„Wenn ich einen Gottlosen bekehren wollte, würde ich ihn in eine Wüste schicken!“
(Theodore Joeffroy, Philosoph, 1796-1842)
Es war eine kurze Nachricht, die kürzlich veröffentlicht wurde. Die bayerischen Sparkassen werden in den kommenden 10 Jahren etwa ein Drittel ihrer Mitarbeitenden altersbedingt verlieren, rund 10.000 Mitarbeitende.
Man darf annehmen, dass die Gesamtsituation in anderen Verbundregionen und bei den Volks- und Raiffeisenbanken nicht gänzlich anders sein dürfte. Man stelle sich das Szenario vor. Schon heute beginnt der Personalmangel vor allem in den Filialorganisationen dramatische Ausmaße anzunehmen, d.h. Filialöffnungszeiten werden nicht nur deshalb reduziert, weil die Kunden mehr Online-Dienstleistungsangebote nutzen, sondern auch, um dem Personalmangel zu begegnen. Erste kleinere Sparkassen wurden bereits wegen Personalmangel „zwangs-fusioniert“, ohne dass man das öffentlich so benennen würde.
Es ist nicht zu bestreiten, dass für den Personalmangel auch gesellschaftliche Entwicklungen mitverantwortlich sind. Junge Menschen finden das Bankgeschäft generell nicht mehr so attraktiv wie vor 20 Jahren. Die Personalverantwortlichen in Banken und Sparkassen spüren das permanent hinsichtlich des Angebots und der Qualität der gesuchten Azubis. Der allgemeine Arbeitskräftemangel ist ein Phänomen, das alle Branchen der Wirtschaft beschäftigt, man denke nur an das Handwerk oder den Tourismus.
Manchmal beschleicht mich bei Diskussionen über den Personalmangel aber auch die Frage, ob die Dimension dieses Problems bei den Banken und Sparkassen, vor allem bei den „Vordenkern“ in den Verbänden der Verbundbanken, in vollem Umfang angekommen ist. Man fühlt sich an die Automobilindustrie erinnert, der man nicht zu Unrecht vorwirft, die erforderliche Transformation in das Elektrozeitalter verschlafen zu haben, mit noch unabsehbaren Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Ich kann jedenfalls nicht erkennen (was an meinem beschränkten Kenntnisstand liegen mag), dass die Institutionen bei Sparkassen und VR-Banken ein klares Konzept gegen diese substanzielle Bedrohung hätten. Die Werbung der Verbünde ist wie vor 20 Jahren auf die Darstellung der eigenen Kompetenz ausgerichtet, man zeigt zwar vermehrt junge Leute in der Außendarstellung und beruft sich auf die guten Nutzungsquoten der Apps, aber dass man klar und deutlich erkennen könnte, dass man sich als attraktiver Arbeitgeber für junge Menschen positioniert, kann ich nicht feststellen.
Vielmehr scheint es so zu sein, dass man dieses Problem bei den Instituten vor Ort ablädt, die sich irgendwie selbst helfen müssen, was diese ja auch mit ihren Möglichkeiten versuchen. Angesichts der Dimension der Bedrohung erscheint eine unkoordinierte Vorgehensweise aber mindestens leichtfertig, eigentlich sogar unangemessen.
Das mag auch daran liegen, dass die „Technokraten“ in den Verbundzentralen mit dieser Problemstellung überfordert sind. Wer sich tagtäglich mit Prozessoptimierungen, KI-Lösungen und Effizienzpotenzialen beschäftigt, tut sich erfahrungsgemäß mit Themen wie Sinnstiftung, Arbeitsplatzattraktivität und Entwicklungsperspektive sehr schwer.
Das in den Verbandszentralen bestehende Menschenbild des „funktionierenden Rädchens im gut geölten Getriebe der Organisation“ ist eben nicht geeignet, jungen Menschen den Bankberuf schmackhaft zu machen, ganz zu schweigen von dem „mechanischen“ Grundverständnis, was eine erfolgreiche Bank oder Sparkasse im Kern ausmacht.
Es ist nicht mehr so, dass sich Finanzdienstleister die besten Mitarbeitenden aussuchen konnten, die es dann ertragen haben, in mechanisch durchgestylten und Prozess-optimierten Arbeitsumgebungen dankbar ihr Dasein gefristet zu haben. Ganz abgesehen davon, dass die Kunden, insbesondere bei Regionalbanken, mehr Bemühung um ihre Interessen, mehr Engagement in der Ansprache und auch mehr persönliche Nähe spüren wollen, was wiederum nur dann gelingen kann, wenn sich Menschen in ihrer Arbeitsumgebung sicher und wohl fühlen, vor allem aber verstanden haben, warum es besser für den Kunden ist, mit der Sparkasse oder der VR-Bank zusammen zu arbeiten als mit einer Direkt- oder einer überregionalen Privatbank.
