„We will never surrender!“
(Winston Churchill)
Gibt es einen Unterschied zwischen dem Management in der Politik und dem Management in der Wirtschaft? Braucht es unterschiedliche Kompetenzen oder sogar grundlegend andere Philosophien? Diese Fragen sind aktueller und grundsätzlicher, als sie vielleicht auf den ersten Blick anmuten. Vor allem aber sind sie nach meiner Überzeugung außerordentlich relevant für das Verständnis erfolgreichen Managements generell.
Ich bin aufgewachsen mit dem Verständnis, dass die Politik die Rahmenbedingungen setzt, innerhalb derer sich Wirtschaft zu bewegen hat. Dies legt zunächst einmal die Vermutung nahe, dass es sich um zwei grundsätzlich unterscheidbare Aufgabenfelder handelt, die gleichwohl viele Berührungspunkte haben. Das hat wohl auch in Teilen der Politik zu der Überzeugung geführt, dass man einen Kinderbuchautor zum Wirtschaftsminister machen kann, ohne dass gewaltige Schäden zu befürchten seien.
Unbestritten ist, dass Politik Rahmenbedingungen gestalten soll. Und hier stellt sich bereits eine erste spannende Frage: Was sind denn „Rahmenbedingungen“? Einem eher technokratisch-mechanistischen Weltbild folgend kann man als „Rahmenbedingungen“ Themen wie Steuerpolitik, Wettbewerbsrecht, internationale Beziehungen, Infrastruktur- und Energie-Management und natürlich das Aufsichtswesen nennen, also Themenfelder, die seitens der Politik vor allem über die Gesetzgebung gestaltet werden können und auch sollen.
Gehört zu den Rahmenbedingungen aber auch, für gute Stimmung zu sorgen, Visionen für das Land zu entwickeln und Aufbruchstimmung zu erzeugen? Oder soll (und muss sich vielleicht) Politik im Keynes´schen Sinn auf anti-zyklische Impulse konzentrieren, d.h. die Schwachen und Notleidenden in der Gesellschaft absichern und in Krisen konjunkturelle Impulse setzen?
Der noch aktuelle Kanzler wird (zugegebenermaßen in einem etwas anderen Zusammenhang) mit den Worten zitiert: „Wer Führung bestellt, bekommt sie!“. Eine solche Aussage lässt tief blicken. Einem modernen Top-Manager in einem modernen Unternehmen würde niemals in den Sinn kommen, Führung als eine Aufgabe zu verstehen, die bestellt werden muss, d.h. die nicht dauerhaft und selbstverständlich eine Kerneigenschaft der eigenen Rolle ist.
Es wird sicher Menschen geben, die diese Aussage in einen anderen, eher Regierungsteam-internen Kontext stellen werden und sie daher nicht in gleicher Weise gewichten, wie ich das jetzt tue. In einem deutlich älteren Standpunkt („Die kleinen Dinge, oder: Wie wird man Vorbild?“) habe ich darauf hingewiesen, dass man an den „kleinen Dingen“, also dem mal eben so Dahingesagten, den Gesten, den Witzen, dem Verhalten neben dem Rampenlicht sowie den Slogans, die man häufiger verwendet, schon auf den Charakter bzw. die Lebensphilosophie eines Menschen schließen kann.
In diesem Sinn ist die Aussage „Wer Führung bestellt …“ ein deutlicher Hinweis auf ein Selbstverständnis, nach dem die Dinge grundsätzlich von allein laufen und man sich als Top-Manager nur dann einmischt, wenn es kriselt. Eine solche Einstellung geht zurück auf die Anfänge wirtschaftlichen Denkens im ausgehenden Mittelalter, nach dem alles wie eine große Maschine ist, ein Uhrwerk, dass nur am Laufen gehalten, also verwaltet, werden muss.
Die wirtschaftlichen Kreislaufmodelle von Laplace bspw. waren ja so weit konstruiert, dass sie nicht einmal mehr einen Gott vorsahen, wie sogar Napoleon von Laplace erfahren musste. Und wir erleben noch heute, dass das inhärente Denken von Top-Managern darauf ausgerichtet ist, alles „am Laufen zu halten“, und folglich nur dann einzugreifen, wenn „die Maschine kaputt ist“.
„Führung“, oder „Leadership“, wie im Angelsächsischen noch deutlicher formuliert wird, ist aber etwas komplett Anderes. Führung bedeutet, wirklich verstanden zu haben, dass sich die Welt permanent verändert und sich eine Organisation oder auch ein Staat, eine Gesellschaft, ebenso permanent weiterentwickeln muss, und, dass es dafür Menschen geben muss, die permanent an der Veränderung arbeiten, nicht um der Veränderung willen, sondern um die Zukunft zu sichern. Es braucht durchdachte Pläne, um erfolgreich verändern zu können, d.h. es müssen sich Menschen Gedanken über die Zukunft und ihre Herausforderungen machen, um richtige Weichenstellungen vornehmen zu können. Das hat nichts mit „Verwaltung“ zu tun.
