#1 – Hat Ihr Unternehmen eine Seele?

In den vergangenen Jahren haben sich die Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Tun nicht eben erleichtert. Wirtschafts- und Finanzkrise und veränderte wettbewerbliche Rahmenbedingungen haben den Druck auf das Management spürbar erhöht.

Da mag es auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, sich mit einem schillernden, eigentlich unbestimmbaren Begriff wie „Seele“ zu beschäftigen. Auch wenn „Seele“ in diesem Zusammenhang nicht im religiösen Kontext gemeint ist, sondern gewissermaßen im philosophischen Sinne als „Identität“ eines Unternehmens zu verstehen ist, so bleibt doch zunächst der Beigeschmack eines esoterischen, nicht-konkreten und damit prinzipiell ungeeigneten Instruments zur Unterstützung des Managements.

Dennoch verspüre ich seit geraumer Zeit ein wachsendes Interesse vieler Manager an dem „Etwas“, das über die klassischen Management-Methoden und -Instrumente hinausgeht, „etwas“, das nicht technologisch-mechanisch gestaltbar ist und dennoch einen maßgeblichen Einfluss darauf hat, dass mitunter vergleichbare Unternehmen sehr unterschiedliche Entwicklungen zeigen. Der Management-Faktor gewinnt dramatisch an Bedeutung, ohne dass den meisten Managern wirklich klar ist, was denn „gutes“ Management eigentlich ausmacht.

Ich erhebe nicht den Anspruch, erschöpfend und eindeutig beschreiben zu können, wie diese Frage zu beantworten ist, glaube aber, dass es lohnt, sich etwas intensiver mit diesem „Etwas“, das den Unterschied ausmachen kann, zu beschäftigen.

Um den Blick für das zu schärfen, was gesucht wird, ist es zu empfehlen, zunächst noch einmal das sauber zu bewerten, was man kennt. Dies sind in unserem Thema die drei klassischen „S“, also Strategie, Strukturen und Systeme, die in jedem Management- Handbuch als relevante Erfolgsparameter genannt werden.

Strategische Entscheidungen sind ex definitionem langfristig relevante Weichenstellungen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass man strategische Fragestellungen auch nicht monatlich aufruft. Oft genug ist es auch so, dass der strategische Spielraum für ein Unternehmen eher begrenzt ist, und sich daher strategische Grundsatzfragen kaum stellen. Im Kern geht es ohnehin bei den meisten strategischen Fragen darum, möglichst genau zu wissen, was die Kunden eigentlich genau erwarten. Wer also dies immer präsent hat, begeht kaum strategische Fehler.

So ist es bspw. für eine gewöhnliche Retailbank mit einem geographisch vorgegebenen Marktgebiet prinzipiell unmöglich, sich einen anderen Markt zu suchen. Eine Retailbank definiert sich über Kundennähe, denn nur die Nähe zum Kunden ist das, was ihre Existenz

rechtfertigt und ihr einen prinzipiellen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen, überregional tätigen Instituten verschafft. Es sei denn, sie vergisst dies und hört nicht auf ihre Kunden, dann verwirkt sie ihre Existenzberechtigung. Erfolg oder Misserfolg hängen daher, und dies lässt sich empirisch belegen, nicht vom Geschäftsmodell ab. Das Geschäftsmodell der Retailbank ist weder antiquiert noch per se für die Zukunft gesetzt; es kommt darauf an, wie gut man es macht, und dies ist keine strategische Frage.

So gibt es heute Banken, die ihren Kunden eine breite Produktpalette anbieten und solche, die dies nicht tun. Viele Banken setzen stark auf das Direct Banking, andere sehen dies nur als Flankenschutz für ihr Filialgeschäft an. Die einen Banken organisieren den Vertrieb sehr dezentral, andere setzen auf starke Stäbe, genauso, wie die einen möglichst viele Dienstleistungen und Prozess-Schritte an Dritte auslagern, während andere auf eine sehr große Wertschöpfungstiefe setzen. Mir ist allerdings keine Statistik bekannt, die einen Zusammenhang zwischen einer der geschilderten Maßnahmen und dem Geschäftserfolg der Bank nachweisen könnte.

Gleiches gilt auch für die Systeme, also die Technik und das Geschäftssystem, d.h. die Prozess-Organisation. Obwohl über viele Jahre konstant sehr große Beträge in die Technik und die Prozess-Optimierungen gesteckt wurden, und obwohl niemand ernsthaft die Bedeutung von IT und Prozessen bestreitet, gibt es keine verlässlichen Statistiken über den Zusammenhang von IT-Investitionen oder Prozess-Strukturen und dem Geschäftserfolg.

