man versetze sich andererseits in die Lage eines ehrgeizigen Regionalbank-Vorstands, der noch fünf Jahre bis zur Pensionierung vor sich hat, dem das operative Tagesgeschäft weitgehend langweilig ist und der sich von dem jüngeren Kollegen der Nachbarbank herausgefordert fühlt, weil dieser durch Fusionen zu einer ähnlichen Bilanzsumme herangewachsen ist, wie sie seine Bank aufweist. 

Wenn sich dann die Möglichkeit bietet, eine große Fusion selbst anzuschieben, auch wenn diese vielleicht kulturell oder strategisch nicht sinnvoll oder gar problematisch ist, was ist dann das Motiv des Handelns?

Selbstverständlich werden sich Gründe finden, die man der Öffentlichkeit und den Mitarbeitenden nennen wird: Handlungsfähigkeit, Zukunftssicherung und Wirtschaftlichkeit.

Aber sind das wirklich stichhaltige Argumente, die sich objektiv nachprüfen lassen oder ist es nicht vielmehr die Befriedigung des eigenen Egos, noch einmal etwas Großes verantwortlich angestoßen zu haben?

Dies ist nicht der Versuch, Fusionen generell zu kritisieren oder zu problematisieren. Ich möchte nur dafür sensibilisieren, dass man allein an den getroffenen Entscheidungen der Top-Manager, bestimmte Geschäfte zu machen (s. Credit Suisse) oder eben Fusionen anzuschieben, nicht beurteilen kann, ob ein Top-Management den Interessen der Bank nutzen will oder nur dem eigenen Geltungsbedürfnis.

Entscheidend ist die Motivlage, aus der heraus ein Top-Management denkt und handelt. Und da stehen sich eben besonders bei Finanzdienstleistern zwei Denkschulen gegenüber, die Nutzen-orientierte und die Rendite-orientierte.

Die Nutzen-orientierte Denkschule folgt der Vorstellung, den Kunden (und Mitarbeitenden) ein dauerhaft verlässlicher und bemühter Partner zu sein und von dem dadurch geschaffenen Nutzen für die Kunden auch wirtschaftlich leben und investieren zu können.

Demgegenüber folgt die Rendite-orientierte Denkschule der Vorstellung, den Kunden nur diejenigen Dienstleistungen anzubieten, mit denen man auch eine bestimmte Mindestrendite erzielen kann bzw. nur mit Kunden zusammenzuarbeiten, mit denen eine ausreichende Rendite erwirtschaftet werden kann bzw. mit denen man profitable „Deals“ machen kann.

Die verbliebenen Großbanken haben umfangreiche Erfahrungen mit beiden Denkschulen gemacht. Gerade die Deutsche Bank hat eine lange Geschichte als verlässlicher Partner von Unternehmen, z.T. über Generationen hinweg, und eine kurze, aber schmerzhafte Geschichte des Niedergangs durch den Wechsel auf eine Rendite-orientierte Geschäftspolitik. Erst seit vergleichbar kurzer Zeit versucht die Bank, wieder auf dem richtigen Weg zu agieren.

Und es ist bezeichnend, dass die UBS, die genau diesen Schwenk hin zu einer Kunden- bzw. Nutzen-orientierten Geschäftspolitik vor einigen Jahren erfolgreich vollzogen hat, jetzt mit Hilfe der Steuerzahler gezwungen ist, die havarierte Geschäftspolitik der Credit Suisse zu reparieren.

In der amerikanischen Management-Literatur gibt es das Beispiel vom Truthahn, der sein ganzes Leben lang immer nur gut über seinen Landwirt spricht, weil er von ihm gefüttert und umsorgt wird, bis es dann eben zu Thanksgiving kommt.

Ähnlich verhält es sich mit der Atomkraft, den Waffengesetzen und toxischen Geschäftsmodellen in Banken: Irgendwann kommt die Abrechnung!

Bleiben Sie wachsam und überprüfen Sie Ihre Motive!

Herzliche Grüße aus Brand

Hans-Dieter Krönung