#89 – SCROOGE – ein Weihnachts-Standpunkt

Standpunkt 89

„It`s business – make up your mind!”

(Zitat Ebenezer Scrooge aus Dickens Weihnachtsgeschichte)

„Oh, Du fröhliche Zinswende-Zeit“ möchte man als Banker in dieser Zeit singen. Überall glückliche Gesichter und Rekord-Ergebnisse; endlich wieder „normale“ Zeiten. So lässt sich die Weihnachtszeit genießen.

Und viele Manager haben es ja immer gewusst: Die Zeit der dürren Ergebnisse musste man eigentlich nur aushalten, denn es war ja klar, dass es irgendwann wieder so werden würde wie früher. Also alles gut an Weihnachten 2023?

Ja, wäre da nur nicht dieses flaue Gefühl in der Magengegend, das Gefühl, dass irgendetwas ganz grundsätzlich nicht in Ordnung ist. Obwohl „der Zins“ wieder zurück ist, ist die Freude irgendwie getrübt. Ja, es könnte schon bald wieder vorbei sein mit den schönen Zinserträgen, weil sie ja eigentlich „Windfall-Profits“ sind, wie jeder Student im Bachelor-Studium bereits lernt. Aber das ist es nicht, was uns Angst macht, denn wir haben sogar die Minus-Zinsen-Zeit überstanden.

Was uns Angst macht, ist, dass immer weniger Menschen in den Banken arbeiten wollen, und wenn sie es schon tun, dann ganz sicher nicht im klassischen Filialvertrieb.

Seit geraumer Zeit schon klagen praktisch alle Filialbanken über unbesetzte Stellen im Vertrieb, zu wenig und zu wenig gute Azubis und eine nachlassende Loyalität der Mitarbeitenden gegenüber ihren Arbeitgebern, was sich in steigenden Fluktuationszahlen niederschlägt. Erste Regionalbanken wurden bereits zwangsfusioniert, weil an entscheiden-den Stellen Personal fehlte.

Es erodiert also etwas, und nicht erst seit Corona. Es läuft etwas falsch, trotz aller Freude über die schönen Erträge.

Und es ist ja nicht so, als hätte es niemand bemerkt. An vielen Stellen und in vielen Gesprächen wird das Personalproblem bzw. das Problem mangelnder Arbeitgeber-Attraktivität thematisiert. Aber niemand hat eine tolle Idee, was zu tun ist bzw. wie die Tendenz wieder umgekehrt werden kann. Was den meisten von uns Angst macht, ist genau das: Niemand hat eine einfache oder eine plausible Lösung.

Aber warum ist das so? Es mangelt ja nicht an „Experten“, an schlauen Leuten und an Geld. Es hilft mitunter, sich bewusst zu machen, dass grundlegende Entwicklungen, seien sie positiver oder negativer Natur, nicht von jetzt auf gleich entstehen, sondern meist tief liegende Ursachen haben. In gesellschaftlichen Fragen spricht man gerne von „Narrativen“, also Glaubenssätzen, die von vielen Menschen als nicht hinterfragbar angesehen werden.

Und die Weihnachtszeit ist eine gute Zeit, um über die eigenen Glaubenssätze nachzudenken und nicht ohne Grund haben viele Menschen zum Jahreswechsel gute Vorsätze.

Ein solcher grundsätzlicher Glaubenssatz in Filialbanken ist begründet in der Sorge, vom technologischen Fortschritt eines Tages überflüssig gemacht zu werden, so wie es Bill Gates einst voraussagte. Infolgedessen wird technologische Innovation immer mit hoher Aufmerksamkeit verfolgt und viel Geld in technologischen Fortschritt gesteckt. Man will auf gar keinen Fall als altmodisch bzw. nicht technikaffin gelten. Ich habe mich an anderer Stelle schon darüber lustig gemacht, dass ich viele Banker beobachtet habe, die sich eine Apple-Watch gekauft haben, um sich ein fortschrittliches Image zu geben. Es wird die digitale Hymne gesungen und über KI schwadroniert, dass sich die Balken biegen, nur, um nicht als veraltet und abgehängt abgestempelt zu werden.

Das Problem jedoch, mit dem technologischen Fortschritt Schritt halten zu wollen, ist vergleichbar mit dem Wunsch, den Wind einzufangen. Mit anderen Worten: Da der technologische Fortschritt keine Pausen nimmt und sich auch auf immer mehr Einsatzfelder ausdehnt, wird es zunehmend schwierig, die gewünschte Sicherheit durch Technologie zu erreichen. Wer eben noch stolz auf seinen Beratungs-Avatar war, muss jetzt ChatGPT und MT-NLG beherrschen. Dabei ist manche Regionalbank schon mit der systematischen Kundenansprache überfordert.

Daher geht es vielen Bankmanagern wie Dickens` Ebenezer Scrooge, der als Geizkragen und Menschenfeind reich geworden ist. Empathie und Menschenliebe hat er nicht gebraucht, um reich zu werden, weshalb es ihm logisch erscheinen muss, dass diese Tugenden nutzlos sind. Und so arbeitet er Tag für Tag hart für die Vermehrung seines Vermögens, im festen Glauben daran, dass sein Reichtum die Folge seines Fleißes, seines Geizes und seiner Verachtung für menschliche Schwächen ist. Er kann sich kein anderes Leben vorstellen, weil er es nie bzw. nie wirklich kennengelernt hat.

