#9 – Anerkennung und Belohnung

Die Weihnachtszeit ist in den meisten Unternehmen nicht nur die Zeit der Beruhigung, sondern auch der Sonderzahlungen. Auch wenn Bonifikationen in der letzten Zeit einen merkwürdigen Beigeschmack bekommen haben, vor allem im Bankgeschäft, sind sie doch ein wesentliches Element des Ausdrucks der Dankbarkeit des Unternehmens für geleistete Verdienste zugunsten des Erfolges des Unternehmens. Sonderzahlungen sind insbesondere in den Führungsetagen darüber hinaus auch ein wesentlicher Bestandteil der materiellen Attraktivität des Gesamtpaketes, das ein Unternehmen einem Mitarbeiter anbieten kann.

Sonderzahlungen sind überwiegend Belohnung für Geleistetes, d.h. sie haben in der Regel eine rückwärts gewandte Logik. Die Geschäftsleitung honoriert den erbrachten Einsatz und den Beitrag des Mitarbeiters zum erzielten Gesamterfolg. Wenn sich also ein Gesamterfolg überhaupt eingestellt hat, erwarten Mitarbeiter dann meist auch eine materielle Beteiligung an diesem Erfolg.

Für die Ermittlung einer „gerechten“ Bemessungsgrundlage stellen sich dabei zwei Herausforderungen:

  1. Wie kann man in einem hinreichend großen Unternehmen den individuellen Beitrag eines Mitarbeiters annähernd fair ermitteln?
  2. Wie kann eine für alle Mitarbeiter faire Verteilung des zur Verfügung stehenden „Topfes“ gefunden werden?

Was aber ist „fair“ oder „gerecht“? Gibt es ein Verfahren, diese objektiv richtige Verteilung zu finden?

Ganz sicher nicht, und deshalb hat sich in der Praxis eingebürgert, dass man tendenziell versucht, den Vorjahreswert als Richtschnur zu nehmen und, Sondereinflüsse des vergangenen Jahres einbeziehend, zu extrapolieren, d.h. fortzuführen. So weiß jeder Mitarbeiter, was er unter normalen Umständen zu erwarten hat.

Dieses Verfahren hat seine Vorteile, wenn die Alternative die Verteilung nach „Gutsherren-Art“ ist, d.h. auch willkürliche Sprünge in der Verteilungs-Logik bestehen.

Was aber ist die Konsequenz für die Organisation, wenn die jährliche Sonderzahlung zu einer planbaren Routine verkommt?

Die variable Gehaltskomponente wird als fester Gehaltsbestandteil angesehen und eingeplant. Nach den Grundgesetzen der Entropie wird also der Zweck der Sonderzahlung, die Motivation auch für die Zukunft hoch zu halten, sukzessive als Anerkennung für Normal-Leistung missverstanden.

Damit sorgt sie aber nicht für mehr, sondern tendenziell für weniger Motivation, denn wenn sie als „normal“ empfunden wird, hat sie keinen zusätzlichen Motivations-Nutzen mehr. Kann dann der Gesamttopf oder die individuelle Zuteilung nicht kontinuierlich gesteigert werden, kommt es zu paradoxen Situationen, dass die Sonderzahlung für Demotivation sorgt.

Das Problem ist also das Erwartungsmanagement. Es ist ein bisschen so wie bei den Kapitalmärkten und den Aktienkursen. Ein Unternehmen kann ein Rekordergebnis vorweisen; wenn es aber die Erwartungen der Analysten (die oft genug noch nie selbst ein Unternehmen geführt haben) verfehlt, wird die Aktie durch Kursverlust abgestraft.

Ist also das Problem des Erwartungsmanagements bei Sonderzahlungen überhaupt lösbar oder ist es eher ein „Marktgesetz“ wie bei den Aktienkursen?

Ich meine, dass das Problem an einer anderen Stelle liegt. Wenn es nämlich in einem Unternehmen üblich ist, nur über Sonderzahlungen seine Wertschätzung für die Leistung der Mitarbeiter auszudrücken, wird das Wertekonzept an dieser Stelle sehr eindimensional.

Wäre es nämlich so einfach, dass Mitarbeiter sich nur dann wohl fühlen und Top-Leistung abliefern, wenn das Geld stimmt, dann wären alle Unternehmen super-erfolgreich und Motivation kein Problem.

Vor einiger Zeit erzählte mir ein Top-Manager eines mittelständischen Unternehmens mit 2.000 Mitarbeitern von seiner Enttäuschung, die er bei einer Betriebsversammlung erfahren hatte. Er hatte verkündet, dass die erreichbare Zulage für Sonderzahlungen bei Spitzenleistung verdoppelt worden sei und nur eine Handvoll Mitarbeiter hätte applaudiert.