Nehmen wir die aktuelle Krise bei VW und die Frage nach der Schuld. Der Konzern hat strategisch voll auf die Elektromobilität gesetzt und festgestellt, dass die eigenen Kostenstrukturen nicht wettbewerbsfähig sind, weil man es im Elektromarkt mit Wettbewerbern, vor allem aus China, zu tun hat, die deutlich günstiger produzieren. VW ist nicht in der Lage, Elektrofahrzeuge auf den Markt zu bringen, die preislich wettbewerbsfähig sind und mit denen auch Geld zu verdienen ist. So etwas nennt man ein Dilemma. Man hat sich in der Vergangenheit im Vertrauen auf alte Technologien und funktionierende Märkte wie China ein gewisses Kostenpolster „angefressen“, dass jetzt zum Kernproblem geworden ist.
Das nennt man eine Krise, und der Verwaltungs-Manager agiert jetzt im Krisenmodus, indem Cost-Cutting betrieben wird. Entsprechend steht die Belegschaft auf den Barrikaden. Aber wer ist schuld?
Die Krise bei VW steht sinnbildlich für die Krise in Deutschland. Man hat seitens der politischen Top-Manager einfach zu lange im Vertrauen auf das Bestehende, nämlich die wirtschaftliche Stärke, Wohltaten verteilt, ohne einen wirklichen Plan zu haben, wie sich Deutschland als Gesellschaft, aber auch als Wettbewerbsstandort, in den kommenden Jahrzehnten aufstellen muss, um den Wohlstand zu erhalten.
Es hat an Menschen gefehlt, die klare Prioritäten gesetzt haben, etwa in Bildung, aber die auch die Leistungsbereitschaft im Land hochgehalten haben. Man kann vom Schlaraffenland des „bedingungslosen Grundeinkommens“ träumen, man muss dann aber auch genug Dumme finden, die das auch bezahlen.
Top-Manager, ob in der Wirtschaft oder in der Politik, die sich als Verwalter eines an sich funktionierenden Uhrwerks verstehen, kommen über kurz oder lang immer wieder in die Situation des Kapitäns eines US-Kriegsschiffes, das im Nebel einen kollidierenden Kontakt feststellt und diesen unter Androhung von Gewalt auffordert, seinen Kurs zu ändern, nur um dann festzustellen, dass es sich bei dem Gegenüber um einen Leuchtturm handelt.
Ist der aktuelle Bundeskanzler bzw. die aktuelle Bundesregierung schuld an der Misere Deutschlands? Ist der aktuelle VW-Vorstand schuld an dem strategischen Dilemma des Konzerns?
Die Antwort lautet „Nein, aber …“. Wenn man bereits, wie das US-Kriegsschiff, auf Kollisionskurs mit den Klippen an der Küste ist, hilft kein strategisches Denken mehr. Dann muss das Ruder herumgerissen werden, koste es, was es wolle. Die Kunst strategischen Denkens, von „Führung“, ist es, solche Situationen zu vermeiden. Sowohl die aktuelle Bundesregierung wie auch der aktuelle VW-Vorstand zahlen jetzt die Zeche für versäumte Strategien. Wir alle sitzen gewissermaßen in der ersten Reihe und bemitleiden diese Menschen in ihrer schwierigen, eigentlich ausweglosen Situation oder amüsieren uns gar über ihre Rettungsbemühungen.
Dabei haben die meisten von uns, Hand aufs Herz, während der Merkel-Ära, in der bereits die Weichen anders hätten gestellt werden müssen, strategisches Denken im oben beschriebenen Sinn nicht vermisst, sondern darauf vertraut, dass alles schon gut werden würde. Auch die vielen Mitarbeitenden bei VW haben es sich in den guten Jahren gut gehen lassen und deutlich übertariflich verdient, im Vertrauen darauf, dass es immer so weiter gehen würde.
Es ist das Tückische am Verwaltungsmodus, dass man sich wohlfühlt, weil alles vertraut ist, weil sich nichts ändert. Veränderung ist unbequem, weshalb viele Top-Manager Veränderungen erst dann angehen, wenn es bereits zu spät ist.
Wir können der aktuellen Bundesregierung nicht vorwerfen, an der Misere Deutschlands schuld zu sein, weil man anerkennen muss, dass sie erstens kein Glück (Ukraine-Krieg) und zweitens auch noch Pech (Folgen des Ukraine-Kriegs) hatte, um wieder einmal Jürgen Wegmann zu zitieren. Was man ihr aber vorwerfen muss, ist, dass sie offensichtlich keinen robusten, durchdachten Plan hatte, mit dem sie das Land in die Zukunft führen wollte. Trotz „Zeitenwende“ hat man einfach so weiter gemacht, weil man nur so weiter machen konnte, eben, weil man keinen Plan B hatte. Das ist „Verwalter-Modus“ und deshalb muss man Lichtenberg heranziehen, der sagte: „Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird. Aber damit es besser wird, muss es anders werden!“.
