„Erzählen bedeutet, der Wirklichkeit zur Wirksamkeit zu verhelfen“
(Jean-Paul Sartre)
Pabst Franziskus ist tot, aber damit endet die Geschichte der katholischen Kirche nicht. Seit über 2000 Jahren feiern Christen die jungfräuliche Geburt Christi, seine Wundertaten sowie seine Auferstehung. So wie die katholische Heilslehre sind alle Religionen über Generationen überlieferte Geschichten, die man sich erzählt und die man aufgeschrieben hat. Es bleibt jedem Menschen überlassen, ob er diesen Geschichten Glauben schenkt oder sie als Fiktion abtut, aber wenn sich über eine Milliarde Menschen weltweit dem katholischen Glauben zugehörig fühlen, kommt doch schon eine mächtige Kraft zusammen.
Neudeutsch und als Modewort würde man die katholische Glaubenslehre wahrscheinlich als „Narrativ“ bezeichnen, denn seit 1990, wie uns Wikipedia wissen lässt, bezeichnet man als „Narrativ“ eine sinnstiftende Erzählung, die Einfluss auf die Art hat, wie die Umwelt wahrgenommen wird. In diesem Sinn, so Wikipedia weiter, sind Narrative keine beliebigen Geschichten, sondern etablierte Erzählungen, die mit einer Legitimität versehen sind. Es ist also ausdrücklich kein Narrativ, wenn uns Donald Trump glauben machen will, er sei ein Wirtschaftsexperte und nicht nur ein inkompetenter Narzisst; da fehlt die Legitimation.
Geschichten sind untrennbar mit Emotionen verbunden und wenn Sartre sagt, dass Erzählungen der Wirklichkeit zur Wirksamkeit verhelfen, dann meint er damit vor allem die Gemeinsamkeit, die durch Geschichten entsteht. Menschen kommen über Geschichten zusammen, tauschen sich aus und lernen voreinander. Und häufig kann man beobachten, wie aus solchen durch Geschichten organisierte Zusammenkünfte von Menschen ungeheure Energien entstehen, positive wie negative.
Es gibt also einen nachweisbaren und unbestrittenen Zusammenhang zwischen Geschichten, Gemeinschaften und Energie. Wenn man sich die heftigen Ausschläge an den Kapitalmärkten nach den von Trump verhängten Strafzöllen ansieht, merkt man, dass auch sehr rational handelnde Entscheider von Emotionen geleitet werden, die wiederum auf Geschichten, die man sich erzählt, zurückzuführen sind. Niemand weiß, was in dem wirren Kopf des amtierenden US-Präsidenten vorgeht; dies ist der Nährboden für viele Geschichten und heftige Emotionen mit wiederum heftigen Konsequenzen. Man muss also keineswegs ein religiöser Mensch sein, um die oben beschriebene Wirkung von Geschichten zu glauben und zu erleben.
Als Ökonomen, Manager und Strategen sind uns Emotionen eigentlich suspekt. Wir begreifen uns überwiegend als rational denkende und handelnde Sachwalter nüchterner Interessen; so wird man als Wirtschaftswissenschaftler auch ausgebildet. Schließlich begriff schon der Ur-Vater aller Ökonomen, Adam Smith, den Wirtschaftskreislauf als eine Art von Uhrwerk, das man reparieren und beschleunigen kann. Ein Wirtschaftsunternehmen zu leiten oder an dessen Entwicklung maßgeblich beteiligt zu sein, erfordert nach diesem „Narrativ“ vor allem Sachkenntnis, logisches Denkvermögen und den Umgang mit klar definierten Entscheidungsparametern, die primär betriebswirtschaftlicher Natur sind. Da ist kaum Platz für Emotionen, Unschärfe und Sentimentalität.
Andererseits kämpfen viele Unternehmen und die meisten Regionalbanken mit fehlender Begeisterung und fehlendem Nachwuchs für ihre Belegschaft. Insbesondere im Herzen des Regionalbank-Geschäfts, dem Retail-Banking, ist die Not, ausreichend gute Leute zu finden, besonders groß. Daher gehören Loyalität, Kundenorientierung und wettbewerbliche Kampfbereitschaft nicht zu den herausragenden Eigenschaften in der Vertriebsarbeit von Sparkassen und Genossenschaftsbanken.