Sein Versuch, die Durchschnittsleistung der Mitarbeiter durch Anheben von Prämien für Planüberschreitungen spürbar anzuheben, war von den Mitarbeitern nicht honoriert worden.

Das Menschenbild dieses Top-Managers ist nicht untypisch. Man macht es sich gerne einfach und versucht, einfache Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge nach dem mechanischen Führungsverständnis zu definieren. Und danach orientiert sich der Mitarbeiter an den erreichbaren Prämien.

Das Ausloben von Prämien ist an sich nicht falsch, aber ohne eine Kultur der Wertschätzung sind Prämien dauerhaft wirkungslos. Prämien ohne persönliche Wertschätzung können niemals hoch genug sein, wenn sie eine dauerhafte Wirkung erzielen sollen.

Es ist dieselbe falsche Logik wie bei Incentive-Systemen, die nur die Besten prämieren. Offensichtlich ist niemandem aufgefallen, dass auf dem Podest der Sieger immer die gleichen Mitarbeiter stehen und dass der große Rest der Mitarbeiter solche Veranstaltungen, wenn sie überhaupt daran teilhaben, eher über sich ergehen lässt.

Von Motivation durch Ansporn ist da wenig zu spüren, eher schon Motivation durch Neid, der aber kontraproduktiv ist, weil man dann die guten Kollegen eher ausgrenzt. 

Ich bin überzeugt davon, dass Effekte von Investitionen in die Gemeinschaft, auch in Teams, dauerhaft deutlich mehr bewirken als Investitionen in die „Stars“. Das ist kein Plädoyer für das Gießkannen-Prinzip, weil dann die oben beschriebenen Effekte der Entropie greifen.

Außergewöhnliche Leistungen sollen und müssen sogar honoriert werden, aber sie dürfen nicht zur Routine werden. In jedem Unternehmen werden täglich viele gute Dinge getan, die auch oft außergewöhnlich sind, nur werden sie von den eher eindimensionalen Messsystemen nicht erfasst.

Wertschätzung bedeutet, die vielen Dimensionen von Erfolg und auch das Schaffen von Voraussetzungen für Erfolg zu erkennen und zu honorieren. Viele sorgen in den „Maschinenräumen“ eines Unternehmens dafür, dass die „Stars“ überhaupt erfolgreich sein können. Wird deren Leistung anerkannt oder spricht man nur über sie, wenn etwas schief gelaufen ist? Wird vorbildliche Teamarbeit honoriert, auch wenn sie noch keine messbaren Erfolge im Sinne der Erfolgsrechnung hervorgebracht hat? Werden neue Ideen zur Verbesserung von Abläufen oder Produkten erkannt und transparent gemacht?

Stellen Sie sich die Weihnachtsfeier eines Unternehmens oder einer Abteilung vor, auf der der Chef nicht nur die besten Verkäufer, sondern auch viele überraschende Prämierungen vornimmt, vom freundlichen Portier bis zum engagierten Geschäftsabwickler mit Überstunden. Wo er diese überraschten Kollegen auf die Bühne bittet, um ihnen einen Umschlag zu überreichen.

Besondere Kreativität, soziales Engagement, vorbildliche Teamarbeit, gelungene Projekte, alles bietet Chancen, den Kollegen Wertschätzung entgegenzubringen. Man muss nur davon wissen.

Gibt es ein verlässliches System, dies alles zu erfassen? Nein, aber mit der Erkenntnis, dass es einen großen Unterschied macht, ob Menschen nur belohnt oder aber gewertschätzt werden. Das ist nicht das Gleiche.      

Wertschätzung ist eine Grundvoraussetzung von Mobilisierung. Sie äußert sich in einer permanenten Auseinandersetzung mit dem, was Mitarbeiter leisten, und einer entsprechenden Rückkopplung.

Dafür ist nicht nur der „Chef“ verantwortlich, sondern alle Führungskräfte, im Grunde sogar jeder Mitarbeiter, aber ohne die Führungskräfte ist alles nichts.

Wertschätzung ist also eine kontinuierliche Aufgabe, die zum Ende des Jahres, auch durch Sonderzahlungen, ihren kommunikativen Höhepunkt erfährt. Die Masse der Mitarbeiter, die die Leistungsfähigkeit einer Organisation bestimmen, braucht Wertschätzung, weil Prämien für die Masse für den einzelnen Mitarbeiter naturgemäß geringer ausfallen. Anerkennung durch Wertschätzung ist ein wertvolles Kulturgut eines Unternehmens und setzt ein entsprechendes Menschenbild sowie eine entsprechende Führungs-Philosophie voraus.

Wer erfolgreich sein will, muss eben „das sein, was er tut“, wie Herrhausen so treffend sagte.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest sowie einen guten Start in das neue, sicher wieder spannende neue Jahr 2011.

Ihr

Hans-Dieter Krönung