„Klopp – oder warum sein Abschied aus Liverpool einen Standpunkt wert ist“
„Good riddance, Jürgen“
(Ex-Oasis-Sänger und Manchester City-Edelfan Liam Gallagher über den Abschied von Jürgen Klopp aus Liverpool)
Jürgen Klopp hat selbst einmal gesagt, es sei nicht entscheidend, was über einen gesagt würde, wenn man komme, sondern vielmehr, was gesagt würde, wenn man ginge. Und wenn es stimmt, dass man sich Neid und Missgunst hart erarbeiten muss, dann war Jürgen Klopp über alle Maße erfolgreich in Liverpool, denn wenn Liam Gallagher in gewohnt schnoddriger Art von einer „Befreiung“ spricht, dann meint er die jetzt wieder gestiegenen Chancen seiner Mannschaft, den lästigen Widersacher aus Liverpool wieder weit hinter sich zu lassen. Und auch der Trainer von „City“, Pep Guardiola, sprach in einer ersten spontanen Reaktion davon, jetzt wieder ruhiger schlafen zu können („My biggest rival“).
Was hat diesen Mann, der nie ein begnadeter Fußballer war, zu mindestens einem der anerkannt drei besten Trainer der Welt gemacht? Viele der überdurchschnittlich besten Trainer ihrer Zeit waren zu ihrer aktiven Zeit Spitzenfußballer: Guardiola, Alonso, Zidane, Beckenbauer, Cruyff etc.
Es wurde ihm also nicht in die „fußballerische Wiege“ gelegt, einmal zum Erfolgsgaranten zu werden, den sich jetzt auch eine ganze Nation als Nationaltrainer wünscht, um wieder an alte Erfolge anknüpfen zu können. Er hat das Zeug zur neuen „Lichtgestalt des deutschen Fußballs“, ohne jemals, wie er selbst oft gesagt hat, herausgehobenes Talent für das Fußball-Spielen gehabt zu haben.
Auf seiner ersten Pressekonferenz in Liverpool vor neun Jahren hat er sich selbst als „Normal One“ bezeichnet und damit für Heiterkeit gesorgt. Aber genau dies ist sicher ein wesentlicher Baustein seines Erfolgs. Ich hatte noch zu seiner Mainzer Zeit einmal das Vergnügen, ihn im Rahmen einer unserer damaligen Kundenveranstaltungen kennenlernen zu dürfen, und mein Eindruck heute ist, dass er sich seitdem vom Wesen her kaum verändert hat. Und wer sein Video mit dem zwölfjährigen, leidenschaftlichen Liverpool-Fan Daire Gorman, der an einer seltenen Erkrankung, dem Crommelin-Syndrom leidet, gesehen hat, der nimmt ihm ab, dass ihm diese Begegnung wirklich wichtig war.
Er ist normal im besten Sinn und er gibt uns damit das Gefühl, dass es für jeden von uns prinzipiell auch möglich ist, überdurchschnittlich erfolgreich zu sein, denn wir sind doch auch „normal“, genau wie die Ratte Rémy in dem Disney-Film „Ratatouille“, die nach dem Motto lebt: Jeder kann kochen!
Aber das ist noch nicht alles, was Jürgen Klopp ausmacht. Neben dem „Normal One“ zeichnet ihn die Fähigkeit aus, seine positive Lebenseinstellung des „Gib niemals auf!“ auf seine Spieler zu übertragen. Dazu hat sein langjähriger Kapitän Jordan Henderson eine Geschichte erzählt, die bezeichnend ist. Nach dem verlorenen Champions-League-Finale 2018 waren Spieler und Betreuer verständlicherweise am Boden zerstört, als sie nach dem Spiel im Hotel ankamen, und waren sehr verwundert, ihren Trainer in bester Laune zu erleben, der ihnen erklärte, dass es keinen Grund für Trübsal gäbe, denn man würde einfach im nächsten Jahr wiederkommen und dann den Titel gewinnen. „Wir sind doch erst am Anfang unserer Reise“, sagte er seinen Spielern und feierte daraufhin mit ihnen eine ganze Nacht lang. 2019 gewannen die „Reds“ den Titel.
