#91 Die Bla-bla-Bank – oder: Wie man Marketing missverstehen kann

Standpunkt 91

“Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern …“

Marketing ist aus unserer modernen Wirtschaftswelt nicht mehr wegzudenken; „Marketing matters“!

Ich weiß natürlich nicht, wie es Ihnen geht, aber für mich hat Marketing immer zwei Seiten. Die eine Seite ist die notwendige, d.h. es leuchtet mir grundlegend ein, dass man für sich bzw. das Unternehmen, für das man arbeitet, Aufmerksamkeit gewinnen muss.

Die andere Seite ist, dass es heute offensichtlich unvermeidlich ist, in den sozialen Medien permanent präsent zu sein, egal ob man Ideen hat, mit denen man sich für den Nobelpreis bewerben kann oder ob man überzeugt davon ist, dass der eigene Stoffwechsel ein Ereignis von globaler Bedeutung ist.

Es ist ein aussichtsloser Kampf, den Datenschützer führen, wenn Jeder ohne Scham sein/ihr ganzes Leben vor Jeder ausbreitet, und zwar online.

„Marketing“ ist natürlich mehr als „Werbung“, werden Fachleute jetzt einwerfen, doch ist es sicher nicht falsch, beide Begriffe eng miteinander zu verzahnen, denn schließlich wissen wir spätestens seit den grundlegenden Arbeiten von Michael Porter, dass im modernen Wettbewerb die Differenzierung der (!) entscheidende Erfolgsfaktor für Unternehmen ist.

Und daher ist es wohl folgerichtig, dass, wenn Jeder sich selbst der nächste ist, auch Jeder für sich Werbung macht.

Mein Thema ist aber nicht die Kritik der gesellschaftlichen Entwicklungen, weil man sich ja sonst der nicht unberechtigten Kritik aussetzt, gemeinsam mit anderen „Wölfen“ den Mond anzuheulen, sprich: Sich über Dinge aufzuregen, die man nicht ändern kann.

Ich möchte vielmehr den Blick auf sonderbare Entwicklungen lenken, die auch dem nachvollziehbaren Wunsch entsprechen, aus der Masse herauszustechen.

Finanzdienstleistungs-Unternehmen wie Banken und Sparkassen sind eher sparsam mit Marketing (Werbung), was vor allem daran liegt, dass man sich als „Banker“ noch immer gerne im Hintergrund hält, was wiederum daran liegt, dass man ein Produkt hat, das von vielen Menschen zwar als notwendig, nicht aber als „sexy“ angesehen wird. Einen Kredit zu vergeben oder eine Versicherung abzuschließen ist eben nicht so attraktiv wie das Aushändigen des Schlüssels für den neuen 911er an den begeisterten Kunden.

Dennoch sind insbesondere die Verbundorganisationen seit vielen Jahren erfolgreich darum bemüht, Markenentwicklung zu betreiben. Immerhin gilt die Sparkassen-Marke als eine der wertvollsten Marken in Deutschland, weil es den Sparkassen insgesamt wohl um mehr als Geld geht. Und auch die Sparkassen in Österreich sind seit einiger Zeit unterwegs, den Menschen im Land mitzuteilen, sie sollten an sich glauben.

Selbst die im Retailgeschäft sehr erfolgreichen Genossenschaftsbanken in Deutschland weisen seit langem darauf hin, dass sie den Weg frei machen, und niemand glaubt ernsthaft daran, es handele sich dabei möglicherweise um ein Schneeräumungsangebot.

Die Crux mit funktionierenden Dachmarken ist zum einen, dass sie bequem machen. Ich kenne viele Sparkassen-Funktionäre, die ernsthaft glauben, es reiche im Wettbewerb vor Ort aus, darauf zu verweisen, dass man „die Sparkasse“ sei, so als sei das als Erklärung für die wettbewerbliche Differenzierung ausreichend. 

Denn zum anderen müssen Dachmarken unspezifisch sein, dann sie sollen ja den einzelnen Verbundbanken Raum für deren eigene Positionierung im jeweiligen Regionalmarkt lassen, was bei einer engen, präzisen Differenzierung nicht möglich wäre.