Natürlich gelingt es herausragenden Führungskräften punktuell, in einem Meer des „Dienst nach Vorschrift“ Inseln der Begeisterung zu schaffen, aber da wird eher nach dem Motto verfahren: „Ich weiß zwar nicht, wo er/sie hinwill, aber ich laufe mit!“. Wenn sich dann personell etwas ändert, ist es mit den Inseln der Glückseligkeit auch schnell wieder vorbei.
Was mir in den Regionalbanken vor allem fehlt, ist Emotionalität, d.h. Geschichten. Damit meine ich nicht die Geschichte, dass man den Weg frei macht oder dass es um mehr als Geld geht (Gähn …), sondern Geschichten, die sich Mitarbeitende untereinander erzählen, über Dinge, die man in und mit der eigenen Bank erreicht hat, über besondere Ereignisse und Erfolge, über die sich alle freuen, über Herausforderungen, vor denen man steht und Ziele, die man sich gemeinsam gesetzt hat.
Oder stellen Sie sich doch einen Moment lang vor, Sie säßen mit einer ausgewählten und repräsentativen Anzahl Ihrer Mitarbeitenden rund um ein Lagerfeuer und müssten spannende Geschichten über Ihre Bank erzählen, um nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu fesseln. Sie würden sicher beginnen mit „Wussten Sie eigentlich …“ oder „Können Sie sich vorstellen …“, aber wenn Sie dann die Mittelfristplanung oder betriebswirtschaftliche Kennzahlen vorlesen würden, wäre es mit der Spannung wohl schnell vorbei.
Viele Leser fragen sich jetzt vielleicht, ob ich mit dem Lagerfeuer-Beispiel nicht übertreibe. Ich möchte alle Zweifler daran erinnern, wie wichtig heutzutage im Wettbewerb mit neuen und alten Wettbewerbern das Engagement der Mitarbeitenden an der Kundenfront ist. Welche andere Differenzierungsmöglichkeit haben Regionalanbieter denn als besonderes Engagement für die „Kunden um die Ecke“.
Ob es sich um Einzelhändler, KfZ-Werkstätten, Restaurants, Bäckereien oder eben Banken handelt: Es kann dauerhaft nur überleben, wer mehr bietet als überregionale oder virtuelle Anbieter. Und dieses „Mehr“ wird doch wohl kaum ein besserer Preis oder ein einzigartiges Produkt sein können; dieses „Mehr“ kann nur wahrgenommene Aufmerksamkeit für den Kunden und Lösungs-orientiertes Engagement sein, egal, ob es sich um eine Baufinanzierung, eine Reiseversicherung oder eine Altersvorsorge handelt. Das Regionalprinzip bedeutet für alle regionalen Anbieter von Produkten und Dienstleistungen, dass sie über besondere „Nähe“ überzeugen müssen.
Nun stellt sich die Frage, wie man zu solchen Mitarbeitenden kommt, die nicht nur ihre Kunden „bearbeiten“, sondern ihnen mit Freude und Engagement „helfen“ (!) wollen, und sogar auch noch Spaß daran haben, noch nicht entwickelte Kunden anzusprechen und diese zu überzeugen versuchen. Wir können nicht darauf hoffen, mehrheitlich intrinsisch motivierte Mitarbeitende zu haben, die aus sich heraus das notwendige Engagement an den Tag legen. Wir können uns glücklich schätzen, wenn der Anteil der intrinsisch Motivierten in Filialgeschäft 10% erreicht, Führungskräfte inklusive.
Und hier kommt jetzt mein Lagerfeuer-Beispiel ins Spiel. Haben Sie sich einmal gefragt, welche Geschichten Sie Ihren Mitarbeitenden erzählen würden, um sie für die gemeinsame Sache zu entflammen? Da muss es Geschichten aus der Historie geben, wo die Bank in exponierter Rolle Großartiges geleistet hat, also sinnbildlich die Geschichten von „unseren Vorfahren“. Es müssen Geschichten erzählt werden von besonders spannenden Projekten und Kunden, die man erlebt hat oder gerade erlebt, vor allem, wo man dem Wettbewerb gezeigt hat (oder gerade zeigt), was „eine Harke ist“. Es muss Geschichten geben von herausragenden Leistungen einzelner Mitarbeiter oder Teams, die in besonders schwierigen Situationen performt oder die in bestimmten Feldern herausragende Ergebnisse erzielt haben, die auch über die Bank hinaus registriert wurden. Und es muss auch Geschichten über die kommenden Herausforderungen geben, die Respekt einflößen und zusammenrücken lassen.
