#3 – Die richtige Mannschaftsaufstellung – Was Manager vom Fußball lernen können

Die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika steht vor der Tür. Dieses Ereignis ist das größte Medienspektakel überhaupt, größer noch als alle Qlympiaden oder andere Groß- Ereignisse. Auch und gerade in Deutschland rüstet man sich wieder einmal, den Titel anzugreifen; wahrscheinlich wird man sich wieder mit einem guten Turnier, aber ohne die erhoffte Krone, trösten müssen.

Die Magie dieses Sports liegt ja wahrscheinlich darin, dass beinahe jeder schon einmal selbst gegen den Ball getreten hat und daher auch bereits mehr oder weniger Experte ist. Oft heißt es ja, Deutschland bestehe aus rund 80 Mio. Experten und der Einzige, der keine Ahnung habe, sei Bundestrainer.

Der Bundestrainer muss eine Mannschaft benennen, eine Mannschaft, der er den Titel zutraut, und seine Auswahlkriterien kann er zwar offenlegen, aber erst der Erfolg wird bestätigen, ob er die richtigen Entscheidungen getroffen hat oder nicht. Nicht selten entstehen große Teams ja auch erst im Turnierverlauf und Underdogs, die niemand auf der Rechnung hatte, werden die Stars. Man denke nur an „Diego“ Buchwald anno 1990.

Wir werden sehen, wie sich der Bundestrainer entscheiden wird und wie das Turnier läuft; nichts ist vorhersagbar und selbst der frühe Turnierverlauf lässt Favoriten entstehen und später sterben, meist gerade dann, wenn alle „Experten“ Wetten auf das entsprechende Team abgeben.

Unsicherheit, Spannung und einfache Strukturen und Regeln, das sind die Gewürze zu diesem Festmahl der Emotionen, dem beinahe alle entgegenfiebern.

Ich möchte mich nun nicht weiter darin ergehen, meine persönliche Prognose anzugeben, denn ich habe gelernt, dass ich meist falsch liege. Ich möchte viel lieber rückblickend würdigen, was in der abgelaufenen Spielzeit beim FC Bayern München geschehen ist, auch wenn dem Verein, dem in Deutschland eine ganz besondere Aufmerksamkeit zuteil wird, die europäische Krone kurz vor dem Ziel doch noch weggeschnappt wurde.

Einerseits ist man in deutschen Fußball-Kreisen froh, dass es „die Bayern“ gibt, sowohl wenn es um volle Stadien geht, als auch wenn die deutsche Fußball-Ehre in der Champions League auf dem Spiel steht. Andererseits ist dieser Verein das Feindbild schlechthin und ein Sieg gegen Bayern München zählt fast so viel wie der Sieg von Schalke gegen Dortmund oder umgekehrt.

Da verwundert es schon sehr, wenn der mittlerweile 23. Meistertitel der Bayern in der abgelaufenen Saison mit so viel Sympathie begleitet wurde wie schon lange nicht mehr.

Nach der Schadenfreude über den Verlauf der Ära Klinsmann begann die Saison 2009/10 mit dem holländischen Meistertrainer van Gaal auch äußerst holprig, so dass vielerorts ernste Befürchtungen laut wurden, die Ära der Bayern als Abonnement-Meister sei endgültig vorbei. Der neue Trainer setzte stur auf junge Spieler aus der eigenen Jugend, ließ teure Neuzugänge auf der Bank sitzen und lief schnurgerade auf seine vorzeitige Entlassung zu.

Gerade, als sich der Strick um seinen Hals zuziehen wollte, explodierte die Mannschaft bei zwei oder drei „Schicksalsspielen“ und fortan war die Mannschaft nicht mehr aufzuhalten. Sie spielte nicht nur erfolgreich, sondern auch schön, was selbst die notorischen Kritiker zugeben mussten. Und so schlug der Mannschaft, dem Trainer und dem ganzen Verein landesweit eine Sympathiewelle entgegen, die man noch vor sechs Monaten nicht für möglich gehalten hatte. Der Mut des Trainers , s einen Kurs beizubehalten , auch in Krisenzeiten auf die jungen Spieler zu setzen, schien der Kern des Erfolges zu sein. Mit dem Erfolg wurde auch aus dem zunächst distanzierten Herrn van Gaal, der sich von seinen Kindern „siezen“ lässt, der zugängliche und smarte, ja fast schon volkstümliche Louis van Gaal, der auch vor und während der obligaten Weißbier-Dusche nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft eine glänzende Figur abgab.