Es darf uns also nicht überraschen, dass es keine Zusammenhänge gibt, denn wenn es so einfach wäre, Erfolgsrezepte zu kopieren, hätten wir möglicherweise andere Probleme. Allerdings ist es dennoch überraschend, dass immer noch große Publikumserfolge erzielt werden, wenn ein Autor das „Geheimnis“ des Geschäftserfolges eines Marktführers herausgefunden hat. Nicht selten haben wir es aber auch erlebt, dass zum Zeitpunkt des Erscheinens des entsprechenden Werkes das Untersuchungsobjekt schon gar kein Marktführer mehr war.

Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Wer seine Kunden wirklich gut kennt, der braucht keine Strategie. Wer gute Leute hat, organisiere so, dass sie sich optimal entfalten können. Und wer die Technik braucht, tut gut daran, sie auch zu beherrschen.

Das, was den Geschäftserfolg ausmacht, kann daher nicht in der Kopie kopierbarer Elemente liegen. Hätte die Form der Organisation einen beherrschenden Einfluss auf den Geschäftserfolg, es wäre nichts leichter als diese zu kopieren. Oder: Warum hat Google Yahoo, die früher da waren, überholen können und warum hat dies bei Microsoft bislang noch niemand geschafft? Was hat dazu geführt, dass GM die Zeichen der Zeit verschlafen hat und Toyota plötzlich gefährliche Autos baut?

 Ganz sicher wird eines Tages die Management-Community den weisen Worten eines schlauen Mannes lauschen, der den Kampf zwischen Google und Yahoo analysiert und zukunftsweisende Lehren daraus gezogen hat. Ich prophezeie, dass es im Kern dabei darum gehen wird, dass die Menschen bei Google ein entscheidendes Stück mehr beseelt waren von dem Wunsch, dem Internet-Zeitalter ihren Stempel aufzudrücken. Sie waren daher wahrscheinlich etwas kreativer, haben vielleicht härter und länger gearbeitet, etwas besser bei den Kunden zugehört und mehr miteinander gesprochen. Ganz sicher aber lag es nicht an der Form der Organisation oder ihrer IT.

Wenn Menschen beseelt sind von einer Aufgabe, wenn ein Unternehmen von beseelten Menschen getragen wird, dann können große Dinge entstehen. Und obwohl wir in einer Welt leben, in der kaum noch etwas geheim bleiben kann, ist die „Seele“ eines Unternehmens nicht kopierbar. Die „Seele“ eines Unternehmens ist die Summe dessen, was es ausmacht, was es einzigartig macht.

Doch was ist die „Seele“? Aus welchen Komponenten besteht sie? Welche Anteile machen die einzelnen Komponenten aus? Wie kann man die „Seele“ entwickeln und steuern?

Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, sei noch ein kurzer Hinweis auf den zweiten STANDPUNKT unseres Institutes gestattet, der sich mit dem Thema „Mechanisches Führungsprinzip“ befassen wird. Im Hinblick auf das nächste Schwerpunkt-Thema möchte ich hier nur ansatzweise auf die Problematik des mechanischen Denkansatzes eingehen, weil er für das Verständnis des Umgangs mit der „Seele“ eines Unternehmens wichtig ist.

Spätestens seit Descartes „Cogito ergo sum“ hat sich in der westlichen Hemisphäre eine Denkschule etabliert und durchgesetzt, der die Überzeugung zugrunde liegt, dass alles, was ist, prinzipiell auch beschrieben, analysiert und gestaltet werden kann. Auch die Grundlagen der Ökonomie und damit des Managements von Unternehmen wurden in dieser Zeit geschaffen und prägen unser Denken noch heute. Die Wurzeln unserer Zahlengläubigkeit und unseres rationalen Verständnisses vom Wesen einer Organisation reichen bis in die Zeiten eines Isaac Newton oder Adam Smith zurück, für die die Welt eine einzige große Maschine oder ein Uhrwerk war, dass man prinzipiell auseinandernehmen und wieder zusammenbauen kann. Dies mündet unter anderem in dem, was ich das „mechanische Führungsprinzip“ nenne, also der Glaube an die rationale Gestaltbarkeit von Unternehmen.

