„Geld oder Leben!“
Sebastian Walter ist der Fraktionsvorsitzende der Partei DIE LINKE im brandenburgischen Landtag, und er sorgt sich um die Sparkassen. Genauer gesagt: Er sorgt sich um die Versorgung der Menschen in den Regionen mit Bankdienstleistungen. Noch genauer gesagt: Er sorgt sich um die Anzahl der Filialen, die seit Jahren rückläufig ist und deren Aufgabe bei der Erhaltung lebenswerter Infrastruktur auf dem Land.
Um seinem Anliegen Wucht zu verleihen, ließ er 170.000 Postkarten drucken und verteilen, mit deren Hilfe er Menschen im Land um Unterstützung für sein Anliegen bat, das Sparkassen-Gesetz zu verändern, um das Gemeinwohl, d.h. die flächendeckende Versorgung mit Filialen, gesetzlich verpflichtend zu verankern und dem Filialsterben einen Riegel vorzuschieben.
Von den 170.000 Postkarten wurden ganze 1.600 zurückgeschickt, was ein knappes Prozent der verteilten Postkarten ausmacht. Daraus könnte man schließen, dass in der Bevölkerung doch kein so großes Bedürfnis besteht, sich bezüglich der flächendeckenden Versorgung mit Filialen zu engagieren.
Die eingegangenen Postkarten wurden dennoch an das Büro des Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) weitergeleitet, der es an die „zuständige“ Institution, den Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverband (OSGV), zur Bearbeitung weiterleitete.
Man kann sich leicht vorstellen, mit welcher Intention der OSGV an die Beantwortung dieser Anfrage geht, zeigt doch die mangelnde Postkarten-Resonanz vor allem, dass die Bevölkerung überhaupt kein Problem mit der gegenwärtigen Sparkassen-Politik zu haben scheint.
Es wird also wohl so kommen, dass neben einer Presseerklärung, die darauf verweist, dass man sich seiner Verantwortung für die Regionen bewusst sei, aber auf verändertes Kundenverhalten eben auch mit „Strukturanpassungen“ reagieren müsse, nichts passieren wird.
Man kann sich aber die Frage stellen, ob man nicht doch einmal gründlicher darüber nachdenken sollte, wie man Idee und Aufgabenstellung der Sparkassen in diesen Zeiten interpretieren und leben sollte.
In der gegenwärtigen Zinssituation wird nämlich die Diskrepanz zwischen den beiden grundsätzlichen Management-Philosophien in den Vorstandsetagen der Sparkassen sehr deutlich.
Da gibt es die „Betriebswirtschaftler“, die nach den dürren Zeiten der Niedrigzinsphase jetzt nach „normalen“ Betriebsergebnissen dürsten und die Weitergabe gestiegener Zinsen auf Kundeneinlagen so weit wie möglich zeitlich hinauszuzögern versuchen.
Das Fundament ihres Denkens ist der zutreffende Hinweis, dass es sich bei einer Sparkasse schließlich um ein Wirtschaftsunternehmen handelt, das sich darum kümmern muss, u.a. angesichts steigender Eigenkapitalanforderungen genügend Reserven zu bilden.
Dann gibt es die „Romantiker“, die sich der Idee des Gemeinwohls verpflichtet fühlen und angesichts der üppig sprudelnden Zinserträge ein schlechtes Gewissen haben, ihre Kunden nicht angemessen daran partizipieren zu lassen.
Sebastian Walter von DER LINKEN gehört sicher nicht zu den „Betriebswirtschaftlern“, und ob er den „Romantikern“ wirklich zuzurechnen ist oder ob es sich nur um einen populistischen Versuch handelt, der eigenen Partei beim Überleben zu helfen, kann ich nicht beantworten.
Fakt ist aber, dass er den Finger in eine konzeptionelle Wunde gelegt hat, denn eine Sparkasse ist dem Gemeinwohl verpflichtet, aber die Gründer der Sparkassen haben eben aus gutem Grund keine Behörden geschaffen, um Finanzdienstleistungen in der Fläche bereitzustellen, sondern Wirtschaftsunternehmen, womit eine betriebswirtschaftliche Orientierung zwingend verknüpft ist.
Somit bewegt sich die „Philosophie“ der Sparkasse zwischen zwei Polen, die miteinander in Konkurrenz stehen, denn eine zu weitgehende Ausrichtung am Gemeinwohl kann sehr wohl die betriebswirtschaftliche Balance und damit die Existenz gefährden.
Daher muss jeder Vorstand einer Sparkasse ein Optimum für sich austarieren, und wir können seit vielen Jahren beobachten, wie breit der Fächer der Handlungsmuster geworden ist.
Da gibt es Sparkassen, deren Fokus tatsächlich nur auf der betriebswirtschaftlichen Optimierung liegt und die das Gemeinwohl über Spenden „erledigen“. Dort hat sich tatsächlich eine Kultur etabliert, nach der jeder Mitarbeitende zunächst das Interesse der Sparkasse im Auge zu haben hat, bevor die Kundeninteressen berücksichtigt werden. Dort versteht und kommuniziert man die derzeitigen Zinserträge als eigenen Management-Erfolg und lässt sich für Rekord-Ergebnisse feiern.
Dabei wird übersehen, dass die Ergebnisexplosionen nicht das Ergebnis hart und schmerzvoll erarbeiteter Effektivitäts- oder Produktivitätssteigerungen sind, sondern schlicht und ergreifend „Windfall-Profits“, die den Folgen von Pandemie, Ukraine-Krieg und Inflation zu „verdanken“ sind.
