#92 – Die Geschichte vom Pferd – oder: Wie zäumt man richtig auf?

Standpunkt 92

„I told my players during the break: Since we`re here anyway, we might actually play a bit of football”

(Jürgen Klopp)

Keine Frage: Der deutsche Fußball steckt in einer veritablen Krise, und das sowohl bei den Damen wie bei den Herren. Kann es diesbezüglich Zweifel geben angesichts desaströser Misserfolge bei den letzten großen Turnieren? Und wie immer haben das viele „Sachverständige“ schon lange kommen sehen, weil die „falschen Leute“ das Sagen hatten.

Gerne wird dann über die fehlende (Sieger-)Mentalität schwadroniert, die der heutigen (Sport-)Jugend abginge bzw. dass eben früher alles besser war, getreu dem Motto: „Damals, wir lagen vor Bouillon und hatten nicht einmal einen Löffel!“.

Jetzt ist guter Rat teuer. Albert Einstein hat dazu treffend bemerkt, man könne die Probleme von heute nicht mit den Mitteln bekämpfen wollen, die zu den Problemen geführt hätten.

Das bedeutet in der Konsequenz (und zwingenden Logik), dass man etwas Neues kreieren muss, d.h. man muss die Dinge anders machen.

Und so haben sich findige Leute aufgemacht, den Jugend-Fußball in Deutschland zu verändern, indem man die Trainingsformen neu definiert. Das Motto lautet: Mehr Spiel, mehr Spaß, mehr Erfolgserlebnisse für jeden Teilnehmenden. So soll künftig u.a. auf vier kleine anstatt auf zwei große Tore gespielt werden, um mehr Tore durch mehr Spieler erzielen zu können.

Die Idee dahinter ist klar: Wir brauchen wieder mehr SpielerInnen, die gut mit dem Ball umgehen können, auch mal einen Gegenspieler im 1:1 ausspielen wollen und wir wollen nicht nur den wenigen Top-Talenten eine Bühne geben, sondern auch denjenigen, „die noch nicht so weit sind bzw. einfach länger brauchen“. Das klingt ja alles sehr nachvollziehbar, denn nicht jeder Superstar zeigt dies bereits im zarten Kindesalter, weil es ja bei einer Karriere bekanntlich nicht nur auf Talent, sondern auch auf „Grip“, also Durchhaltevermögen, ankommt.

So weit, so gut. Aber kaum hatte man den neuen Weg bekannt gegeben, meldeten sich sofort auch die Kritiker, deren Wortführer aus den Chefetagen marktführender Vereine stammen. Insbesondere die Tatsache, dass man auf Leistungstabellen künftig weniger Gewicht legen will, stößt einigen Funktionären auf. Die Kritik gipfelte in der Aussage, man werde wohl zukünftig auch noch ohne Ball spielen, und in der Sorge, den jungen Spielern und Spielerinnen würde der Wettbewerbsgedanke abhandenkommen, denn immerhin müsse man die jungen Menschen ja angemessen auf den „Ergebnissport“ Fußball vorbereiten.

Es lohnt sich, über diesen Disput etwas intensiver nachzudenken, denn auf den ersten Blick ist die Dummheit hinter der Kritik nicht unbedingt erkennbar. Es klingt ja zunächst logisch, dass man befürchten müsse, dass die Leistungs- und Ergebnisorientierung leiden könne, wenn der Spaß und die Gemeinschaft im Vordergrund der Trainingskonzepte stehen. Schließlich ist dem deutschen Fußball nicht damit gedient, dass alle Spaß haben, aber keiner entschlossen genug ist, im Wettbewerb zu bestehen.

Ich möchte die Wurzel dieses Disputs herausarbeiten. Die „Innovatoren“ beim DFB (klingt fast wie ein Widerspruch in sich), wie ich sie nennen möchte, haben unwidersprochen festgestellt, dass in Deutschland technisch beschlagene Spieler auf mehreren Spielpositionen fehlen (Mittelstürmer, Außenverteidiger etc.), die mehr können als nur den Ball hunderte Male über zwei bis fünf Meter fehlerfrei an einen Mitspieler weiterzugeben (man erinnere sich an Didi Hamann), aber es nicht schaffen, kreative Spiellösungen zu finden, weil sie das nie gelernt haben.