Nun gibt es vereinzelt bereits clevere, vor allem aber selbstbewusste Banker, die diesen Raum mit geradezu abenteuerlichen Slogans auszufüllen versuchen. Da gibt es z.B. die „Initiativbank“ und die „Gestalterbank“, was wohl bedeuten soll, dass man als Bank initiativ, also aktiv sein will bzw. dass man Dinge gestalten will. Bei der „Gestalterbank“ handelt es sich um eine ganz normale Volksbank im deutschen Südwesten, die sich aber offiziell als „Gestalterbank“ bezeichnen lässt.

Wir beobachten also unterhalb der Dachmarken-Welten sowohl die Ausprägung „Das muss reichen“, also die Überzeugung, „Sparkasse“ oder „Volksbank“ zu sein, müsse dem Kunden vor Ort ausreichend Argumente geben, sich nicht mit dem Wettbewerb einzulassen, als auch die Überzeugung, mit einem markigen, ggf. provokativen Auftreten die eigene Besonderheit herauszustellen. Was ist von beiden Überzeugungen zu halten?

Um dies zu beurteilen, ist es ratsam, die Zwecksetzung zu analysieren. Wer oder was soll mit der Werbebotschaft erreicht werden?

Auf den ersten Blick klingt „Initiativbank“ oder „Gestalterbank“ wie eine Botschaft an potenziellen Kunden. Dies wäre also eine Möglichkeit, dass die Intention der Marketingstrategen darin gelegen haben könnte, den bestehenden und potenziell neuen Kunden eine Botschaft senden zu wollen, nämlich, dass es sich bei diesem Geldinstitut um eines handelt, das sich von seinen Wettbewerbern dadurch unterscheidet, „initiativ“ oder „gestalterisch“ zu agieren.

Es ist allerdings kaum davon auszugehen, dass sich Kunden derart simpel davon überzeugen lassen, ihr Geschäft mit der betreffenden Bank zu machen, es sei denn, es gebe objektive Beweise, mit denen sich eine außerordentlich „Initiativ“- oder „Gestalter“-Neigung belegen ließe.  Ich überlasse es Ihrer Einschätzung, wie wahrscheinlich dieser Fall ist.

Eine zweite Möglichkeit besteht darin, den eigenen Mitarbeitenden eine Botschaft zukommen lassen zu wollen, wie man sich im Wettbewerb verhalten müsste, um dem formulierten Anspruch gerecht zu werden. Das Problem dabei ist, dass „initiativ sein“ bzw. „gestaltend sein“ schwierig operationalisierbar sein dürfte. Mit anderen Worten: Viele Mitarbeiter werden sich bereits als „initiativ“ oder „gestaltend“ wahrnehmen, auch wenn sie dies aus Sicht der Geschäftsführung gar nicht sind. Generische Begriffe dieser Art taugen nicht zur Mobilisierung der Mitarbeitenden, weil sie nicht konkret in Handlungsimpulse umsetzbar sind.

Somit bleiben nur noch zwei weitere mögliche Motive. Man kann nur darüber spekulieren, ob ggf. einem ambitionierten Vorstand, der ggf. in einer Großbank sozialisiert wurde, die eigene Volksbank als zu klein und unbedeutend erscheint, und man sich daher ein auffallendes Kleid angelegt hat, damit die Bank wieder zur Persönlichkeit passt. Wer weiß?

Vielleicht aber auch hat man die Entwicklung des Slogans einer Marketing-Agentur übertragen und sich nicht weiter damit beschäftigt, was da so ausgekocht wurde. Und als die finalen Vorschläge dann auf dem Tisch lagen, hat man vielleicht bei sich gedacht, dass das alles gut klingt und auch niemandem wehtut. Und so ist es dann eben gekommen … Wer weiß?

Wirklich gut ist das alles nicht, denn es dürfte sich bei allen, die sich ernsthaft mit diesen Slogans beschäftigen, schnell das Gefühl einstellen, es handele sich dabei nur um „heiße Luft“. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Mehrheit von Kunden und Mitarbeitenden bei einer objektiven Befragung attestieren würden, dass die betreffende Bank auffallend „initiativ“ oder „gestaltend“ sei.  

Wenn man aber Dinge behauptet, die man nicht objektivieren kann, erreicht man idR. das Gegenteil von dem, was man zu erreichen hoffte.