Für den „Mechaniker“ ist „Seele“ daher schon vom Prinzip her suspekt, weil es sich um einen metaphysischen und grundsätzlich nicht-teilbaren Begriff handelt. „Seele“ ist deutlich mehr als „Führung“, „Kultur“ oder „Werte“, obwohl diese Begriffe zweifellos Teil der Seele sind. Aber was ist mit der Unternehmensphilosophie, der Leidenschaft, der Wachsamkeit, dem Spaß, der Toleranz und vielen anderen Elementen, die man sich noch einfallen lassen kann, um die Einzigartigkeit eines Unternehmens zu beschreiben.

 Und so muss der „mechanische“ Ansatz des Messens und Wiegens zwangsläufig scheitern, weil wir auf der Suche sind nach etwas, dass gesamthaft da ist und doch nicht direkt greifbar.

Dabei ist die Wirkung der Seele nicht zwangsläufig positiv für den Geschäftserfolg. Mitunter ist die Seele beschädigt, schwächt das Unternehmen und führt dazu, dass das Ganze weniger ist als die Summe seiner Teile. Ich habe es mehr als einmal erlebt, dass Programme bspw. zur Motivation von Vertriebs-Mitarbeitern entwickelt wurden, die in zwei prinzipiell vergleichbaren Unternehmen zu völlig verschiedenen Ergebnissen führten. Während die Mitarbeiter im ersten Unternehmen den Anreiz positiv aufnahmen und die Chancen, die sich ihnen boten, nutzen wollten, sahen die Mitarbeiter im zweiten Unternehmen das Programm als erneuten Versuch der Geschäftsleitung, Druck auszuüben. Entsprechend sahen sie nur die Risiken und verweigerten sich dem Anreiz.

Wenn wir uns also der „Seele“ nähern wollen, können wir nur einer gesamthaften Betrachtung folgen. Klar ist, dass eine Seele wachsen muss und nicht, dies liegt in der Natur der Sache, zusammengesetzt werden kann. Start-ups müssen also ebenso eine eigene Seele entwickeln wie fusionierte Unternehmen oder solche, die eine sehr weitgehende Neuausrichtung erfahren haben. Die Seele braucht Wurzeln und die liegen fast immer in der Geschichte des Unternehmens und seiner Entwicklung begründet. Viele Unternehmen haben eine lange Geschichte, viele Veränderungen und Entwicklungen erlebt und sich dadurch einen eigenen, unverwechselbaren Charakter geschaffen.

Wichtig für das Verständnis von „Seele“ ist die Wahrnehmung des Unternehmens als eines Wesens, das unabhängig von derzeit handelnden Personen existiert, um dessen Weiterentwicklung man sich kümmern muss. Im Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden eines großen und erfolgreichen Finanzinstitutes erfuhr ich, dass mein Gesprächspartner seine Hauptaufgabe darin sieht, die weit über 100-jährige Geschichte des Hauses erfolgreich weiterzuführen und es seinen Nachfolgern möglichst intakt und zukunftssicher weiterzugeben. Diese, einem Familienunternehmen vergleichbare Philosophie, ist heute, obwohl oft vermarktet, in den Führungsetagen eher selten geworden.

Meist wird doch das Unternehmen als Gestaltungsrahmen für die Ambitionen des Top- Managements missverstanden. Der Kapitalmarkt und seine unaufhörliche Gier nach Neuigkeiten und „Stories“ schafft zusätzlich noch eine weitere Bühne für Egomanien. Aber das ist eine andere Geschichte.

 Eine „Seele“ kann also nur dann entstehen, wenn das Unternehmen von allen involvierten Personen, seien es Eigentümer, Führungskräfte oder Mitarbeiter, als eigenes Wesen verstanden und behandelt wird, und sie sich der Aufgabe verschrieben haben, das Unternehmen optimal weiter zu entwickeln. Wurzeln, Herkunft, Geschichte und Identität sind Komponenten, aus denen sich eine „Seele“ entwickeln kann.

Neben der Wurzel braucht die „Seele“ auch eine Identität, d.h. das Selbstverständnis, wofür man existiert. Identität ist in diesem Sinne also weit mehr als die „erkennungstechnische“ Identität, die normalerweise mit einer Personenbeschreibung und der aktuellen Adresse ausreichend beschrieben ist. Identität in dem hier verstandenen Sinne ist die Beantwortung der Frage, wofür das Unternehmen gegründet werden müsste, wenn es nicht schon existierte. Jedes Unternehmen hat eine Existenzberechtigung nur dann, wenn es eine Aufgabe wahrnimmt, die nicht besser von einem anderen Unternehmen erfüllt werden kann. Diese Auseinandersetzung nennen wir „Wettbewerb“.