Gibt es ein Geheimnis, das diesen Trainer umgibt? Ist es sein taktisches Konzept, seine Raffinesse? Wie macht er seine Spieler stark und selbstbewusst? Wie formt er aus verwöhnten Stars ein Team, in dem jeder für den anderen kämpft? Und, warum hat es vorher unter Klinsmann mit fast denselben Spielern überhaupt nicht geklappt?

Die wahren „Experten“ werden jetzt möglicherweise entgegnen, dass schließlich bei Klinsmann kein Arjen Robben gespielt habe, der die wichtigsten Tore geschossen hat. Oder dass auch andere Trainer wie Magath oder Klopp ähnliche Erfolge erzielt haben. Ja, das mag sein, werden andere „Experten“ entgegnen, aber schließlich ist der FC Bayern eben am Ende vorne gewesen, obwohl ein anderer Star, Franck Ribery, fast die gesamte Saison weit hinter seinen Möglichkeiten geblieben ist.

So ist das eben im Fußball: Alle sind Experten.

Ich möchte auf einen anderen Aspekt eingehen, der mir für unsere Fragestellungen im Management von großer Bedeutung zu sein scheint. Es erscheint mir nämlich zu kurz gesprungen, van Gaal nur mit dem Einsatz junger Spieler in Verbindung zu bringen. Van Gaal traf bereits zu Beginn seiner Amtszeit zwei wesentliche Personalentscheidungen, die überhaupt nicht in das Bild des „Jugend-Trainers“ passen.

 Zum einen installierte er den unter Klinsmann in Ungnade gefallenen van Bommel als unumstrittenen Kapitän und verlängerten Arm des Trainers auf dem Platz, zum anderen berief er nach kurzer Testphase den altgedienten Ersatztorwart Butt zum Stamm-Torwart.

Damit installierte er ein Korsett in der Mannschaft, an dem sich die jungen Spieler orientieren und in kritischen Phasen anlehnen konnten. Beide älteren Spieler dankten es dem Traine r nicht nur durch he rausragende Leistungen, sondern auch durch uneingeschränkte Loyalität, besonders, als die Erfolge noch nicht da waren.

Um diese Korsettstangen herum schuf van Gaal ein Team, in dem er alle Spieler auf verschiedenen Positionen testete und schließlich die Spieler fand, die sein Spiel-Konzept, seine Strategie, auf den entsprechenden Positionen am besten ausfüllen konnten. Und damit war vom Prinzip her schon angelegt, dass nicht nur die bestbezahlten Spieler zum Einsatz kommen konnten, sondern auch Nachwuchs-Spieler, die zudem noch den Vorteil hatten, in das neue System hineinzuwachsen und sich nicht umzustellen hatten.

Der Rest war Zeit und auch Glück, denn wenn die Erfolge nicht rechtzeitig gekommen wären, hätte der Trainer die Erfolge, die er vorprogrammiert hatte, nicht mehr als Trainer erleben können. Das bedeutet aber nicht, dass es vor allem Glück war, das den Erfolg gebracht hat, sondern es brauchte auch Glück, um die Zeit zu bekommen, die Veränderung in Erfolg umzumünzen. Es zeichnet einen großen Trainer aus, dass er weiß, was er tut, und dennoch braucht es auch manchmal das „Glück des Tüchtigen“.

Wie ein Trainer, so kann auch der Manager nicht bei jeder Aktion seiner Mitarbeiter anwesend sein oder sogar selbst Hand anlegen. Er muss darauf vertrauen, dass sein Team die Dinge in seinem Sinne erledigt, vorausgesetzt, der Manager vertritt die Interessen des Unternehmens. Aber das ist ein anderes Thema.

Ein guter Manager ist auch ein guter Trainer, ohne hier an dieser Stelle der falschen Vorstellung Nahrung zu geben, Manager sollten übe rhaupt nur die „Coaches“ der Mitarbeiter sein und keine operative Verantwortung übernehmen. In einem der nächsten STANDPUNKTE werde ich zu diesem Thema Stellung beziehen. Hier sei nur angemerkt, dass das Gleichnis Manager-Trainer in diesem Falle hinkt, weil der Manager in der Regel auch Vorbild sein muss, d.h. er muss prinzipiell die gleichen Aufgaben, also z.B. Kundenverantwortung, wahrnehmen wie seine Mitarbeiter, weil er ansonsten über die Zeit seine Vorbild-Rolle einbüßen wird.