Wir Manager wissen (oder sollten wissen), dass unsere Mitstreiter nur über Emotionen in ihrem Verhalten beeinflusst werden. Ich habe schon oft vom „Controller-Dilemma“ gesprochen, womit ich meine, dass immer noch viel zu viele „Steuerer“ in den Stäben wirklich glauben, über Transparenz Motivation erzeugen zu können. Wenn die Millionen von Zielkarten und Ranglisten, die seit Dekaden in allen Sparkassen und Genossenschaftsbanken konzipiert und kommuniziert worden sind, wirklich eine nachhaltige Wirkung erzielen würden, dann müsste doch sprichwörtlich überall „das Geld von der Decke tropfen“.
Nein, was wirklich den Unterschied ausmacht, sind Geschichten: Geschichten, die einzelne Führungskräfte in ihren Teams erzählen, besser noch: Geschichten, die die Bank über sich selbst erzählt: Was macht uns besonders? Was unterscheidet uns von unseren Wettbewerbern? Was ist der tiefere Sinn unserer Aufgabe? Warum brauchen wir Dich?
Viele unserer Mitarbeitenden engagieren sich ehrenamtlich. Warum tun sie das? Warum sind sie bei der Feuerwehr oder der Tafel engagiert? Der Grund ist, weil sie in diesen Tätigkeiten einen Sinn sehen, und wie uns Viktor Frankl zeigte, kann Sinn immer nur in Bezug auf eine Gemeinschaft erzeugt werden. Der wahre Sinn des Tuns liegt im Nutzen für eine definierte Gemeinschaft, bei der Feuerwehr oder der Tafel ist es vielleicht die Dorfgemeinschaft oder der Stadtteil, bei der Regionalbank sind es die Menschen in der Region, deren Leben man besser machen muss (und kann).
So, und jetzt fragen Sie sich bitte, ob Sie in Ihrer Bank diese Geschichten haben und, noch wichtiger, ob Ihre Mitarbeitenden diese Geschichten kennen und teilen. Ich muss sagen, dass nach meiner persönlichen, über Dekaden reichende Beobachtung vielleicht zwei Handvoll Regionalbanken diese Geschichten lebendig halten und immer wieder kommunizieren. Das ist nicht nur schade, sondern vor allem leichtfertig. Wir können doch nicht immer darauf hoffen, dass uns die Zinsentwicklung rettet. Regionalbanken müssen sich strukturell, d.h. auch in schwierigen Zeiten, durchsetzen können, weil sie konsequent ihren Wettbewerbsvorteil ausnutzen.
Dabei kommt den Regionalbanken zugute, dass es in der Gesellschaft insgesamt einen Trend zu regionaler Versorgung gibt. Viele von Ihnen werden in Bioläden oder auf Wochenmärkten einkaufen, weil man die regionalen Produkte und Erzeuger bevorzugt. Das ist auch eine Form von Nähe. Leider hat man dieses Potenzial in den weitaus meisten Regionalbanken noch nicht erkannt bzw. noch nicht konsequent entwickelt. Es scheint immer noch das technokratische Verständnis vorzuherrschen, nach dem ausreicht, wenn man morgens öffnet und effiziente Prozesse bieten kann.
Nehmen Sie sich einmal etwas Zeit und denken Sie über die Geschichten nach, die Ihre Bank zu erzählen hat. Laden Sie einige junge Mitarbeitende ein, erzählen Sie Ihnen diese Geschichten und beobachten Sie die Reaktionen. Laden Sie erfahrene „Haudegen“ aus der Bank zum Geschichtenerzählen ein und bitten Sie die jungen KollegInnen, daraus einen Podcast oder ein Video zu machen, das auf einer Betriebsversammlung gezeigt wird.
Schaffen Sie eine Kommunikation, die lebt und an der teilgenommen wird, damit möglichst viele Ihrer Mitarbeitenden verstehen, warum (!!) sie sich anstrengen und ihre Kunden begeistern sollen.
Sorgen Sie dafür, dass Ihre Mit-„Arbeitenden“ zu Mit-„Streitern“ werden und irgendwann sogar stolz sind, dazuzugehören. Wenn Sie das schaffen, werden Sie es dann auch in der GuV spüren. Wenn Sie sich nicht sicher sind, ob Sie das können, schauen Sie sich Filme an, die Sie begeistert haben oder lesen Sie noch einmal das beste Buch Ihres Lebens und hören Sie in sich hinein. Was begeistert Sie? Es sind Geschichten ….
Herzliche Grüße aus Brand
Hans-Dieter Krönung