Wettbewerb ist der immerwährende Kampf um die Existenzberechtigung zur Erfüllung der zentralen Aufgabe. Insofern ist die Existenz einer „Seele“ immer auch verknüpft mit der erfolgreichen Positionierung im Wettbewerb. Aufmerksamkeit und rechtzeitiges Einstellen auf wettbewerbliche Veränderungen gehören daher auch zum Handwerkszeug der Entwicklung der Unternehmens-„Seele“.

Wie in der Natur kennt auch der Wettbewerb Schmarotzer und Parasiten, die vom Wirkungsgefüge der Wirtschaft profitieren, ohne selbst einen eigenen Beitrag zur deren Weiterentwicklung zu leisten, ohne eine eigene nutzenstiftende Aufgabe im Wirtschaftskreislauf wahrzunehmen. Dies ist, wie in der Natur, nicht zu verhindern. Ob ein solches Unternehmen eine „Seele“ entwickeln kann, bezweifle ich. Klar ist aber, dass wenn diese Unternehmen maßgeblichen Einfluss auf den Wirtschaftskreislauf nehmen, wir das eine Wirtschaftskrise nennen. Aber auch das ist eine andere Geschichte.

Nachdem wir nun mindestens zwei Grundelemente der „Seele“ im Unternehmen identifiziert haben, wenden wir uns der schwierigsten Aufgabe zu, nämlich der ganzheitlichen Wahrnehmung der „Seele“ im Unternehmen. „Seele“ bedeutet ja nicht, dass die Geschäftsleitung eine entsprechende Vorstellung hat, sondern dass das Unternehmen, also auch und vor allem die Mitarbeiter „beseelt“ sind, d.h. Teil der Wahrnehmung des Ganzen sind. Auch wenn Tonnen von Papier existieren, in denen niedergeschrieben ist, woher man kommt, wer man ist und wohin man will, was man besser kann als andere und welchen Werten man folgt, so nutzt dies nichts, wenn der Mitarbeiter beim Kundenkontakt dieses nicht vermitteln kann oder gar will.

 Der „beseelte“ Mitarbeiter wird sich alle Mühe geben, dem Kunden freundlich und kompetent entgegenzutreten, alles tun, um dessen Problem zu lösen und sich dafür einsetzen, das eigene Unternehmen in bestem Licht erscheinen zu lassen. Aber Hand aufs Herz: Wie hoch ist derzeit der Prozentsatz der Mitarbeiter in Ihrem Unternehmen, die so denken und handeln?

Wir müssen erkennen und akzeptieren, dass wir hier mit unserem „mechanischen“ Führungsverständnis an die Grenzen stoßen. Trainings, Coachings, Fach-Schulungen, Incentives, leistungsabhängige Vergütungen und ähnliche Dinge haben es nicht vermocht, die meisten Mitarbeiter zu „beseelen“, nicht, weil sie etwa schlecht sind, sondern weil sie immer nur Teilaspekte des Ganzen ansprechen können, die dann wieder in den Hintergrund treten, vergessen werden, wenn die Wucht des Alltags auf den Mitarbeiter trifft.

Wenn also Trainingsmaßnahmen einen wirklichen Wert haben sollen und nicht nur willkommene Abwechslung im Alltags-Trott, dann muss der Mitarbeiter „beseelt“ sein von dem Wunsch, etwas zu lernen, um seine Aufgabe noch besser zu erfüllen. Dazu muss er aber verinnerlicht haben, worin seine, und nur seine Aufgabe zur Erfüllung der Gesamtaufgabe des Unternehmens liegt.

Es gibt die Geschichte, dass Präsident Kennedy bei dem Besuch des Raumfahrtzentrums in Florida auf einen Mann zuging, der auf dem Gelände den Boden fegte. Auf die Frage des Präsidenten, was er denn da tue, antwortete der Mann: „Ich leiste einen Beitrag dafür, dass Amerika auf dem Mond landet“.

Ich weiß nicht, ob es sich so oder so ähnlich zugetragen hat, aber mir gefällt diese Geschichte, weil sie einen „beseelten“ Menschen beschreibt, einen Menschen, wie man ihn sich im Unternehmen wünscht.