Bill Gates ist ganz sicher ein sehr schlauer Mensch, aber selbst seine Gedanken sind die Frucht eines Narrativ, nämlich der Überzeugung, dass letztendlich jeder Erfolg nur das Resultat überlegener Prozesse und Anwendungen sein kann. Von daher musste er immer davon ausgehen, dass das Bankgeschäft eines Tages voll digitalisiert werden würde und damit auch keine Banken mit Menschen darin mehr gebraucht würden.

Und so leben und handeln viele der Digital-Banker in dem festen Glauben, nur mit überlegener Technologie den Fortbestand der eigenen Art sicherstellen zu können.

Es gibt, wie gesagt, keine bessere Zeit, als sich etwas zu wünschen. Ich wünsche mir für jeden Digital-Banker, dass ihm drei Berater(-Geister) erscheinen mögen:

Der Geist der Herkunft,

Der Geist der Sinnstiftung und

Der Geist der Perspektive.

Der Geist der Herkunft möge diesen Banker daran erinnern, wofür einst Banken, vor allem Regionalbanken, gegründet wurden. Banken wurden gegründet, um dem Wirtschaftskreislauf zu dienen, nicht, ihn auszunutzen, um im Reichtum zu schwelgen. Sparkassen und Volks- bzw. Raiffeisenbanken wurden geschaffen, um einzelne Regionen lebenswert zu erhalten, Entwicklungen zu fördern und dem Gemeinwohl verpflichtet zu sein.

Der Geist der Herkunft möge diesen Banker daran erinnern, dass es in jeder Region vor allem um die Menschen geht, denen der technologische Fortschritt dienen soll und die nicht durch die Technologie voneinander entfremdet werden sollen, weil sie nur noch über Avatare, Roboter oder Apps mit ihrer Bank kommunizieren können.

Der Geist der Sinnstiftung möge diesem Banker vor Augen führen, mit welchen Kunden er heute sein Geld verdient und welche Menschen in seiner Bank dafür Sorge tragen, dass das auch so bleibt. Der Geist der Sinnstiftung wird ihm zeigen, wie wichtig gegenseitiges Vertrauen zwischen Mitarbeitenden, Kunden und Management ist, um dauerhaft, mitunter über Generationen hinweg, gemeinsam erfolgreich zu sein. Dann wird dieser Banker wohl verstehen, dass er seine ambitionierten Ziele nicht durch die Maximierung der kurzfristigen Rendite, sondern durch beharrlich gestifteten Nutzen bei seinen Kunden erreichen kann.

Der Geist der Perspektive schließlich möge diesen Banker an die Hand nehmen und ihm zeigen, welche Attraktionen und Schönheiten sein Marktgebiet kennzeichnen und warum die Menschen, die hier leben, zum weit überwiegenden Teil gerne hier leben, ihr Haus gebaut und ihre Familie großgezogen haben und warum es wichtig ist, diese Heimat zu erhalten. Er wird ihn auch darauf hinweisen, dass längst noch nicht alle Menschen in der Region Kunden seiner Bank sind und es daher vor allem darum gehen muss, mit diesen Menschen in Kontakt zu treten. Und dass es dazu motivierter Menschen bedarf, die in der Bank mit Freude und Leidenschaft mitwirken wollen, und dass diese Menschen nicht hören wollen, in naher Zukunft durch eine App ersetzt zu werden.

Spätestens dann sollte dieser Banker verstanden haben, dass im Zentrum des Bankings der Dienst am Kunden stehen sollte und dass die Technologie diesen Kontakt unterstützen, aber nicht ersetzen sollte.

Auch Elon Musk lernt derzeit bei X (möglicherweise), dass man Mitarbeitende und Kunden pfleglich behandeln sollte, weil sie einem sonst (zu) schnell das Vertrauen entziehen.

Porsche dagegen wurde zum profitabelsten Autobauer der Welt durch sein überragendes Kundenmanagement, gepaart mit technologischer Perfektion, was beides wiederum seine Quelle in der Empathie für Menschen hat, weil technologische Perfektion von Menschen geschaffen wird, die mit Leidenschaft bei der Sache sind.

Ebenezer Scrooge wurde noch rechtzeitig bekehrt und zu einem glücklichen Menschen, weil er zum Menschenfreund wurde.

Der Sinn eines Lebens, so hat schon Viktor Frankl geschrieben, kann nur durch eine Gemeinschaft gegeben werden, denn, so meine Ergänzung, eine GuV vermag solchen Sinn nicht zu liefern.

Und so schließt sich ein Erkenntnis-Kreis. Wenn wir es zulassen, Banken zu anonymen Prozess-Maschinen mutieren zu lassen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn niemand mehr zu uns kommt, weder als Kunde noch als Mitarbeitender. Wir können die schönsten Bilanzen haben; diese werden uns nicht retten. 

In unserem tiefsten Inneren wissen wir doch alle, dass wir selbst durch eine Rekord-CIR nicht glücklich werden, sondern erst durch Dankbarkeit und Anerkennung für Geleistetes, von Kunden und Mitarbeitenden. Wenn es den Menschen und Unternehmen in unserer Region gut geht, weil wir für sie da sind, dann schaffen wir Nutzen und Wert.

In Abwandlung eines Zitats von John F. Kennedy könnte man auch sagen: Frage nicht, was Deine Region für Dich tun kann; frage, was Du für die Region tun kannst!

In diese Sinne wünschen wir Ihnen vom Institut für Mobilisierung ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch in ein hoffentlich friedlicheres und glücklicheres neues Jahr.      

Hans-Dieter Krönung