Das Gebot der Stunde ist also zum einem, mehr junge Menschen überhaupt zu erreichen, zum anderen, ihnen den „Sinn“ und Nutzen von Regionalbanken zu vermitteln. Tatsache ist, dass es heute nicht flächendeckend gelingt, ausreichend junge Menschen zu erreichen, und dass es auch nicht ausreichend gelingt, die jungen Menschen so von der Aufgabe zu begeistern, dass diese auch nach der Ausbildung in der Bank bleiben.
Albert Einstein hat einmal gesagt, dass man die Probleme nicht mit den Methoden lösen kann, die zu den Problemen geführt haben. Mit anderen Worten: Es bedarf neuer oder zumindest neuartiger Wege, um sich anders zu positionieren.
Glauben Sie daran, dass bei einer hypothetischen Befragung von jungen Menschen eine klare Mehrheit sagen könnte, was denn das „Mehr“ in dem Slogan „Weil es um mehr als Geld geht“ bedeuten soll? Oder ist es so offensichtlich, was der Sinn von „den Weg frei machen“ für junge Menschen sein soll? Es ist in gewissem Sinn natürlich unfair, die Dachwerbung einer Verbundorganisation im Hinblick auf ihre Wirkung bei jungen Menschen kritisch zu beurteilen, weil der Zweck der Dachwerbung vor allem darin liegt, alle Menschen, unabhängig von ihrer konkreten Lebenssituation anzusprechen.
Es geht mir auch nicht darum, die Gestalter der Dachwerbekonzepte zu kritisieren, sondern kritisch zu hinterfragen, ob die Verbundorganisationen in ihrer Gesamtwahrnehmung angemessen auf die Bedrohung des Personalmangels reagieren, denn wenn es am Ende so sein sollte, dass der Personalmangel den strategischen Handlungsrahmen dominiert, stehen ganz andere Probleme an. Wenn man sich Filialen nicht mehr leisten kann, weil es kein ausreichendes Personal gibt, wo bleibt dann der Wettbewerbsvorteil der Regionalbanken?
Sparkassen und VR-Banken haben nur einen einzigen Wettbewerbsvorteil, nur einen Sinn, der sie von ihren Wettbewerbern glaubhaft unterscheidet, und das ist Nähe. Nähe ist ein logistischer, aber vor allem auch ein emotionaler Faktor. Regionalbanken sind dafür da, regionale Lebensräume lebenswert zu halten. Dies ist eine edle und verantwortungsvolle Aufgabe. Leider ist dieser Faktor, der in den Gründungsgenen aller Verbundbanken verankert ist, heute im Bewusstsein vieler Strategen in den Verbundzentralen zugunsten von Renditestreben verschüttet gegangen. Aber Renditestreben taugt überhaupt nicht dazu, junge Menschen für die Arbeit in einer Regionalbank zu begeistern.
Menschen müssen verstehen, warum und wofür sie sich anstrengen sollen. Das Betriebsergebnis der Bank ist für die meisten Mitarbeitenden kein Motivationsfaktor. Und die konkreten Arbeitsumgebungen sind es auch nicht. Es wird keinen regelmäßigen Leser der „Standpunkte“ überraschen, wenn ich darauf verweise, dass die Arbeitsumgebungen gerade in der Keimzelle der Nachwuchsarbeit, der Filialorganisation, überhaupt nicht mehr angemessen sind. Das bedeutet, dass selbst, wenn junge Menschen den Weg in die Regionalbank gefunden haben, das Abarbeiten von Zielkarten in streng vorgegebenen Prozesslandschaften nicht dazu beiträgt, im Bankberuf eine Zukunftsperspektive zu sehen. Was also braucht es?
Ich schreibe und sage oft, dass es in den Verbundorganisationen ein Narrativ gibt, das so falsch wie unausrottbar ist und das lautet: Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem! Meine Antwort darauf lautet: Ihr habt ein Umsetzungsproblem, weil Ihr ein Erkenntnisproblem habt!
Es mangelt an der Erkenntnis, dass man mit allergrößter Anstrengung und konzeptioneller Gründlichkeit das Thema „Arbeitgeberattraktivität“ neu denken und anders kommunizieren muss. Die Mission der Regionalbank muss neu erfunden und mitgeteilt werden.
Und es muss sich in den Filialorganisationen wieder der Spaß an der gemeinsamen Teamarbeit und die Mitverantwortung des Einzelnen für das Ganze wiederbeleben. Die Regionalbanken sind mittlerweile „overengineered“, d.h. es muss wieder einfacher werden, und man muss sich wieder auf den Kern dessen konzentrieren, wofür man einst geschaffen wurde: Regionale Lebensräume in ihrer Entwicklung unterstützen und lebenswert erhalten!