Jürgen Klopp hatte damit nicht nur sein Team überrascht, das erwartet hatte, Kritik zu hören, sondern vermittelte seinen Spielern auch den Blick auf das größere Ganze. Erfolg zu haben ist eben kein Schnappschuss, sondern ein Marathon, ein „infinite game“.
Der dritte Baustein des Klopp`schen Erfolgsmodells ist das Schaffen einer wahren Mannschaft. Gegnerische Mannschaften wissen immer, was auf sie zukommt, wenn sie gegen Klopps Teams antreten müssen: Leidenschaft, mannschaftliche Geschlossenheit und permanente Attacke („Gegenpressing“ ist selbst in England jetzt ein Begriff).
Er versteht es meisterhaft, das Individuum dem Teamerfolg unterzuordnen, weil auch er sich nie wichtiger nimmt als das Team, und weil er die Emotion als zentralen Hebel seiner Ansprache nutzt.
Dabei geht es auch, aber nicht vor allem um die emotionale Ansprache als vielmehr um den Aufbau einer väterlich-familiären Bindung zu seinen Spielern. Ganz am Anfang seiner Zeit in Liverpool bestand er darauf, dass alle Spieler die Gesichter und Namen aller Mitarbeitenden des Vereins kennen sollten; er führt jeden neuen Spieler durch den gesamten Club, weil jeder Mitarbeiter, ob Zeugwart, Köchin oder Greenkeeper, für ihn genauso wichtig ist wie der beste Spieler seines Teams. Er lässt niemanden fallen, die Umarmungen nach jedem Spiel sind nicht bloß Ritual, was dazu führt, dass seine Spieler für ihn sprichwörtlich „durchs Feuer gehen“.
Damit schließt sich aus meiner Sicht auch der Kreis der Erkenntnisse zu der Person Jürgen Klopp, über die wir nachdenken können. Natürlich ist auch bei ihm sicher nicht alles Gold, was glänzt, aber er blickt doch auf eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte zurück, die ja möglicherweise auch noch nicht zu Ende ist.
Was können wir als Führungskräfte lernen?
- Bleibe authentisch und versuche nicht, etwas darzustellen, was Du nicht bist. Wenn Du unsicher bist oder wenn Du Sorgen hast, versuche nicht, den Starken zu spielen, sondern vertraue Dich Deinen Mitstreitern an. Jürgen Klopp hat niemals einen Hehl daraus gemacht, mehr Finalspiele verloren als gewonnen zu haben; seinem Image hat das nicht geschadet, weil viele Menschen wissen, dass wir aus unseren Niederlagen mehr lernen als aus unseren Siegen.
- Baue Deine Ziele konsequent auf Teams auf. Wir sind soziale Wesen und brauchen die Interaktion mit anderen Menschen. Die großen Erfolge sind immer Teamleistungen und funktionierende „Mannschaften“ sind die größte Energiequelle für dauerhaften Erfolg.
- Kümmere Dich um Deine Mitstreiter, hilf Ihnen, sich zu entwickeln, aber sorge dafür, dass sich niemand wichtiger nimmt als das Team.
Ich bin ein bekennender Klopp-Fan, weil ich in ihm immer auch den Menschen und nicht nur den hochbezahlten Manager gesehen habe. Ich könnte mir vorstellen, gerne „unter ihm“ zu spielen, wenn ich ein toller Fußballer wäre, weil ich glaube, dass er seinen Spielern die Sicherheit vermittelt, an sie zu glauben, selbst, wenn sie nicht immer in der Startaufstellung stehen, also keine Top-Leister sind.
Und wenn der Erzfeind in Gestalt von Noel Gallagher, dem zweiten Oasis-Bruder, sagt, es sei gut für „City“, dass Jürgen Klopp bald gehen würde, aber schlecht für die ganze Liga, dann kann man sich ja fast kein größeres Kompliment mehr wünschen, denn es kommt ja vor allem darauf an, was gesagt wird, wenn man geht. „Hochleistung“ und „Familie“ sind beileibe keine Gegensätze!
Ich wünsche Ihnen viel Spaß und Zielstrebigkeit beim Aufbau erfolgreicher „Mannschaften“.
Hans-Dieter Krönung