Wie wir der derzeitigen Presselandschaft entnehmen können, profitieren ja auch prominente Privatbanken von dieser Situation und verbreiten die Mär, sie hätten jetzt endlich die Früchte ihrer jahrelangen „Restrukturierungsbemühungen“ geerntet.
Wir werden sehen, was passiert, wenn sich die Zinssituation wieder entlang der volkswirtschaftlichen Basisdaten entwickelt, d.h. wenn wir wieder niedrigere Zinsen haben werden, weil der Ukraine-Krieg beendet und die Inflation gedrückt werden konnte.
In den letzten Jahren haben sich nach meiner Beobachtung die „betriebswirtschaftlichen“ Perspektiven bei den Sparkassen verstärkt. Ob das damit zusammenhängt, dass immer mehr Vorstände aus Privatbanken in die Sparkassen gewechselt sind, um den Sparkassen beizubringen, wie man Bankgeschäft „richtig“ macht, oder ob es an der Dominanz des DSGV als strategischer „Think Tank“ liegt, wo sich viele Ex-Berater tummeln, die natürlich vor allem betriebswirtschaftliche Sichten in sich tragen, kann nicht abschließend beurteilt werden. Man hat den Eindruck, dass die legitimen Bemühungen, die Sparkassen wettbewerbsfähig zu halten, auch dazu geführt haben, dass man immer mehr Konzepte aus dem Privatbanken-Bereich übernimmt, ohne die eigene DNA der Sparkassen ausreichend zu bewahren und auch kommunikativ weiterzuentwickeln. Es wird auf Dauer nicht ausreichen, nur die Marke zu pflegen, indem man die jeweils neuesten Trends wie Nachhaltigkeit einarbeitet.
Seit Jahren „beklagen“ sich die Privatbanken, dass durch die Sparkassen Wettbewerbsverzerrung betrieben würde, weil diese das ihnen zur Verfügung gestellte Eigenkapital nicht „angemessen“ verzinsen müssten, so wie es bei Privatbanken mit z.T. ausländischen Investoren der Fall sei. Nichts macht deutlicher, wie einseitig Privatbanken ihre Aufgabe und Mission interpretieren; es ist dort schlicht nicht vorstellbar, dass man andere als betriebswirtschaftliche Ziele verfolgen kann. Leider schließen sich immer mehr Vorstände von Sparkassen dieser, aus meiner Sicht ziemlich phantasielosen Perspektive an. Warum „phantasielos“?
Weil die betriebswirtschaftliche Sicht ziemlich einfach von externen Faktoren hergeleitet werden kann, für die man eigentlich keine Verantwortung trägt. Wenn man den katarischen Staatsfonds als wesentlichen Anteilseigner hat und dieser eine „angemessene“ Rendite erwartet, welche Optionen hat man dann? Welche Perspektive hat dann ein Vorstand einzunehmen und was prägt sein Entscheidungsverhalten?
Der Sparkassen-Vorstand (oder sollte ich schreiben: die Sparkassen-Vorstehenden?) hat demgegenüber die viel spannendere Frage zu beantworten, welches Maß an seine betriebswirtschaftliche Ambition sinnvoll anzulegen ist. Die Sparkassen-Gründer haben ja bewusst festgelegt, dass eine Sparkasse das Gemeinwohl aus einer wirtschaftlichen Stärke heraus sicherstellen soll, dass aber auch das Gemeinwohl sicherzustellen ist (unter „Gemeinwohl“ zählt nicht die Finanzierung der Geburtstagsfeier des Bürgermeisters).
Ich vermisse die Diskussion über die Mission der Sparkassen. Es gelingt den Genossenschaftsbanken deutlich besser, ihre Mission der „Hilfe zur Selbsthilfe“ im Markt zu platzieren, weil sie auch über das Thema „Mitglieder“ offen diskutieren.
Es gäbe viele Gelegenheiten in den Verbänden, mit den Vorständen der Sparkassen darüber zu sprechen, was die beste Balance zwischen Gemeinwohl und Betriebswirtschaft ist, und es nicht einfach jeder Sparkasse zu überlassen, wie sie mit diesem Thema umgeht.
Es wäre eine gute Gelegenheit, jetzt mit marktunüblichen Zinszugeständnissen die treuen Kunden an den Windfall Profits teilhaben zu lassen und die Privatbanken mit ihrem Rendite-Streben vor sich herzutreiben.
Wahrscheinlich hat sich aber die betriebswirtschaftlich dominierte Sicht schon so weit in die Organisation eingegraben, dass das sprichwörtliche (betriebswirtschaftliche) Hemd eben näher ist als die (Gemeinwohl-orientierte) Hose.
Dabei wäre der Anstoß des Herrn Walter in Brandenburg eine gute Gelegenheit, den Kompass zwischen den beiden Polen mal wieder zu justieren und in vielen Vorstandsetagen das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass man als Sparkasse dafür dankbar sein müsste, einen Differenzierungsansatz gegenüber den Privatbanken zu haben, dessen man sich nicht schämen muss, sondern der sehr gut in das aktuelle Zeitgeschehen passt. Zu den „Guten“ zu gehören kann dauerhaft mehr wert ein als ein „unverschuldet“ geschöntes Jahresergebnis.
Chance oder Risiko?
Herzliche Grüße aus Brand
Hans-Dieter Krönung