Ein Beispiel: Viele Regionalbanken, vor allem größere, haben in den vergangenen Jahren Spezialeinheiten für die Betreuung spezifischer Kundengruppen wie Ärzte, Landwirte, Wohlhabende etc. geschaffen, mit dem vermeintlich guten Gedanken, diese Kunden noch besser beraten zu können. Der Kollateralschaden ist, dass junge Menschen in der Filialorganisation relativ schnell die Organisation wechseln müssen, wenn sie sich weiterentwickeln wollen. Gerade für das Wohlfühlen und die Sicherheit, die junge Menschen für Ihre Entwicklung brauchen, sind aber intakte „Biotope“ großer Einheiten, in denen gelehrt und gelernt wird, ein wesentlicher Bindungsfaktor. Es ist also künftig neu abzuwägen zwischen dem Mehrwert einer fokussierten Beratung und der Entwicklungsumgebung junger Mitarbeitender.
Das Gleiche gilt für Steuerungsfragen, wo konsequent auf Teamlösungen statt detaillierter Einzelmessungen abgestellt werden muss, um jungen Menschen Lernräume zu schaffen, in denen Erfahrungen ausgetauscht und Drucksituationen weitgehend vermieden werden. Dies wiederum erfordert größere Anstrengungen bei der Auswahl und Entwicklung von Führungskräften, vor allem weniger Toleranz gegenüber Führungskräften, die nicht zeitgemäß führen können oder wollen.
Wenn nicht konsequent und koordiniert agiert wird, droht ein böses Szenario. Es ist nicht einfach, aber einfach weitermachen ist keine Option. Wir brauchen leistungsfähige Regionalbanken, weil den Kunden im Wirrwarr komplexer Angebote eine gute Beratung hilft, Risiken zu vermeiden und die besten Entscheidungen für sich zu treffen. Dafür brauchen wir leistungsfähige Mitarbeitende, die sich der Idee der Verbundbanken verpflichtet fühlen. Sie meinen jetzt vielleicht, Werte wie Nähe oder Heimat seien nicht mehr zeitgemäß und man müsse mit den KI-Wölfen heulen. Jetzt haben Sie ein Erkenntnisproblem, denn für die besten digitalen Produkte und Dienstleistungen braucht es keine Regionalbanken. Sie haben Zweifel?
Schauen Sie mal in den Einzelhandel (von dem wir viel lernen können). Warum haben Sie den REWE- oder Spar-Markt „um die Ecke“, obwohl im weiter entfernten Einkaufszentrum ein größeres Angebot besteht und oft auch bessere Preise möglich sind. Der Einzelhandel hat verstanden (kein Erkenntnisproblem), dass Nähe ein Wettbewerbsfaktor ist und dass „regionale Produkte und Dienstleistungen“ einen Beitrag für Lebensqualität darstellen, für den Kunden bereit sind, etwas mehr zu bezahlen.
Ein anders Beispiel ist die Raiffeisen-Bankengruppe in Österreich, die noch in jedem Bundesland dreistufig organisiert ist noch immer und sehr viele kleine Institute aufweist, von denen man sich nicht vorstellen kann, dass sie überlebensfähig sein könnten. Dennoch sind gerade kleine Banken im Verbund mit ihren Zentralinstituten sehr wohl überlebensfähig und erfolgreiche „Saugnäpfe“ in den Regionen.
Als Bewohner eines kleinen Bergdorfs kann ich das aus eigener Beobachtung bestätigen. Sollte sich allerdings der in allen Verbundorganisationen bestehende Trend zur Bildung größerer und wahrhaft großer Regionalbanken fortsetzen, weil man Effizienzpotenziale heben möchte, muss man den möglichen Kollateralschaden des Verlusts der regionalen Identität in die Kalkulationen miteinbeziehen. Je weniger regionale Nähe spürbar ist, umso geringer der wahrgenommene Mehrwert der „Regional“-Bank, und, umso geringer die Glaubwürdigkeit der regionalen Mission, die für junge Menschen bedeutsam sein kann.
Hier schließt sich der Kreis. Die Verbünde haben es in der Hand. Aber bedenken Sie: Auch die ausgefeilteste Struktur und die besten Prozesse nutzen Ihnen nichts, wenn niemand mehr da ist, um sie mit Leben zu füllen.
Wir wünschen allen Lesern ein frohes Fest sowie ein gesundes und glückliches neues Jahr 2025.
Herzliche Grüße aus Brand
Hans-Dieter Krönung