Was also ist wohl passiert, denn es ist nicht davon auszugehen, dass diesem Mann in der Nacht der heilige Geist der Mondfahrer erschienen ist. Wahrscheinlich ist es seinen Führungskräften bei der NASA gelungen, ihm deutlich zu machen, dass er ein wichtiger Teil in einem besonderen Unternehmen sei, das eine ganz besondere Aufgabe hat, nämlich den ersten Menschen auf den Mond zu bringen. Diese Vorstellung hat ihn sicherlich beeindruckt. Des Weiteren wird der Mann wahrscheinlich erkannt haben, dass die allermeisten Kollegen und Führungskräfte ebenfalls von der Aufgabe begeistert waren, die nicht nur ihren Job machten, sondern sich mit Hingabe ihrer Funktion widmeten. Auch wird sich der Mann immer wieder, wenn es die Gelegenheit gab, die Ansprachen des Top-Managements angehört haben, beobachtet haben, wie sie agierten und sprachen, ob in ihnen das gleiche Feuer loderte, und er wird wahrscheinlich ein wenig bewundernd zu ihnen aufgeschaut haben und sich noch ein klein wenig mehr angestrengt haben.

 Und als dann der Präsident kam und ihn fragte, war es für ihn eine Selbstverständlichkeit, sich als Teil des Mondlandungs-Projektes zu verstehen.

Nun ist das Mondlandungs-Beispiel besonders prägnant, aber nicht unbedingt repräsentativ. Warum eigentlich nicht?

Ist es weniger interessant, an der Entwicklung eines neuen PKW ́s mitzuwirken, seinen Kunden profunde Altersvorsorge-Konzepte zu entwickeln oder die Nahversorgung der Bevölkerung mit guten Lebensmitteln sicherzustellen? Auch bei der NASA konnte nicht jeder in der Kapsel sitzen, die dann zum Mond flog. Auch bei der NASA musste der Boden gekehrt, IT-Programme entwickelt und gewartet, Buchhaltung gesichert und Personalentwicklung betrieben werden. Jede dieser Aufgaben konnte ein langweiliger „Job“ sein, den man hinter sich bringen musste, oder eine wichtige Teilaufgabe für ein großes Ziel.

Auch wenn ich sicher bin, dass damals nicht nur „beseelte“ Mitarbeiter bei der Mondlandung mitwirkten, so zeigt dieses Beispiel sehr schön, worin der Unterschied zwischen einer „beseelten“ Mannschaft und einer Mannschaft, die nur ihren „Job“ macht, liegt. Als Berater komme ich sozusagen von Amts wegen in viele Unternehmen, oft eben auch das erste Mal.

Mit der Zeit lernt man, schnell die „Seele“ des Unternehmens zu fühlen.

Ich treffe dann auf Menschen, die mich nicht kennen und oft auch nicht wissen, was ich möchte. Aber die Art und Weise, wie sie mir entgegentreten, wie sehr sie sich bemühen, mir zu helfen, wie sehr sie sich freuen, dass ich da bin, und welcher Stolz in ihrer Stimme mitschwingt, wenn sie das Haus vorstellen, verschafft mir schnell einen Eindruck von der „Seele“ des Hauses. Und meist korreliert dieses Gefühl mit den wirtschaftlichen Kennzahlen des Unternehmens.

Alfred Herrhausen hat einmal gesagt, dass man das, was man denkt auch sagen soll, dass man das, was man sagt, auch tun soll, und dass man das, was man tut, auch sein soll. Welche Weisheit spricht aus diesen Worten, denn der letzte Teil beschreibt exakt das, was es braucht, um die „Seele“ eines Unternehmens zu erkennen und zu entwickeln. Das zu sein, was man tut, ist das Kernelement der „Seele“, die Kernaufgabe des Managements.

Wer als Manager selbst „beseelt“ ist von der Aufgabe, der ist Vorbild, der empfindet und vermittelt Leidenschaft, und der kann auch begeistern. Teilt er diese Leidenschaft mit seinen Führungskräften, tauscht er sich mit ihnen aus, wird er auch sie „beseelen“. Betrachtet er seine Mitarbeiter nicht als Kostenfaktor, sondern als Assets, deren Potenzial geweckt und mobilisiert werden kann und muss, dann hat er seine Aufgabe erkannt. Er wird dann Bilder und andere Ausdrucksformen suchen und finden, die seinen Kollegen und Mitarbeitern Freude und Leidenschaft vermitteln.

 So entsteht eine „Seele“ im Unternehmen, ein nicht greifbares, aber verbindendes gemeinsames Verständnis, das viele Controlling-Maßnahmen überflüssig macht.

Wer aber glaubt, man könne die „Seele“ auf technokratischem Weg zusammenbauen, indem man eine Aufgabenliste abhakt, der wird sich wundern, dass er am Ende zwar alles getan hat, aber nichts erreicht hat. Er hat dann zwar eine „seelenlose“ Maschine, die auch läuft, aber zum Mond wird er damit nicht fliegen können.

Ihr
Dr. Hans-Dieter Krönung