Ein erfolgreicher Manager ist also insoweit auch Trainer, weil er ein Team zusammenstellen muss, das erfolgreich sein soll. Ein erfolgreiches Team braucht Korsettstangen, ein Skelett, um das herum das Team hierarchisch aufgebaut werden kann.

 Dazu muss der Manager eine klare Vorstellung von der idealen Arbeitsweise des Teams haben, von der optimalen Arbeitsteilung sowie von der größtmöglichen Effizienz und/oder Effektivität. Ohne diese Vision kann er nicht entscheiden, welcher seiner Mitarbeiter als Korsettstange eine herausgehobene Rolle spielen soll und wem von den in Frage kommenden Kandidaten er diese Aufgabe auch zutraut.

Denn er kann das Team nur einmal aufstellen, ohne selbst unglaubwürdig zu werden. Er muss wissen, wer das Team leiten kann, wenn die Dinge einmal nicht nach Plan laufen. Er darf sich nicht auf den Normalfall stützen, d.h. wenn alle Dinge genauso laufen, wie es die Prozess-Definitionen und Orga-Handbücher vorschreiben. In der Regel laufen die Dinge im Detail sowieso wesentlich seltener exakt nach Vorschrift als es das Management annimmt.

Die auserwählten „Korsettstangen“ müssen als solche auch erkennbar positioniert werden; ihnen muss vor dem gesamten Team das Vertrauen ausgesprochen werden, vor allem, es muss ihnen auch Vertrauen entgegengebracht werden, wenn es die ersten Male noch nicht perfekt läuft. Nichts ist schlimmer als die installierten „Korsettstangen“ beim ersten Problem gleich wieder zu demontieren; die nachfolgenden Mitarbeiter, die für diese Rolle vorgesehen sind, werden sich ihre Zustimmung gut überlegen.

Zwischen Manager und „Korsettstangen“ muss daher auch ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehen, eines, das nicht nur formal ausgedrückt, sondern auch emotional verankert ist. Wenn der Manager sein Vertrauen nur vorspielt, wird dies der Mitarbeiter sehr schnell merken. Damit kommt es leicht zu Konfliktsituationen, in denen sich der Mitarbeiter entscheiden muss, ob er seine Loyalität dem Management oder den Kollegen im Team gibt. Damit ist aber die Wirkung der „Korsettstange“ sofort eliminiert, d.h. das Team agiert ungeführt nach eigenem Ermessen, was in Problemsituationen auch zum Problem für den Manager wird.

Vertrauen entsteht nicht durch Rationalität, sie ist reine Emotion, Emotion, die auf Erfahrung gründet, wenn Erfahrungen vorhanden sind. Sind diese nicht vorhanden, muss der Manager auf seine Gefühle vertrauen. Hier greift wieder einmal die „Kunst“ des Managements. Niemand und kein Instrument kann dem Manager diese Entscheidung abnehmen. Ich habe es häufig erlebt, dass Assessment Center durchgeführt wurden und der verantwortliche Manager gegen seine innere Überzeugung der „Ratio“ der systematischen Empfehlung gefolgt ist. In den meisten Fällen hat es anschließend nicht mit der Zusammenarbeit geklappt, entweder, weil der Manager von der Leistung des entsprechenden Mitarbeiters enttäuscht war oder weil der Mitarbeiter wegen des gespürten fehlenden Vertrauens seine Funktion nicht wirklich wahrnehmen konnte.

Im Management ist vieles wie im Fußball, und im Fußball ist es wie im richtigen Leben; es geht um Gefühle. Man muss wissen, wem man sein Vertrauen schenkt, denn ohne Vertrauen entsteht kein erfolgreiches Team. Leider gilt der Umkehrschluss nicht, dass, wer Vertrauen schenkt, auch zwangsläufig erfolgreich ist. Das wäre ja auch schlimm, weil ja nicht alle Mannschaften Weltmeister werden können.

Ihr
Dr. Hans-Dieter Krönung