Also gehen die „Innovatoren“ konsequent den Weg zur Wurzel des Problems, gewissermaßen an den Anfang der Fehlerkette, und das ist die Ausbildung junger FußballerInnen. Sie zäumen also das sprichwörtliche Pferd von vorne auf.

Die „Skeptiker“, wie ich sie nennen möchte, stehen demgegenüber auf der anderen Seite des Pferdes. Sie beschäftigen sich nicht mit der Suche nach der Wurzel, sondern mit den Symptomen, was erfahrungsgemäß zunächst einmal die Schuldfrage beinhaltet. Wer ist für die Misere verantwortlich? Der Bundestrainer, der Verband oder die Vereine? Damit kann man sich lange beschäftigen, denn wenn man es schafft, den oder die Schuldigen auszumachen, hat man nach Ansicht der „Skeptiker“ schon einen guten Teil der Wegstrecke zur Lösung zurückgelegt, denn man muss dann einfach nur …. ja, was eigentlich?

Da kommen dann Ideen unter der Rubrik „Man müsste mal …!“.

Kommt uns das irgendwie bekannt vor? Führen wir nicht in unseren Organisationen, vor allem in der Vertriebssteuerung, beinahe tagtäglich auch diese Diskussionen?

Ersetze „Skeptiker“ durch „Controller“ und man hat die gleiche Thematik in anderem Gewand. Frage: Was ist zu tun, wenn die Erträge nicht plangemäß eingefahren werden? Antwort: Druck auf den Vertrieb erhöhen! Mehr Ziele, mehr Kampagnen, mehr Analysen, mehr Reporting, mehr Krisensitzungen, mehr Anschuldigungen über Unwilligkeit oder Unfähigkeit, die Ziele zu erreichen. Der zufriedene Controller lehnt sich zurück, weil er den Lehrer darauf aufmerksam gemacht hat, dass im Keller noch Licht brennt. Das Problem müssen Andere lösen.

Es ist zum Verzweifeln, wenn man immer und immer wieder mit diesen Menschen zu tun hat, die das Pferd von hinten aufzäumen und diejenigen, die dann nach Lösungen suchen müssen, im Regen stehen lassen.

Es ist eben keine Kunst und auch kein Verdienst, auf klar erkennbare Missstände hinzuweisen, insbesondere, wenn es sich um reine Datenabweichungen Plan-Ist handelt.

Es wäre demgegenüber eine Kunst, sich auf die Wurzeln des Problems zu konzentrieren, nämlich die fehlende Motivation und Sinnstiftung in weiten Teilen unserer Organisationen. Wer „keinen Bock“ auf strukturierte und intensivierte Marktbearbeitung hat, der wird auf Druck mit der Suche nach Entschuldigungen suchen, und, glauben Sie mir, an dieser Stelle herrscht nirgends ein Mangel an Kreativität.

Ich möchte die Relevanz dieser Thematik an einem praktischen Beispiel verdeutlichen. In dem von uns entwickelten „Liga-System“ gibt es Belohnungspunkte für vereinbarte Kundentermine. Daran wird immer wieder Kritik, vor allem aus den Controlling-Abteilungen, laut, die bemängeln, dass die Bank mit einem vereinbarten Termin ja noch keinen Cent verdient habe und ob es nicht wichtiger wäre, jedem Vertriebsmitarbeiter durch entsprechende Informationen zu verdeutlichen, welchen Ertrag er/sie mit welchem Abschluss für die Bank erzielt habe, denn schließlich ginge es ja am Ende um den erzielten Ertrag.