Allerdings muss man die Kritik an denjenigen Managern, die solche Slogans schaffen oder nutzen, insofern relativieren, dass sie es wenigstens probiert haben. Schlimmer ist es, sich aus gedanklicher Bequemlichkeit auf die Wirkung der Dachmarke zu verlassen. Leider ist das die Normalität. Ganz wenige Regionalbanken betonen in ihrer Außendarstellung, wofür sie eigentlich da sind, nämlich der Entwicklung „ihrer“ Region zu dienen.

Es wird zwar gerne und oft von „unserer Region“ gesprochen, aber inwieweit über Spenden und Sponsoring hinaus die Entwicklung des eigenen Kerngeschäfts im Dienst der Entwicklung der Region steht, wird entweder nicht deutlich oder liegt sogar fern. 

Man darf in diesem Zusammenhang ruhig einmal an den Gründungszweck von Sparkassen und Genossenschaftsbanken denken. Es war mitnichten so, dass die Gründer dieser Banken seinerzeit nur im Sinn hatten, möglichst viel Geld zu verdienen und ambitionierten Managern eine Bühne zur Selbstentfaltung zu bieten.

Es war vielmehr so, dass schlaue Menschen erkannt hatten, dass es wichtig für die Attraktivität einer Region ist, dass sie wirtschaftlich prosperiert, um Menschen eine lebenswerte Umgebung zu bieten. Insbesondere in Regionen, die nicht automatisch Zuzugsgebiete waren, versprach man sich durch eine regional fokussierte Bank mehr Nähe zu den Unternehmen, ein besseres Verständnis für deren Anforderungen sowie eine ausgeprägte emotionale Bindung an die Menschen und die Landschaft; letztlich also einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen föderaler Strukturen.

Dabei gab es diese Initiativen aus der öffentlichen Hand, den Städten und Landkreisen, woraus die Sparkassen entstanden, sowie aus privatem Engagement, vor allem aus der Landwirtschaft, woraus die Genossenschaftsbanken entstanden.

Der damit erzwungenen Größenbegrenzung gegenüber den großen Privatbanken begegnete man mit Verbundstrukturen und Dachmarken, was bislang recht ordentlich funktioniert.

Dachmarken können aber keine konkrete Hilfestellung für den regionalen Wettbewerb liefern. Der Unternehmer bzw. der Privatkunde will wissen, warum er/sie gerade mit der örtlichen Sparkasse zusammenarbeiten soll und nicht mit einem der anderen Wettbewerber vor Ort.

Viel zu viele Regionalbanker haben immer noch nicht verstanden oder haben es wieder vergessen, dass es in der modernen Medienlandschaft unverzichtbar ist, sich ein eigenes, ein individuelles Profil zu geben und dieses auch zu pflegen. Und die Wurzel aller regionalen Positionierung ist die Individualität und Einzigartigkeit jeder Region.

Machen Sie doch einmal einen Test. Wann immer Sie in den kommenden Monaten in einer Region in Deutschland oder Österreich unterwegs sind, achten Sie bitte darauf, ob Sie erkennen können, dass die örtliche Bank auch tatsächlich die örtliche (!) Bank ist. Woran Sie das erkennen?

Schauen Sie auf Werbeplakate und deren Botschaft oder auf die Außengestaltung der Bankfilialen. Springen Ihnen regionale Motive und Botschaften ins Auge oder finden Sie nur das, was Sie überall sehen. Wenn es der Bank wirklich wichtig ist, Ihren Bezug zur jeweiligen Region zu betonen, dann müssten Sie es auf den ersten Blick erkennen.

Ich prophezeie Ihnen, dass das kaum der Fall sein wird. Es wäre einen eigenen Standpunkt wert, zu untersuchen, warum dem so ist. Ist es mangelndes Verständnis für die Bedeutung von Marketing oder sind schlicht andere Parameter wie CIR oder Betriebsergebnis so wichtig geworden, dass man seinen eigenen Daseinszweck vergessen hat? 

Gerade in Zeiten wachsender digitaler und damit austauschbarer Prozesse gewinnt die Betonung der eigenen Differenzierung weiter an Bedeutung. Auch wenn man es in den Denkzentralen der Verbundorganisationen nicht verstehen wird: Die Zukunft der Regionalbanken liegt nicht im digitalen Wettbewerb, sondern im Kümmern um die Menschen in den Regionen. Und das ist niemals Bla-bla.

Hans-Dieter Krönung