Der große Wert strategischen Denkens liegt in der Vermeidung von Kollisionen, präzise formuliert, in der Steigerung der Wahrscheinlichkeit der Vermeidung von Kollisionen. Wer rechtzeitigt den Kurs ändert, vermeidet tendenziell Kollisionen, womit aber nicht gesagt ist, dass das permanente Ändern des Kurses ein Erfolgsrezept ist, denn wer nicht weiß, wo er hinwill, dem nutzt auch eine permanente Kursänderung nichts (Beispiel gefällig? Großbanken!).
Es liegt in der Natur der Sache, dass der Verwalter erst die Krise durch Sorglosigkeit und gute Laune herbeiführt, sich dann der Wut der Geführten bzw. Verwalteten ausgesetzt sieht und dann hektisch und hilflos reagiert, wie der aktuelle Wirtschaftsminister, der wirklich zu glauben scheint, mit einem „Sondervermögen“ von 600 Mrd. die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt aus der Krise „führen“ zu können. Da ist die Hilflosigkeit des Verwalters auf die Spitze getrieben.
Was können wir also von der anstehenden Bundestagswahl lernen?
Erstens: Wer Führung als Zusatz- oder Ausnahme-Aufgabe versteht, ist ein Verwalter, und einem Verwalter darf man kein Unternehmen, schon gar kein Land anvertrauen. Führung ist unbequem, weil durch Führung und Veränderung das Vertraute und Lieb-Gewonnene immer wieder in Frage gestellt wird. Ich denke, die Zurückhaltung bzw. Ablehnung, die dem Kanzlerkandidaten Merz entgegengebracht wird, liegt auch in der unterschwelligen Sorge begründet, er könne tatsächlich grundlegende Änderungen anstoßen und nicht nur Beruhigungstabletten verteilen. Es ist das Los von „Leadern“, dass ihnen die Angst der Retardierenden, der Bewahrer, entgegensteht, und dass sie beweisen müssen, dass sie einen guten Plan für die Organisation oder das Land haben. Wem diese Angst oder Skepsis nicht begegnet, kann sicher sein, nicht als Veränderer wahrgenommen zu werden.
Zweitens: Es ist ein Kennzeichen von Verwaltern, dass sie immer Schuldige suchen, und zwar außerhalb des eigenen Verantwortungsbereichs. Das erscheint oft einfach, weil es zahlreiche externe Herausforderungen gibt, wie z.B. die Regulatorik. Der Verwalter beklagt sich, weil Regulatorik unbequem ist (bei Bitcoin etc. wird sie dagegen stärker gefordert); der „Leader“ stellt sich und sein Unternehmen auf die Herausforderung ein und passt seinen Plan entsprechend an, um seine Ziele zu erreichen. Wenn grundlegende Parameter sich verändern („Zeitenwende“), muss alles auf den Prüfstand gestellt und Anpassungen/Einsparungen an anderen Stellen vorgenommen werden, anstatt um externe bzw. staatliche Hilfe zu rufen oder die Schuldenbremse in Frage zu stellen; das können Unternehmen und private Haushalte auch nicht.
Drittens: Führung ist die selbstverständliche Daueraufgabe von Top-Managern, in der Wirtschaft und in der Politik. Ich denke, die Enttäuschung über die „Ampel“ ist nicht deswegen so groß, weil sich herausgestellt hat, dass da viele Leute am Werk sind, die dogmatisch statt pragmatisch agieren, sondern dass man das Gefühl hat, es gäbe keinen Plan. Selten ist der Mangel an Strategie so greifbar und spürbar geworden wie bei dieser Regierung. Viele Menschen hätten sich einen Aufbruch nach den vielen Jahren der Verwaltung gewünscht und sind enttäuscht worden.
Wir sollten als Manager daraus lernen, keine Angst vor Ressentiments zu haben, wenn wir Leadership ausüben, d.h. wenn wir Veränderungen anstoßen. Man bekommt keine Lobeshymnen, wenn man schmerzhafte, aber sinnvolle Änderungen durchsetzt. Man kann allseits beliebt sein wollen, dann ist man tendenziell Verwalter. Man kann aber auch die Zukunft sichern wollen und die Organisation antreiben und niemals mit dem Erreichten zufrieden sein. Das ist das Schicksal von „Leadern“, dass man ihnen oft erst posthum ein Denkmal setzt.
Herzliche Grüße aus Brand
Hans-Dieter Krönung