Die entscheidende Frage lautet jetzt, auf welchem Weg man einer Lösung näherkommt. Obwohl also, um Helmut Kohl zu zitieren, entscheidend ist, was am Ende rauskommt, nämlich der Ertrag, ist die Frage, wie man das anfängt. Was muss zunächst gelingen, damit am Ende mehr herauskommt? Ist es, um beim Pferd zu bleiben, vielversprechender, Druck auf den Hintern des Pferdes auszuüben oder muss man dafür sorgen, dass vorne mehr hineinkommt, damit später hinten auch mehr herauskommt?

Es steht zu vermuten, dass aus einem verhungernden Pferd auch durch größten Druck irgendwann nichts mehr herauszupressen ist.

Genauso verhält es sich mit der Vertriebssteuerung. Wer keine ausreichende Aufmerksamkeit auf den Beginn der Kausalkette, nämlich den Termin mit dem Kunden, legt, wird am Ende auch nicht mit entsprechenden Erträgen belohnt werden können. Wir sehen das schon heute bei Kundenbetreuern, die durch steigende Ertragsanforderungen gequält werden, in Form der berüchtigten „Einzel-Zielkarten“. Welche Kunden wird der Beratende kontaktieren, wenn er/sie schnelle Erträge generieren will? Wird er eher versuchen, bei dem bereits bekannten und „entwickelten“ Kunden zu landen und ein weiteres Produkt zu verkaufen oder wird er sich den bislang noch nicht ausgeschöpften Kunden zuwenden (Potenzialkunden)? Und die ergänzende Frage: Wo liegen die Wachstumspotenziale der Banken, bei den bereits entwickelten oder bei den Potenzialkunden?

Wer also das Pferd von hinten aufzäumen will, hat naturgemäß eine beschränke Perspektive auf den Kausalzusammenhang. Das ist an sich nicht zu verurteilen, sollte aber dazu führen, dass man nicht glaubt, man überblicke die Gesamtsituation.

Leider ist es aber häufig so, dass in den Stäben Menschen sitzen, die überzeugt davon sind, zu wissen, wie es gehen muss, obwohl sie nur von hinten in ein schwarzes Loch schauen, auch wenn sie den Schwanz des Pferdes noch so oft anheben. Aber da es sich bei diesen Menschen meist um gut ausgebildete, rhetorisch geschulte und den Vorständen nahestehende Menschen handelt, haben sie sich in vielen Organisationen eine unangemessene Machtposition erworben, aus der heraus sie den Vertrieb mit gut gemeinten Analysen vor sich hertreiben.

Man wird erst in den kommenden Jahren wissen, ob die neuen Spiel- und Trainingsformen dem deutschen Fußball wieder auf die Sprünge geholfen haben werden. Im Vertrieb sind wir da schon weiter. Wir wissen, dass es einen elementaren Zusammenhang zwischen Mitarbeiterzufriedenheit, Kundenzufriedenheit und Markterfolgen gibt. Wir wissen auch, dass Menschen soziale Wesen sind und daher besser arbeiten, wenn sie sich in einer Gemeinschaft bewegen und wertgeschätzt fühlen können. Und wir wissen auch, dass der unvermeidliche Druck im Vertrieb durch spielerische Arbeitsformen in seiner negativen Wirkung auf die Motivation der Menschen abgemildert wird.

Somit ist also entscheidend, was vorne passiert, damit hinten mehr herauskommen kann. Die Crux dabei ist, dass das mühsamer und langwieriger ist als Druck auf die Vertriebsmannschaft aufzubauen, was vermutlich die Hauptursache dafür ist, dass man so häufig gegen diese Logik verstößt.

Da kommt mir noch eine praktische Idee: Schicken Sie doch Ihre Vertriebscontroller mal auf einen Pferdehof und lassen sie dort versuchen, die Pferde von hinten aufzuzäumen. Manchmal braucht es nämlich einen kräftigen Hieb, um Erkenntnisprozesse in Gang zu setzen.    

Es lebe die Wertschätzung für die Terminvereinbarung.  

Herzliche Grüße aus Brand

Hans-Dieter Krönung